Musical Shockheaded Peter im Grillo-Theater Essen
Hoffmanns Erzählungen vom Struwwelpeter mit FSK 18
Die Kinderreime vom Suppenkaspar, dem Hans Guck-in-die-Luft, dem Zappelphilipp, dem fliegenden Robert und dem Paulinchen mit den Zündhölzern sind vielen Eltern ein Begriff. Das pädagogische Standardwerk Struwwelpeter (Shockheaded Peter) stammt vom Psychologen Dr. Heinrich Hoffmann, der es 1844 mit dem Untertitel „Lustige Geschichten und drollige Bilder für Kinder von 3-6 Jahren“ als Weihnachtsgeschenk für seinen Sohn verfasst hat. 1997 adaptierten die britischen Regisseure Julian Crouch und Phelim McDermott diesen Stoff für die Bühne und fanden in Martyn Jacques mit seiner dreiköpfigen Londoner Kult-Band The Tiger Lillies den Komponisten für ihre Junk-Oper Shockheaded Peter. Am 16. Oktober 2010 fand die Premiere des Grusicals im Grillo -Theater in der Kulturhauptstadt Essen in der Inszenierung von Reinhardt Friese statt, der diese Produktion bereits an den Städtischen Bühnen Krefeld und Mönchengladbach zeigte.
Geschichte und Handlung des Musicals Shockheaded Peter
Das Publikum wird vor blutrotem Vorhang vom Theaterdirektor (Rezo Tschchikwischwili) in die gruselige Rahmenhandlung eines Ehepaares (Imke Trommler und Jan Pröhl) mit Kinderwunsch eingeführt. Nachdem der Klapperstorch endlich den Wunschsohn bringt, der sich jedoch nie die Haare wäscht oder die Fingernägel schneidet, bringen die Eltern das garstige Wesen schließlich um. Der Vater verfällt dem Alkohol, die Mutter grämt sich, bis beide selbst ungepflegt zu Struwwelpetern werden. Eingebettet in diesen roten Faden zeigt der Theaterdirektor dem Publikum szenenhaft weitere Beispiele jugendlichen Fehlverhaltens und Ungehorsams, die bei allen Kindern in Überspitzung der Literaturvorlage in deren Tod enden, so dass nach 90 Minuten am Rand der Bühne acht Friedhofskreuze und ein Sarg vom recht blutigen Ableben der ungezogenen Kinder künden. Musikalisch wird jede Episode mit einem Song des „Sängers, Sohn einer Sirene“ begleitet, der mit hellem Kastratengesang eindrucksvoll von Tobias Wessler interpretiert wird. Die „Bearded Ladies“ Jörg Kinzius (Schlagzeug), Christoph Kammer (Bass-Balalaika/Tuba) und Willi Haselbek (Klavier/Akkordeon/Banjo und musikalische Leitung) stimmen neben einem disharmonischen Klangteppich auch wohlklingende Mörder-Balladen im Stile eines folkloristischen Kurt Weills an. Die Kombination mit den zynischen und bitterbösen Texten (erneut von Andreas Marber eingedeutscht) weiß durchaus zu unterhalten. So wird die Steppnummer des Zappelphilipps (Sebastian Tessenow in der Choreografie von Berd Paffrath) inklusive Topfschlagen zu einem kleinen Showstopper. Passend zum tiefschwarzen britischen Humor ist die Bühne von Günther Hellweg ein dunkler Raum in perspektivischer Verzerrung, in deren Wände und schrägen Boden der Theaterdirektor mit Kreide Türen zeichnet, aus denen die sieben Darsteller in ihren wechselnden Rollen die Bühne betreten. Die Kostüme von Annette Mahlendorf zeigen von Weiß bis Schwarz alle Zwischentöne in Grau und setzten nur dann rote Farbakzente, wenn es blutig wird. Schön die Szene, in der Paulinchen (Laura Kiehne) Kleiderschicht um Kleiderschicht von orange bis feuerrot bis zu einem Häufchen grauer Asche verbrennt. Die Maske, die neben weißer Totenblässe und auf Lider gemalten Augen auch fratzenhaft vergrößerte Münder zeigt, steht dem Joker aus „Batman“ in nichts nach. In einigen Episoden kommen phantasievolle Puppen zum Einsatz, die von Radovan Matijek entworfen und gespielt werden.
Musical Shockheaded Peter keine leichte Unterhaltung
Fazit: Das Musical Shockheaded Peter, bis 20.02.11 im Grillo-Theater Essen, ist keine leichte Musical-Unterhaltung und wird manchen Theaterbesucher verstören und anekeln. Das Stück will provozieren, mit Splatter-Szenen schockieren, ist laut, teilweise disharmonisch und brutal. Doch wer mit morbidem, schwarzem Humor, der selbst die Addams Familie erbleichen ließe, etwas anfangen kann, wird beim Struwwelpeter auf seine Kosten kommen!
© by Stephan Drewianka, Musical-World.de; Fotos Bühne (9): Birgit Hupfeld; Fotos Schlussapplaus(2): Stephan Drewianka
Dieser Bericht erschien ebenfalls in der Zeitschrift BLICKPUNKT MUSICAL, Ausgabe 6/10, November/Dezember 2010
Alles zum Musical Shockheaded Peter bei Sound Of Music!