Deutschlandpremiere der Musical-Parodie „49,5 Shades“ im Capitol-Theater Düsseldorf
Penisse tanzen zum Klang von Liebeskugeln Tango
Es gibt Bücher, die stehen monatelang auf der Bestsellerliste, doch keiner will sie gelesen haben. Ähnlich wie die Harry Potter Bände wurden von der Roman-Trilogie „50 Shades Of Grey“ der britischen Autorin E. L. James aus den Jahren 2011/12 bereits im Jahr der Veröffentlichung in Amerika mehr als 20 Millionen Exemplare verkauft. Der Soft-Porno über die Liebe der 21-jährigen Studentin Ana(stasia) Steele zum 27-jährigen Milliardär Christian Grey, der sie in seine sexuellen Phantasien von Dominanz, Sadismus und Fesselspielen zieht, übt eine magische Anziehungskraft auf die vornehmlich weibliche Lesergemeinde aus. Noch bevor Universal Pictures den Stoff in diesem Jahr für die Kinoleinwand umsetzt, schrieben Mitglieder der Impro-Comedy-Gruppe „Baby Wants Candy“ eine ganz besondere Musicaladaption, die als „50 Shades! The Musical“ erstmals 2012 auf dem Edinburgh Festival gezeigt wurde und seit April 2013 sehr erfolgreich durch ganz Amerika tourt. Mehr! Entertainment holte die Musical-Parodie jetzt nach Deutschland, auch wenn der Name nach einem Rechtsstreit mit dem Verlag der Originalromane eine halbe Schattierung einbüßen musste. Am 16.02.14 feierte „49,5 Shades – die Musical-Parodie“ im Capitol-Theater in Düsseldorf seine Deutschlandpremiere. Nach der Spielzeit bis 23.03.14 geht die Show auf Tournee, zunächst nach Zürich, Hamburg, Berlin und Bremen.
Inhalt und Handlung der Musical-Parodie 49,5 Shades
Drei verzweifelte Hausfrauen wie sie stereotypischer kaum sein können: Jutta ist frisch geschieden und leidet momentan unter häufig wechselnden Liebhabern. Sabine ist seit 25 Jahren mit einem Mann verheiratet, bei dem die sexuelle Anziehung längst im Alltag zwischen der Wäsche verloren gegangen ist. Susanne wurde von ihrem Freund verlassen, leidet unter Blasenschwäche und kocht gerne Suppe. Aus Langeweile gründen die Freundinnen ihren typisch amerikanischen Buchclub, für den Jutta den Roman „Shades Of Grey“ vorschlägt. Und so tauchen die drei Damen in die Welt der naiven Literaturstudentin Ana und ihrer Mitbewohnerin Katrin ein. Während Katrin gerne und ausgiebig feiert, interessiert sich der lateinamerikanische Fotograf José für Ana, was nicht wirklich auf Gegenliebe stößt. Als Ana den erfolgreichen Geschäftsmann Christian Grey interviewen soll, verliebt sich die eiserne Jungfrau auf den ersten Blick. Doch Christian zelebriert eher unkonventionelle Arten sexueller Spielarten. Während Ana zwischen Zu- und Abneigung zu Christian hin- und hergerissen ist, erkennen die drei Leserinnen, was sie offensichtlich in ihren gutbürgerlichen Beziehungen bisher verpasst haben und tauschen Staubwedel und Kochlöffel gegen Latex und Liebeskugeln. Ana hingegen hat die Hundeleinen und Klapse auf den Po bald leid, aber wird sie Christian mit Zuckerbrot oder Peitsche zum Blümchensex umerziehen können?
