Blutsbrüder - Musical im Katielli Theater Datteln
Reich und Arm: Kennen Sie die Geschichte der Johnstone-Zwillinge?
Mit dieser Frage richtet sich seit der Premiere am 26.04.14 der Erzähler direkt an das Publikum des Katielli-Theaters in Datteln und erzählt danach die traurige Geschichte der „Blutsbrüder“, die am selben Tag geboren wurden und am selben Tag gestorben sind. Obwohl schon während der Ouvertüre das tragische Ende der beiden Hauptdarsteller vorweggenommen wird, wollten der Geschichte von Edward und Mickey seit der Weltpremiere 1983 in Liverpool und danach im Londoner West-End ununterbrochen 29 Jahre lang mehr als 12,5 Millionen Menschen gebannt folgen. Weltweit spielten in dem als bestes Musical ausgezeichneten Stück schon Stars wie Petula Clark, David Cassidy, Barbara Dickson oder Melanie C. von den Spice Girls. Das Werk von Willy Russell fand 1997/2005 seinen Weg in die Schweiz (St. Gallen) und 1999 nach Österreich (Akzent Theater Wien), bevor es dann 2007 erstmals in Deutschland aufgeführt wurde (Wilhelmshaven). Seit Bernd Julius Arends im November 2010 sein Katielli-Theater in Datteln eröffnete und mit phantastischen Musical-Inszenierungen von „tick, tick… BOOM!“ über „King Kong“ und „Thrill Me“ bis „Nonnstop“ zum Off-Broadway des Ruhrgebiets avancierte, war die Umsetzung dieses Musicals in seinem Theater ein lang ersehnter Wunsch, den er sich im April 2014 in einer eigenen und komplett neuen Textfassung erfüllte. Damit wird die neue deutsche Fassung von „Blood Brothers“ zugleich die bisher aufwändigste Produktion des Katielli-Theaters mit insgesamt acht Darstellern und einem für das kleine Theater recht großen Bühnenbild (Philipp Niggemeier, Bernd Julius Arends), das die Bühne des ehemaligen Kinos so weit ausfüllt, dass für eine Live-Band kein Platz mehr ist. Doch selbst, wenn die Musik in der Orchestrierung von Jeff Frohner und Markus Schürjann vom Band kommt, tut dies dem musikalischen Gesamtgenuss der Show keinen Abbruch, denn in Datteln stehen versierte Darsteller auf der Bühne, die neben der gesanglichen Leistung auch schauspielerisch keine Wünsche offen lassen.
Handlung und Geschichte des Musicals Blutsbrüder
Im Liverpool der 70er Jahre erwartet die mehrfache Mutter Mrs. Johnstone, die ihr Leben so gern mit dem Schicksal ihres Idols „Marilyn Monroe“ vergleicht, Zwillinge. Als alleinerziehende und hart arbeitende Frau kann Mrs. Johnstone aber unmöglich zwei weitere Mäuler stopfen. Die reiche, aber kinderlose Mrs. Lyons, bei der Mrs. Johnstone als Putzfrau arbeitet, kommt auf die Idee, ihrem auf Geschäftsreise befindlichen Mann eine Schwangerschaft vorzuspielen, um eins der Zwillinge gleich nach der Geburt heimlich von Mrs. Johnstone zu adoptieren. Nach der Geburt der Zwillinge nimmt sich Mrs. Lyons eines der Babys und zieht Edward als ihr eigenes Kind in reichen Verhältnissen auf, während Zwillingsbruder Mickey bei seiner wirklichen Mutter aufwächst. Durch ihre Arbeit sieht Mrs. Johnstone, wie ihr Kind behütet aufwächst. Damit die abergläubische Mrs. Johnstone keine Mutterinstinkte für den kleinen Edward entwickelt, erfindet Mrs. Lyons den Fluch, dass wenn ein bei der Geburt getrennter Zwilling jemals von der Existenz des anderen Bruders erfährt, beide auf der Stelle sterben.
