„Der große Gatsby“ am Deutschen Theater Göttingen
Wahrheit – Schönheit – Freiheit – Liebe
Baz Luhrmann verfilmte 12 Jahre nach seinem Kinohit „Moulin Rouge“ den Roman von F. Scott Fitzgerald „Der große Gatsby“ mit Leonardo DiCaprio in der Titelrolle als bildgewaltige, tragische Love-Story. Roman und Film inspirierten kreative Köpfe zu Umsetzungen des Stoffes für die Theaterbühne. So schrieb Claus Martin bereits 2012 ein Musical für die Freilichtbühne Coesfeld, und 2024 zeigt das Deutsche Theater eine Tanzshow von Enrique Gasa Valga. Das Deutsche Theater Göttingen nimmt sich des Stoffes in der Übersetzung von Hans-Christian Oeser unter der Regie von Katharina Ramser als „Vaudeville-Show“ an und präsentiert einen Abend Schauspiel mit 19 Songs passend zur Zeit der goldenen 20er Jahre des letzten Jahrtausends, gespielt von der 10-köpfigen „Alexander´s Ragtime Band“ unter der musikalischen Leitung von Michael Frei.
Handlung von Der große Gatsby
Nick Carraway (Moritz Schulze) erzählt den Zuschauern, wie er als erfolgloser Autor 1922 nach New York kommt, um an der Börse als Broker zu arbeiten. Er mietet ein schäbiges Häuschen auf Long Island, direkt neben einer glamourösen Villa, in der sein Nachbar, ein gewisser Jay Gatsby (Daniel Mühe) ausschweifende Partys feiert. Kein Gast kennt den mysteriösen Gatsby persönlich, doch Nick gibt er sich zu erkennen. Denn Gatsby hat ein Anliegen: Er möchte Nicks Cousine Daisy (Gaia Vogel) wiedersehen, mit der er vor dem ersten Weltkrieg eine Liebesbeziehung hatte. Daisy hat jedoch in der Zwischenzeit den reichen Ex-Polospieler Tom Buchanan (Christoph Türkay) geheiratet, deren Anwesen direkt gegenüber Gatsbys Schloss auf dem „West-Egg“ liegt. Nick weiß, dass Gigolo Tom eine Affäre mit Myrtle (Tara Helena Weiß), der Frau von Autohändler George Wilson (Roman Majewski) im schäbigen „Tal der Asche“, einem heruntergekommenen Vorort New Yorks, hat und kommt deshalb Gatsbys Bitte nach, Daisy einzuladen. Obwohl Daisy bereits eine Tochter hat, ist sie unglücklich in ihrer Ehe und die alte Liebe zu Gatsby flammt wieder auf. Nach einer Party in New York, bei der Nick mit Daisys Freundin Jordan Baker (Nathalie Thiede) verkuppelt wird, kommt es im Hotel zur Konfrontation zwischen Tom und Gatsby, bei dem sich Daisy nicht eindeutig für ein Leben mit Gatsby entscheiden kann. Völlig aufgelöst verlassen Gatsby und Daisy das Hotel und verursachen auf der Rückfahrt einen folgenschweren, tödlichen Autounfall, der weitreichende Folgen hat.
Inszenierung, Bühne und Kostüme
Obwohl es nicht im Programmheft vermerkt ist, hat der Baz Luhrmann Film einen prägenden Einfluss auf die Theaterinszenierung gehabt, werden größtenteils identische Dialogsequenzen aus Fitzgeralds Roman zitiert. Obwohl die Bühne von Ute Radler bei weitem nicht an die opulenten Bilder der Verfilmung herankommt, da sie nur auf eine Drehbühne und multifunktionale Wände und Requisiten (Sabine Jahn) setzt, die in einer Szene luxuriöse Sitzkissen und in der nächsten wie Autoreifen durch eine fiktive Werkstatt gerollt werden, gibt es auch hier deutliche Parallelen zum Film. Wenn Gatsby Daisy durch sein Haus führt und sie unter seinen bunten Luxushemden begräbt, wird diese Szene als eingespielte Videosequenz mit den Göttinger Schauspielern überdimensional auf die Wände projiziert. Auch wenn Glanz und Glamour von Gatsbys Villa eher in den Köpfen der Zuschauer entstehen, wo „Kronleuchter“ aus verschlungenen Lichtbändern dargestellt sind, lassen die authentischen Kostüme in Weiß und braunen Herbsttönen von Myriam Casanova die Charleston-Ära visuell aufleben. Schön, dass auch die Band im Orchestergraben diese Illusion mit ihren Outfits über den Bühnenrand hinaus weiterführt.
