Musical Swing Time in Essen
Jugendliches Aufbegehren zwischen Spießertum und Nazi-Diktatur
Am 18. Oktober erlebte das neue Stück des Musicalensembles NRW in Essen seine Welturaufführung
Jugendliche wollen anders sein und sich abgrenzen. Sie definieren sich und ihr Selbstverständnis dabei vor allem durch ihren Musikgeschmack. Der ist für sie zugleich Ausdruck des Lebensgefühls, das sich dann auch in Weltanschauung, Sprache und Mode artikuliert. Das war schon (fast) immer so, und wird auch so bleiben. Dadurch entsteht automatisch ein konfliktbeladenes Spannungsfeld zwischen den Generationen, das politische Dimensionen erreicht, wenn staatliche Repression als zusätzliche Komponente hinzukommt. Alles schon dagewesen, im „Tausendjährigen Reich“ beispielsweise. Davon handelt ein neues Musical, das am 18. Oktober in Essen seine (Welt-)Uraufführung erleben soll: Swing Time.
Nach „The Fantasticks“ und dem Sondheim-Stück „Merrily We Roll Along“ ist dies ein weiteres spannendes und ambitioniertes Projekt des Musicalensembles Nordrhein-Westfalen, das im „Tor 2“, einer ehemaligen Montagehalle im Stadtteil Werden, ein neues, ansprechendes Zuhause gefunden hat. Und: Es ist durch und durch etwas eigenes, hand- und selbstgemacht, wenn man so will. Das gilt nicht nur für die Umsetzung, sondern auch für die Musik und das Buch. Autoren Texter und Komponisten entstammen den eigenen Reihen.
Die Proben laufen seit Mitte August
Die Proben laufen seit Mitte August, Premiere soll am 18. Oktober sein. Die fünfzehn Darsteller werden von einer zwölfköpfigen Band unterstützt. Die jungen Künstler kommen aus Deutschland, Ungarn, England, Dänemark, Österreich Holland und der Schweiz. Die Geschichte spielt im Nazi-Deutschland des Jahres 1939. Die braunen Machthaber sind dabei, alles Ungermanische auszumerzen. Dazu zählen sie auch den Jazz und den Swing – in ihren Augen “entartete Niggermusik“. Doch Bruno und seine Clique (Karl, Hans, Anna, Inge und Klara) lassen sich auch durch staatliche Repression nicht von ihren Hör- und Lebensgewohnheiten abringen. Sie haben nur eins im Kopf: Swing, Swing und nochmal Swing - und damit einhergehend Musikhören, Tanzen, Feiern und Flirten. Sie wollen „cool“ und „hot“ sein – und sich gegenüber der breiten Masse ihrer Alterskameraden abheben. „Swing Time“ ist ein Musical über das Jungsein, die Liebe zur Musik und zum Tanz, das Streben nach Freiheit und Unabhängigkeit sowie über den Widerstand und das Erwachsenwerden. Die Musik schrieben Dietmar Mensinger, Frank Engel und Hanno Beckers, Regie führt Cornelius Knüpffer. Das international besetzte Ensemble besteht aus fünfzehn Künstlern, eine zwölfköpfige Band sorgt für die musikalische Umsetzung.
Weite Hosen und viel Schminke
Die „Herren“ tragen bevorzugt karierte, bis zu den Knien reichende Jackets, weite Hosen, bunte Krawatten oder Fliegen. Unverzichtbare Accessoires: Hut und/oder Regenschirm - egal, bei welchem Wetter. Die Mädels stehen auf flotte Röcke, Hosenanzüge und viel, viel Schminke. Die Idole der „Swing-Kids“ sind Benny Goodman und Count Basie. Der Haken an der Sache: Die braunen Machthaber indizieren diese „Nigger-Musik“ , und dazu zählten sie natürlich auch den Jazz, als entartet, primitiv, minderwertig und staatszersetzend. Es wird zunehmend schwieriger (und riskanter), sich ihr hinzugeben. Bruno und Co. lassen sich jedoch nicht beirren. Ihr Motto: Wir tanzen weiter - trotz der vorprogrammierten Konflikte mit der Obrigkeit. Und des ist ein Tanz auf dem Vulkan . . .
Dass es den Nationalsozialisten letztlich nicht gelungen ist, diese Musik zu eliminieren, zeigt aber die Geschichte. Für die Partitur von „Swing Time“ zeichnen Dietmar Mensinger, Frank Engel und Hanno Beckers verantwortlich, das Libretto stammt von Hartmut Schrewe, der neben Cornelius Knüpffer und Tonja Wiebracht auch das Buch schrieb. Regie führt ebenfalls Cornelius Knüpffer, die Musikalische Leitung liegt in den Händen von Robert Bonsmann. Die Choreografie besorgte Sven Daum.
Verzicht auf Bühnen-Pomp
Das Musicalensemble NRW war im Jahre 2000 aus der Tauf gehoben worden. Pate standen damals die Leiterin des Studienganges Musical der Folkwang-Hochschule Essen, Professor Patricia Martin, und der Kulturmanager Joachim Goldschmidt. Es versteht sich als kreative Schnittstelle zwischen Komponisten, Regisseuren, Sängern, Tänzern, Choreografen, Dramaturgen, Musikern und Autoren. Erklärtes Ziel: Das Genre Musical in seiner ganzen Vielfalt und Faszination auf die Bühne zu bringen, um fernab der kommerziellen Großproduktionen neue Farbakzente in der hiesigen Kulturlandschaft zu setzen. Dies alles unter bewusstem Verzicht auf Bühnenpomp und eine gigantsiche Technik-Maschinerie, die leider oft genug den Blick auf das Wesentliche, die Qualität des Spiels, des Tanzes und der Musik verstellen.
© by Jürgen Heimann
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