Obwohl die Jungs nicht unterschiedlicher sein können, freunden sie sich im Alter von 7 Jahren sofort an, als sie sich zufällig beim Spielen auf der Straße begegnen, und beschließen Blutsbrüder zu werden. Zusammen mit Nachbarskind Linda erleben sie Abenteuer, die die Drei verbinden, und auch als die Mütter von der Freundschaft erfahren und den Umgang verbieten, treffen sich Mickey, Edward und Linda heimlich über die Jahre immer wieder. Selbst ein Umzug von Edward trennt die Blutsbrüder nicht lange, denn Schicksal und Zufall führt beide wieder als Erwachsene zusammen. Und beide verlieben sich in Linda, die sich für den forscheren Mickey entscheidet und ihn heiratet. Doch Arbeitslosigkeit und falscher Umgang bringen Mickey auf die schiefe Bahn. Mickey muss nach einem Einbruch ins Gefängnis und wird tablettensüchtig. Linda erkennt ihren Mann kaum wieder und wendet sich Edward zu. In einer schicksalhaften Nacht erfahren Mickey und Edward von Mrs. Johnstone die Wahrheit über ihre Geburt und Herkunft und der Fluch nimmt seinen Lauf…
Neue deutsche Fassung der Blutsbrüder für das Katielli-Theater
Die erste Version von „Blood Brothers“ war noch ein reines Theaterstück ohne Musik und so wird klar, dass das spätere Musical zwar wunderschöne Songs aufweisen konnte, die dramatische Handlung aber immer im Fokus des Stückes stehen sollte. Umso wichtiger war somit auch für die Produktion in Datteln eine Besetzung der Rollen nicht mit „nur“ guten Sängern, sondern mit glaubwürdigen Schauspielern. Dies ist Regisseur Bernd Julius Arends bestens gelungen. Während Arends selbst die Rolle des ruppigen Mickey Johnstone mit aufgeschlagenen Knien und laufender Nase übernahm, fand er in Markus Kloster („Harry & Sally“, „Der kleine Horrorladen“ am Westfälischen Landestheater Castrop-Rauxel) als verwöhnter Edward Lyons, der sich behutsam auf ein ausgebreitetes Taschentuch setzt, um seine Hose nicht dreckig zu machen, einen harmonisierenden Gegenpol. Gerade die Zeit als Kinder und Jugendliche stellen die beiden Schauspieler so unglaublich authentisch dar, dass in keiner Sekunde peinliche Momente entstehen, weil Erwachsene hier Kinder darstellen (in manchen Musicaleinspielungen dieses Werkes auf CD wirken die Kinderszenen oft albern). Im Katielli-Theater werden die Kinder glaubwürdig dargestellt und dies gilt in gleicher Weise auch für Rosaly Oberste-Beulmann („Into The Woods“ in Osnabrück, „Jinai“ und festes Ensemblemitglied des Theaters an der Niebuhrg in Oberhausen). Neben den schauspielerischen Qualitäten gefallen auch die Gesangsstimmen des Trios in „Kinderspiele“, während die Duette Kloster-Arends „Sonntagnachmittag“ und „Wie er sein“ wahre Musicalperlen sind (wenn Ihnen die Stimme von Markus Kloster als Erwachsener irgendwie aus dem Kino bekannt vorkommt: er synchronisiert Steve McQueen, Cary Grant und Shahrukh Kahn).