Darsteller, Songs und Choreografie
Schauspielerisch bewegt sich das Drama auf höchstem Niveau und jede Textzeile wird klar verständlich vorgetragen. Doch diese Produktion ist eben viel mehr als reines Schauspiel. Durch eine passende Songauswahl von Michael Frei, die fulminant von den Darstellern vorgetragen wird, wird die Handlung zwar nicht unbedingt weitererzählt, jedoch unterstreichen die jazzigen Songs in zudem frischen Arrangements an den richtigen Stellen die Gefühle und Emotionen der handelnden Personen.
Gleich zu Beginn entführt Gershwins Rhapsody in Blue als Ouvertüre den Zuschauer in eine „Ein Amerikaner in Paris“-Musicalstimmung. „Alexander's Ragtime Band“ von Irving Berlin spiegelt die Kriegsstimmung wider, während Peggy Lees „Ain't We Got Fun“ als pfiffiges Duett die beiden weiblichen Hauptcharaktere als gelangweilte Snobs einführt, und der Folksong „Man of constant sorrow“ als Referenz für die armseligen Lebensumstände im „Tal der Asche“ steht. Bei „I Want to be Bad“ (Original vom Helen Kane 1929) zeigt Myrtle, dass sie einer außerehelichen Beziehung nicht abgeneigt ist. Andere Songs unterstreichen mit der energiegeladenen Choreografie von Valenti Rocamora i Torà und den grandiosen Tänzern Germán Hipolito Farias, Pawel Malicki, Mar Sanchez Cisneros und Michael Tucker – allesamt auf High Heels „Cabaret“-tauglich, androgyn-weiblich gestylt – den exzessiv-erotischen Lebensstil der goldenen 20er Jahre. Zu „Puttin on the Ritz“ oder „Man with the Hex“ wird gemeinsam mit dem gesamten Schauspiel-Ensemble in bester Fred Astaire Manier gesteppt. Weitere Songs sind „Gloomy Sunday (Billie Holiday), Hi-Dee-Hi-Dee-Ho „Minnie the Moocher” und “St. James Infirmary” von Cab Calloway, Gershwins “Strike up the Band”, “They Can’t Take That Away from Me“ und “It Ain't Necessarily So”, das Frank Sinatra / Sammy Davis Jr.-Duett “Me and My Shadow”, "Love Is Just Around the Corner" (u.a. Bing Crosby), “The love nest” (John Steel), “I'm Sitting on Top of the World”, “Better luck next time” und Kurt Weills “Lost in the stars”.
Der große Gatsby begeistert Publikum und Presse
Trotz dieser geballten Ladung an Jazz, Blues und traditionellem Folksong kombiniert mit einer sehenswerten Choreografie sieht sich „Der große Gatsby“ am Deutschen Theater Göttingen nicht als Musical, und das ist es irgendwie auch nicht. Trotzdem sollten sich Musicalfans diese Produktion nicht entgehen lassen, zumal eine Prise Baz Luhrmann der tragischen Romanvorlage auch in dieser Bühnenfassung einen sehenswerten Extra-Kick gibt, der einen unterhaltsamen Schauspielabend garantiert. Publikum und Presse sind zu Recht begeistert vom Göttinger „Gatsby“ und bescheren dem Deutschen Theater Göttingen mit seinen rund 500 Plätzen ausverkaufte Vorstellungen.
© Text by Stephan Drewianka, Musical-World.de, dieser Bericht erschien ebenfalls in der Musical Fachzeitschrift Blickpunkt Musical Ausgabe 128 2/24 ; Fotos © Thomas M. Jauk
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