Ein Käfig voller Narren in Nordhausen © Tim Müller
Ein Käfig voller Narren in Nordhausen © Tim Müller
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Ein Käfig voller Narren am Theater Nordhausen

Dir gehört mein Herz

Während das Theater Nordhausen aufwändig über mehrere Jahre saniert wird, kann der Spielbetrieb im benachbarten „Theater im Anbau“ weitergeführt werden. Mit 321 Sitzplätzen hat man hier eine Interimsspielstätte geschaffen, die dem Zuschauer einen intimeren Blick auf die Produktionen erlaubt, als es im „großen Haus“ möglich ist. Im Raum der ehemaligen Bühnenwerkstatt gibt es allerdings keinen ausreichenden Platz für einen Orchestergraben, so dass man das Loh-Orchester Sondershausen unsichtbar hinter einem Vorhang hinter der Bühne platziert hat und den Orchestersound live über Lautsprecher in den Theatersaal überträgt, wie es auch bei den Open-Air Produktionen der Thüringer Schlossfestspiele im nahegelegenen Sondershausen üblich ist, wo das Orchester in einem Saal des Schlosses untergebracht ist. Unter der musikalischen Leitung von Julian Gaudiano erklingt das Loh-Orchester daher etwas ungewöhnlich, doch man freundet sich schnell mit der neuen Akustik an. Weiterhin verfügt die Bühne über wenig Raum an den Seiten und über keinen Schnürboden, so dass weder von den Seiten noch von oben Kulissen oder Requisiten für das Bühnenbild bereitgestellt werden können.

Für die Premiere des Musical-Klassikers „Ein Käfig voller Narren“ am 12. April 2024 hat Pascal Seibicke aus der Not eine Tugend gemacht und nutzt eine Drehbühne mit unterteilter Zwischenwand, die wie ein verschachteltes Mobile durch gegenläufig drehbare Wände immer wieder neue Spielräume für die unterschiedlichen Szenen schafft. Der Wechsel zwischen der Bühne des Travestie-Nachtclubs „La Cage aux Folles“ und dem Backstage-Bereich ist nur eine 180 Grad-Drehung der Bühne entfernt, und während die Darsteller die neue Szene durch einen schwenkbaren „Türbereich“ im Zentrum der Drehwand betreten, können Requisiten und sogar die ganze Rückwand geräuschlos und unsichtbar auf der abgewandten Seite ausgetauscht werden. Die Bühne in Nordhausen ist vielleicht etwas weniger glamourös und spektakulär ausladend als in anderen Inszenierungen dieses Stücks, jedoch wird damit der Fokus viel intensiver auf die Les Cagelles, die kunterbunten Travestiekünstler im Nachtclub, gerichtet, und das gesamte Ambiente entspricht perfekt einem versteckten Club in den etwas schlüpfrigeren Gassen von Saint-Tropez.

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Regenbogen Papas mit Drag-Club