Gerburg Jahnke führt Regie beim Pornical 49,5 Shades
Die Aufgabe, die relativ heikle Romanvorlage über die düsteren Abgründe sexueller Lust zu einem humorvollen Theaterabend aus dem amerikanischen Original für den deutschen Publikumsgeschmack umzuarbeiten, übernahm Gerburg Jahnke, eine Hälfte des ehemaligen Frauenkabarettduos Missfits, die zusammen mit Stephanie Überall 1985-2005 erfolgreich die Feminispräch-Frauensprache in ihr Programm einbauten. Heraus kam nach eigenen Angaben der Regisseurin eine „fette Komödie mit Musik, fast ein Musical, oder ein trashiges Pornical, obwohl es eigentlich eine Liebesgeschichte ist“. Die Vorgaben der amerikanischen Version waren klar gesteckt, denn bereits dort waren die Hauptfiguren comichaft überzeichnet und das genaue Gegenteil von dem, wie man sich Ana und Christian beim Lesen des Romans vielleicht vorgestellt hat. Im Musical ist Anastasia Steele statt Germanys Next Topmodel eine naive Ausgabe der Cindy aus Marzahn und der wohlhabende Dandy Christian Grey kein body-gebildeter Bachelor, sondern ein gemütlicher Hobbit mit Wohlstands-Bäuchlein. Allein schon optisch perfekt besetzt sind Beatrice Reece (Prudence in „Beatles – das weiße Album“ am Westfälischen Landestheater, Dino in „Die Erschaffung der Welt“ im Grillo-Theater Essen) als Ana und André Haedicke (Winnetouch in „Der Schuh des Manitu“ in Tecklenburg, Tommy in der „Lauras Stern“-Tournee) als Christian Grey. Beide gehen wunderbar in ihren Rollen auf, selbst wenn Anas Beine bei ihrer Entjungferung akrobatisch-unnatürliche Winkel einnehmen oder Christian am Morgen danach selbstbewusst im sexy Borat-Outfit über Fesselspiele sinniert. Gesanglich überraschen beide mit starken Stimmen, die die rockig-swingende bis balladenhaft-romantische Originalmusik von Jody Shelton und Dan Wessels in der gelungenen deutschen Übersetzung von Anna Bolk mit Leichtigkeit meistern. Durch die gekonnt naiv-ernste Interpretation von Beatrice Reece wird aus dem eindeutig zweideutigen Text von „Ein Loch“ ein ironisches Highlight und ein „Ganz normales Pärchen“ sprüht vor humorvollem Charme im Duett mit André Haedicke, während „Sieht so die Liebe aus“ ein ungewohntes Liebeslied mit flottem Rhythmus ist. Ebenfalls ein musikalischer Leckerbissen für das Zwerchfell ist der Song „Mein Schatz“ des Möchtegern-Latino-Lovers José, der fulminant mit Brusttoupee und spanischem Akzent von Dustin Smailes (Billy Crocker in „Anything Goes“ am Theater St. Gallen, Himmlischer Freund in „Carousel“ an der Oper Graz) parodiert wird.
Sexhungrige Desperate Housewifes
Bodenständiger präsentieren sich die Desperate Housewives in bester „Sex and the City“-Manier mit Sabine Urig (Hausfrau in „Heiße Zeiten – die Wechseljahre-Revue“, Mrs. Peacham in der „Dreigroschenoper“) als häusliche Sabine, Ines Martinez („Cats“ in Stuttgart, „Lola Blau“ in Heilbronn) als sexhungrige Jutta und Kira Primke (Alexandra Spofford in „Die Hexen von Eastwick“ in Gelsenkirchen, Reno Sweeney in „Anything Goes“ in Osnabrück) als tollpatschige Susanne, die sich in ihrer Doppelrolle als Anas Zimmergenossin Katrin von einer extrem weltoffenen Seite zeigt. Den drei Damen gelingt mit „Öffne das Buch“ ein schönes Intro in die fiktive Welt des Romans bevor sie sich im zweiten Akt zu drei kleinen Sex-Schweinchen in „Schwarz oder Weiß“ verwandeln. Zu der schmissigen Choreografie von Paul Kribbe darf sich das fulminante Tanzensemble bestehend aus Marta Di Giulio, Giulia Vazzoler, Victoria Maschuw, Ross McDermott, David Eisinger und Johannes Blattner erotisierend und schweißtreibend bewegen. Ganz zu Beginn der Show treten die drei Tänzerinnen als strenge Dominas auf und führen vier Herren in Anzügen auf die Bühne, die sie dann mit einem Ruck von ihren spießigen Klamotten befreien, denn darunter tragen sie schwarze SM-Wäsche. Bevor man sich fragt, wen diese vier Herren eigentlich darstellen, peitschen die Damen sie an ihren Arbeitsplatz links auf der Bühne, denn das ist die Band unter der Leitung von Jan Christof Scheibe. Die vier heizen der Handlung mit einer guten Mischung aus Rock und Pop dank des gut abgemischten Sounds von Cedric Beatty gehörig ein. Die Bühne von Tom Presting im Licht von Birte Horst beherrscht ein drehbares Sofa, dessen Rückseite das Bett von Ana bildet. Außer einigen Rückprojektionen reicht dies schon als tourneetaugliches Bühnenbild. Für die Kostüme hat sich Mario Reichlin in diversen Erotik-Shops umgesehen, die Maske von Sarah Kleindienst bleibt eher natürlich.