Als Mütter ebenfalls unterschiedlich wie Schwarz und Weiß sind die warmherzige Miriam Lotz (Schwester Maria Hildegard im Katielli-Hit „Nonnstop“, bei „Blutsbrüder“ auch musikalische Leitung und Stimmenarrangements) als Mrs. Johnstone, die schon beim Anschauen des Milchmanns schwanger wird, und Katharina Koch („King Kong“ in Datteln) als von Verlustängsten geplagte Mrs. Lyons. Zusammen bestreiten sie „Mein Kind“, Lotz darf mit dem Reprisen-Hit „Marilyn Monroe“ punkten und natürlich mit der bewegenden Ballade „Sag, es ist nicht wahr“, die jeden Zuschauer verlegen nach Taschentüchern kramen lässt. Sehr präsent ist auch Markus Alexander Neisser („On The Town“ in Nürnberg und München), der neben dem düsteren Erzähler in die Nebenrollen von Milchmann, Gynäkologe, Polizist, Schaffner, Lehrer, Gefängniswärter und Fabrikdirektor schlüpft. Seine eher rockigen Gesangsauftritte erlebt Neisser mit „Schuhe auf den Tisch“, „Zigeuner sind im Wald“ und „Ein Verrückter“. Daniel Andone („39 Stufen“ und „Mädelsabend“ im Katielli) übernimmt die Rollen von Sammy, Mr. Lyons, Mr. Johnstone, Gläubiger und Polizist, während sich Christine Schürmann („Nonnstop“ und „Katielli´s Christmas“) als Krankenschwester, Ärztin, Donna Marie, Nachbarin, Perkins, Lindas Freundin, Miss Jones und Abgeordnete Smith auftritt.
Alle Kostüme und Requisiten steuert Bernd Julius Arends bei. Die in der Mitte offene Bühne wird rechts von dem warmen, aber ärmlichen Backsteinhaus der Johnstones und links von der kühlen Hausfassade der Lyons begrenzt, die zum Innenraum aufklappbar ist. Hinten an der Bühnenwand gibt es ein Gerüst, das als Brücke im unteren Teil auch zum Gefängnis wird und durch Projektionen von Alexander Arnold zum Leben erwacht. Das ansonsten zurückhaltende Lichtdesign von Gerd Beckmann taucht die Bühne in Schlüsselszenen auch mal komplett in Blau oder Rot. Das Publikum vergisst mit dem Tondesign von Marc Bartels und Oliver Okunneck recht schnell, dass zumindest bei dieser Produktion das Live-Orchester komplett fehlt, das Orchesterplayback passt perfekt ins intime Katielli-Theater.
Mit „Blutsbrüder“ in der neuen Textfassung hat sich Bernd Julius Arends nicht nur einen langersehnten Traum erfüllt, er entführt sein Publikum mit seinen ausgezeichneten Darstellern auf eine emotionale Achterbahnfahrt, bei der gelachte Tränen schnell in geweinte Tränen wechseln. Hohes Niveau zu kleinem Eintrittspreis macht einen Besuch der „Blutsbrüder“ für Fans mit Hang zum Drama-Musical zu einem absoluten Muss. Eigentlich sollte die Spielzeit bereits mit der Vorstellung am 06. Juli 2014 beendet sein, doch wegen des großen Erfolges wird die Geschichte der Johnstone-Zwillinge nun bis Ende 2014 noch weitere 10 Mal erzählt (wobei im September die Rolle der Mrs. Lyons von Marion Wilmer gespielt wird).
Text: Stephan Drewianka, Fotos: Annabell Sibas / Ilona Voss (Fotobearbeitung: Stephan Drewianka)
Blood Brothers - Blutsbrüder: Ein Musical von Willy Russel
mit BERND JULIUS ARENDS, MARKUS KLOSTER, ROSALY OBERSTE-BEULMANN, MIRIAM LOTZ, KATHARINA KOCH, MARKUS ALEXANDER NEISSER, DANIEL ANDONE, CHRISTINE SCHÜRMANN
Regie: Bernd Julius Arends / Katharina Koch
Musikalische Leitung / Chorsätze: Miriam Lotz
Lichtdesign: Gerd Beckmann
Tondesign: Marc Bartels / Oliver Okunneck
Bühnenbild: Philipp Niggemeier / Bernd Julius Arends
Requisite: Bernd Julius Arends
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