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Freilichtspiele Tecklenburg 2010: Zum Erfolg verdammt

Es kann losgehen: Furioser Saisonauftakt mit neun Top-Künstlern

Der Anfang ist gemacht. Tecklenburg stimmt und schwört seine Gäste aus nah und fern auf kommende Musical-Freuden ein. Und das geschieht traditionell mit der obligatorischen Eröffnungs-Gala am Pfingstmontag. Eine „Kaiserin“ hatten die Haus- und Bühnenherren dabei mit Top-Star Pia Douwes zwar zu bieten, aber keinen König. Dafür jedoch die Musketiere desselbigen. Wo der Hase in der Spielzeit 2010 hinläuft, war also nicht zu übersehen und zu überhören. Das Bolland-Bolland’sche Mantel- und Degen-Spektakel war akustisch und optisch allgegenwärtig. Es soll und wird die diesjährige Saison auf dem Balkon des Münsterlandes dominieren, mehr noch vielleicht als die „West Side Story“, um deren Aufführungsrechte sich Intendant Radulf Beuleke seit Jahren bemüht hatte und die ihm und den Seinen nach langem Ringen erst Ende 2009 gewährt wurden. Der Bernstein-Klassiker läuft parallel zu einer Wiederaufnahme des Stücks bei der osthessischen Konkurrenz in Bad Hersfeld. Die hatte WSS schon im vergangenen Jahr auf dem Spielplan gesetzt.

Von den „3 Musketiere(n)“ hingegen gab es bislang noch nirgends eine Open-Air-Inszenierung. Das wird sich  am 19. Juni, dem offiziellen Premierentermin, schlagartig ändern.  Damit bekommt die neue Spielsaison wieder eine exklusive Note – und damit lässt sich Staat machen. Schon Wochen vor dem Beginn des Abenteuers hatten hier die Säbel gerasselt, pardon, die Degen geklirrt. Die Akteure zogen frühzeitig blank und trainierten unter der Anleitung von Fecht- und Nahkampf-Coach Malcom Ranson von der Royal Shakespeare Company den richtigen Umgang mit der Waffe.

Mittlerweile ist es ja so, dass die Freilichtspiele zum Erfolg verdammt sind. Nicht nur, was die Besucherzahlen, die im vergangenen Jahr mit 118.000 Gästen eine neue Rekordhöhe erreicht hatten, anbelangt. Auch die Erwartungshaltung des verwöhnten Publikums steigt proportional dazu. Es fällt zwangsläufig immer schwerer, das Vorjahresniveau zu toppen. Eine Spirale, die künftig noch an Dynamik zunehmen wird. Immerhin spricht einiges dafür, dass es 2010 noch einmal gelingen wird. Was danach kommt, man wird sehen. Mag ja sein, dass des Intendanten sybillinischer Einwand, er könne sich eine Inszenierung von „Sunset Boulevard“ mit Pia Douwes als Nora Desmond durchaus vorstellen, da schon ein Wink mit dem Zaunpfahl war. Das wäre immerhin eine Perspektive. Aber ab Herbst wird die große Dame des europäischen Musicals erst mal als Killer-Queen in der niederländischen Version von „We will rock you“ mit der Lenkung des Globalsoft-Imperiums beschäftigt sein. Sie selbst hat aber den Wunsch geäußert, einmal eine komplette Saison in Tecklenburg zu spielen. Vielleicht wird’s ja…

Nach den Musical-Perlen rockt die Hütte

Zurück zum Thema. Der Saisonauftakt zu Pfingsten steht, nomen est omen, jeweils unter dem selbstredenden und seit Jahren unveränderten Motto: „Musical meets Pop“. Die erste Halbzeit ist dabei jeweils populären und durchaus auch einmal weniger bekannten Melodien aus der Welt des Musiktheaters vorbehalten, während nach der Pause die Hütte rockt – nicht immer, aber immer öfter. Ein Querschnitt aus der aktuellen Popliteratur und der der vergangenen Jahre – von Bruce Springsteen über Stevie Wonder bis hin zu Billy Joel, Sinatra-Frank und Robbie Williams. Eine Mischung, die quasi generationsübergreifend ankommt. Sinnigerweise rekrutiert sich die Gala-Cast stets bzw. überwiegend aus den Besetzungen der beiden neuen Inszenierungen – und die sind auch in diesem Jahr vom Feinsten. Neben Pia I., der einzigen nicht fest angestellten Saisonkraft, standen diesmal, Ladies first, Leah Delos Santos, Anne Welte, Lisa Antoni und Silke Braas auf der Bühne. Die Herren der Schöpfung waren zwar leicht unterrepräsentiert, machten das aber durch Charme, Stimmgewalt und Wortwitz wett. Neben dem norwegischen Publikumsliebling Yngve Gasoy-Romdal bildeten Lucius Wolter, „D’Artagnan“ Thomas Hohler und Sascha Krebs das Männer-Quartett. Den „TH.G“ hatten die Verantwortlichen als „Anchorman“ aber offenbar etwas ausgebremst, was schade war. Denn des Krebses Anmoderationen sind stets zum Brüllen. Aber da hielt sich der Heidelberger diesmal zurück. Der Schalk blitzte nur sporadisch durch.