Reaktionen auf die Musical-Parodie 49,5 Shades
Ist „49,5 Shades“ ein neues Musical-Highlight im Capitol-Theater in Düsseldorf geworden? Meine Sitznachbarin fragte mich gegen Ende des ersten Aktes, warum ich denn nicht genauso lauthals lache wie sie und ob dies wohl daran liege, dass Männer in dem Stück nicht so gut weg kämen. Bis zu dem Zeitpunkt war mir gar nicht bewusst geworden, dass Regisseurin Frau Jahnke getreu alten Kabarett-Gewohnheiten Männer gerne als den Staatsfeind Nummer 1 präsentiert. Anders als im Roman, der die Frauenbewegung durch sexistische Unterordnung eher in die Steinzeit zurückversetzt, dreht sie den Spieß um: Männer sind stinkende Wesen, denen frau sagen muss, wann sie sich zu duschen haben und die Unterhosen wechseln müssen. Katrin und Jutta sehen Männer eh nur zur oberflächlichen Befriedigung ihrer Bedürfnisse und ein Dildo ist wie ein Schwanz, nur schön. Zu Beginn des zweiten Aktes räkelt sich Sabines Ehemann als zum Aussterben bedrohter Panda auf dem Sofa und lässt einen Wind fahren, dessen Gestank ihn besinnungslos vom Sofa gleiten lässt. Aber dieses Weltbild des vermeintlich starken Geschlechts war es nicht, was mich vorrangig gestört hat, denn die deutsche Fassung von „49,5 Shades“ hat noch einige Schattenseiten, die ich kurz beleuchten möchte.
Tabubrüche, F-Worte, Dildo-Duelle und tanzende Penisse
Wie schon im amerikanischen Original will das Stück bewusst mit Tabus brechen und diese provozierend bis an die Grenze ausreizen. Nicht umsonst haben die Veranstalter ein FSK 17 Logo auf ihren Werbeplakaten angebracht. Während Ana im Song „Ein Loch“ noch genug Raum für das Kopfkino lässt und der recht harmlose Text erst in der Interpretation der Zuhörer unter die Gürtellinie geht, nimmt Super-Macho Christian mit „Ein Fick“ das F-Wort gleich unerträglich oft in den Mund und das noch in Begleitung dreier tanzender Penisse. Das Vorspiel des zweiten Aktes beginnt im Schattenriss der Tänzer, die sich mit Dildos duellieren, noch ganz witzig, bis zwischen die weit gespreizten Beine einer Tänzerin ein ganzes Arsenal an Sexspielzeugen versenkt wird, dessen Höhepunkt eine überdimensionale Aubergine ist, für die man dann noch einen Trichter benötigt. Genauso überreizt wird dann das Thema Liebeskugeln, denen die drei Hausfrauen durch Hüftbewegungen glockenklare Töne entlocken können – für einen Song ganz witzig, für zwei Songs einfach zu viel.