Passend zu diesem intimeren Set ist auch die Personenführung in der Inszenierung von Ivan Alboresi wohltuend zurückhaltend ohne klischeehaftes Ausufern „homosexuellen Gebarens“. Natürlich dürfen die Cagelles Chantal, Hanna, Mercedes, Phaedra, Angelique, Dermah, Nicole, Odette, Babette und Clo-Clo aufgedreht wie aufgescheuchte Hühner tratschen und nach ihren Kolleginnen picken. Oberhenne und Star des Ensembles ist Zaza, fulminant gespielt von Gaines Hall, und wie jede Diva hat sie so ihre Eigenheiten und ist nicht immer pünktlich auf der Bühne, was aber nicht an ihrer Egozentrik liegt, sondern eher der Tatsache geschuldet ist, dass alternde Stars länger als früher in der Maske bleiben, um den gleichen Glanz vergangener Zeiten versprühen zu können. Denn Zaza liebt Ihre Zuschauer und zeigt dies in jeder Moderation interaktiv mit ihrem Publikum. Abseits der schillernden Bühnenwelt lebt Zaza als Albin in einer schrecklich netten, aber „normalen“ Familie. Marian Kalus verkörpert Albins treuen Lebensgefährten und sympathischen Nachtclub-Besitzer Georges, der väterlich nicht nur ein offenes Ohr für seine Künstler hat, sondern auch seiner „Jugend-Sünde“, seinem Sohn Jean-Michel (Florian Tavic), keinen Gefallen abschlagen kann. Und Jean-Michel hat eine außergewöhnliche Bitte: er möchte den konservativen Eltern Edouard (Thomas Kohl) und Madame Dindon (Anja Daniela Wagner) seiner Verlobten Anne (Yuval Oren) ein perfekt normales Elternhaus präsentieren, bangt er doch um die geplante Hochzeit, wenn dem Politiker und Vizevorsitzenden der Partei für Tradition, Familie und Moral zwei Regenbogen-Papas mit Drag-Club im Untergeschoss vorgestellt werden. Albin muss verschwinden, das extravagant dekorierte Ambiente ihrer Wohnung bekommt ein Make-Over zu einem trist-grauen Kloster, und „Rise Like A Phoenix“ Conchita Wurst-Aufschnitt Jacob (Thiago Fayad, stimmstark und bezaubernd) muss statt Hausmädchen den Butler spielen.

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Wann ist ein Mann ein Mann

Selten wird in anderen „Käfig voller Narren“-Inszenierungen darauf Wert gelegt, wie sehr sich die beiden Männer selbst nach langer Zeit immer noch lieben und einzig aus ehrlicher Liebe zu ihrem Sohn ihre wahre Identität verstecken wollen, um ihn glücklich zu machen. Die Chemie zwischen Marian Kalus und Gaines Hall stimmt einfach und es resultiert daraus kein ewig explodierendes Sprengstoffgemisch aus Gezicke und Gezeter, sondern ein perfekt komponierter Cocktail aus Harmonie und Achtung, der trotzdem einer altmodisch denkenden Gesellschaft bitter aufstoßen mag. Albins Bemühungen, mit übertrieben männlichem John Wayne Gehabe als Jean-Michels Onkel rüberzukommen, um doch noch am gemeinsamen Essen teilnehmen zu können, werden zu einer humorvollen Persiflage auf die Frage „Wann ist ein Mann ein Mann?“. Als die Versuche scheitern, Jean-Michels leibliche Mutter einzuladen, die egoistisch einen anderen Termin vor die Verlobungsfeier ihres Sohnes stellt, kann Albin beweisen, wie sehr er seinen Sohn liebt, indem er prompt in Frauenkleider schlüpft und seine einzig wahre Rolle der letzten Jahre verkörpert, die echte Mutter von Jean-Michel zu sein. Die Welthit-Hymne „I am what I am“ – „Ich bin, was ich bin“ aus der Feder des Komponisten Jerry Herman, der u.a. auch „Hello, Dolly!“ schrieb und der für die Broadway-Umsetzung des Theaterstücks „La Cage aux Folles“ 1983 mit insgesamt 6 Tony Awards ausgezeichnet wurde, bekommt in der Version von Gaines Hall noch einmal mehr Tiefgang mit Gänsehaut-Feeling und ist nur ein Highlight der rundum gelungenen Inszenierung.
Mit viel Fingerspitzen-Feingefühl zeigt „Ein Käfig voller Narren“ in Nordhausen, wie Wertschätzung und Anerkennung von Diversität gezeigt und gelebt werden können, Bravo!

Test und Fotos Schlussapplaus © Stephan Drewianka, Bühnenfotos: Tim Müller; dieser Bericht erschien ebenfalls in der Fachzeitschrift Blickpunkt Musical 03/24, Ausgabe 129

Alles zum Musical Ein Käfig voller Narren im Sound Of Music Shop.



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