Lucius stirbt 19 mal in Leahs Armen

Für Gasoy-Romdal, der in der Musketier-Produktion die Rolle des Kardinals übernimmt, und seine große Liebe Leah Delos Santos ist das gemeinsame Engagement am deutschen Sommer-Broadway natürlich auch ein privater Glücksfall. Die sympathische Philippinin wird hier als „Maria“ in der West Side Story auf der großen Bühne stehen. Und das ist ihr Parade-Part, wie sie vergangenes Jahr schon in Bad Hersfeld bewiesen hat. Ihr persönlicher Held in dieser mit großer Spannung erwarteten Neu-Inszenierung ist Lucius Wolter. Als „Tony“ wird er 19 mal in ihren Armen sterben. WSS-Premiere  wird am 23. Juli sein.

Allen Unkenrufen der Aushilfs-Kachelmänner zum Trotz: Vom Wettergott verhätschelt und mit der brillanten Klaus-Hillebrecht-Band im Rücken konnte an diesem sonnig-warmen Abend eigentlich nichts mehr schief gehen. Tat es auch nicht. Die Künstler gaben mächtig Gas und entzündeten einen mitreißenden, fast dreieinhalbstündigen Klang-Zauber, während dessen das Publikum im restlos ausverkauften Auditorium häufiger stand als saß. Von „Gaudi“ bis Rebecca, von „We will rock you“ bis „Hairspray“ reichten die Töpfe, aus denen bei der Zusammenstellung der Set-List geschöpft worden war. Darunter immer wieder Songs, deren Name für das Selbstverständnis der Tecklenburger Bühnenbetreiber Sinn- und Motto stiftend sind und sowohl für den Abend, als auch die gesamte neue Saison Gültigkeit besaßen: „Oh what a night“, „Heut ist der Tag“, „You can’t stop the Beat“.

Showstopper im Akkord

Aus dem mit Gespür zusammen gestellten Programm stachen, siehe oben, immer wieder Getreue und Widersacher  Ludwigs XIII. hervor. So legten sowohl Yngve Gasoy-Romdal mit „Oh Herr“, Pia Douwes mit „Mylady ist zurück“ und Thomas Hohler mit „Heut ist der Tag“ veritable Showstopper hin. Gekrönt wurde der klangvolle Ausflug in die Welt der Musketiere von dem wunderschönen Frauen-Trio „Wer kann schon ohne Liebe sein“ in einer virtuosen Version von Pia Douwes, Silke Braas und Lisa Antoni. Letztere wird in dem Stück übrigens die Rolle von  D’Aartagnas Flamme  „Constance“ übernehmen. Die zweite Halbzeit der Tecklenburger Pfingsgala berücksichtigt traditionsgemäß die persönlichen musikalischen Präferenzen der beteiligten Künstler, die somit eigene Titelvorschläge in den Programmablauf einstreuen können. Das müssen nicht immer die ganz großen Ohrwürmer sein, können aber. Eines der schönsten Lieder des Abends hatte Pia Douwes mitgebracht: „Anyway“ von Martina McBride, der Firstlady der US-amerikanischen Countryszene. Anne Welte, die Vokal-Granate aus dem Saarland (Radulf Beuleke), steuerte zwei Klassiker bei, die ihr wie auf die Stimmbänder gezimmert sind: „New York, New York“ (Frank Sinatra) und „“This is my Life“ (Shirley Bassey).

Nicht von schlechten Eltern 

Auch nicht von schlechten Eltern: Lisa Antonis Interpretation von Stevie Wonders „I wish“. Thomas Hohler hatte sich  „Hot Fudge“ von Robbie Williams ausgesucht, Leah Delos Santos bewies mit „Both Sides Now“ (Sharon Cuneta) wie zuvor schon mit „Somewhere“ aus der West Side Story erneut ihre Klasse. Silke Braas ließ Christina Stürmers einsame Engel fliegen, Yngve schickte die Zuhörer mit dem wunderschönen „Lullaby“ von Billy Joel schlafen. Nicht schlecht, Herr Specht. Lucius Wolter schließlich arbeitete sich an „Both Sides of the Story“ von Phil Collins ab. So richtig  Fahrt nahm der Musikdampfer dann noch einmal bei Bruce Springsteens „Badlands“ (Sascha Krebs und Lucius Wolter) und dem von allen Künstlern gemeinsam vorgetragenen „Don’t Stopp Believin’“ von Journey auf.

Das dicke Ende

Doch das dicke, überraschende und vor allem opulente Ende sollte erst im Zugabeteil kommen: eine rasante szenische Präsentation des Musketier-Schwurs „Einer für alle“. Wie aus dem Nichts tauchten da auch D’Artagnans Kumpel und Waffenbrüder Aramis (Jens Janke), Porthos (Enrico de Pieri) und Athos (Marc Clear) auf. Letzterer, der als Athos bereits zur Premierencast der deutschen Erstaufführung gehörte, führt bei dieser Inszenierung auch Regie und kann auf eine stattliches, über 100-köpfiges Ensemble bauen. Da wartet wieder ein großartiger Bilderbogen auf die Zuschauer, die durch diesen Appetitanreger schon einmal einen kleinen Einblick erhaschten, was da auf die zukommt.

© Text: Jürgen Heimann; Fotos: Heiner Schäffer

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