Deutliche Bildsprache und Popsongs zum Mitklatschen
Bei dieser geballten Ladung sehr deutlicher Bildsprache muss der Zuschauer amüsiert feststellen, dass die Tänzerinnen unter ihren zugegeben sehr luftigen Lackoutfits einen fleischfarbenen Bodysuite tragen und als Christians lebende Möbel „nackte“ Brustattrappen präsentieren. Hier hätte die Kostümabteilung besser etwas mehr Stoff investieren sollen, so dass sich die Damen auch bei der wildesten Choreografie sicher und selbstbewusst bewegen können, denn der bis in Reihe 12 deutlich sichtbare Reißverschluss der „zweiten Haut“ am Rücken ist in einem Stück, wo es um Erotik geht, einfach nur lächerlich komisch (bei den sexy Outfits der drei Hausfrauen und allen Männern geht es doch auch „drunter ohne“). Bedauerlich ist, dass bei Christians SM-Abstieg in den „Saal der Qual“ die ursprünglich sehr gelungene Gesangs-Parodie zum Titellied des weltberühmten „Phantom der Oper“ wohl aus Angst vor rechtlichen Konsequenzen aus Hamburg in Deutschland gestrichen wurde. Die Anspielung auf „Star Wars“ mit Laserschwert und Darth Vader-Maske ist leider nur ein halbherziger Ersatz. Zudem traute man in Deutschland der Qualität der Originalpartitur offensichtlich nicht völlig. So wurden vier weitere Pop-Songs – „Flamme aus der Glut“ (der Bangles-Hit „Eternal Flame“), „Ich geh mit ihm mit“ (die „Sister Act“ Filmhymne „I Will Follow Him“), „Lass es raus“ (der Jennifer Lopez Stimmungshit „Let´s Get Loud“) und der Comedian Harmonists Klassiker „Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da“ – in die Show eingebaut, um das Publikum mit bekannten Stücken zum Mitklatschen zu animieren…
Bei Unkenntnis der Romanvorlage ist die Figur der „inneren Göttin“, die mit trockenem Humor im Glitzerkleid fantastisch ebenfalls von „José“ Dustin Smailes verkörpert wird, nur schwer einzuordnen. Hier klärte mich meine „50 Shades“ gebildete Sitznachbarin auf, denn die innere Göttin symbolisiert das weibliche Geschlecht und wenn die Göttin tanzt, steht der weibliche Orgasmus unmittelbar bevor – aha! Man(n) kann also noch eine Menge im Musical lernen. Warum beim Finale aber alle Tänzer und Tänzerinnen als innere Göttinnen auftreten und somit den weiblichen Protagonisten zahlenmäßig überlegen sind, bleibt mir ein Rätsel. Somit ist „49,5 Shades“ nicht in allen Augen die gelungene Musical-Parodie, die ins Theater locken soll. Durch das vorhersehbare Happy-End fragt man sich, was eigentlich das Problem von Ana mit Christian war, denn eigentlich möchte man den knuddeligen Christian in die Wange kneifen und kann ihm die paar Klapse mit einem überdimensionalen Tischtennisschläger auf Anas Po einfach nicht übel nehmen. Da glitscht die Parodie dann doch zu sanft am Thema sexueller Unterwerfung vorbei.
Ein Musical für einen Junggesellinnen-Abschied
Promi Jenny Elvers sagte nach der Premiere den treffenden Satz, der das Zielpublikum des Musicals vielleicht am besten beschreibt: „Das ist ein Musical für den Junggesellinnen-Abschied“. Recht hat sie, denn wer nicht allzu hohe Erwartungen in das Stück setzt, erlebt vielleicht doch einen amüsanten Musicalabend.
© Text & Fotos: Stephan Drewianka, Musical-World.de; dieser Bericht erschien auch in der Musical-Fachzeitschrift Blickpunkt Musical 02-14 - Ausgabe 69