The Producers in Hagen © Björn Hickmann
The Producers in Hagen © Björn Hickmann
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Premiere von „The Producers“ am Theater Hagen

Frühling für Du-weißt-schon-wen

Es gibt tatsächlich Broadway-Musical-Flops, die es nach der Premiere auf nur sehr wenige, reguläre Vorstellungen gebracht haben. „Dance Of The Vampires“ ließ Graf Krolock 2002 nur 56-mal zubeißen, „Carrie“ wurde 1988 nur 5 mal mit Blut übergossen, „Breakfast At Tiffany´s“ ging 1966 nur 4 mal frühstücken, während (Grace) „Kelly“ 1965 und „Moose Murders“ 1983 bereits am Eröffnungsabend nach nur einer Vorstellung geschlossen wurden.

Handlung The Producers

In Mel Brooks „The Producers“ passiert 1959 genau dies dem früheren König des Broadways Max Bialystock mit seinem neuen Hamlet-Musical „Funny Boy“. Doch ein veritabler Broadway-Flop wäre laut seines Buchprüfers Leo Bloom kein finanzielles Fiasko, hätte man als Produzent nur genug kriminelle Energie, um sich mit dem gesamten Produktionsbudget nach Rio abzusetzen, denn kein Investor würde bei einem Flop erwarten, sein Geld wiederzusehen, geschweige denn einen Gewinn ausgezahlt zu bekommen. Und da Leo heimlich davon träumt, ein Broadway-Produzent zu werden, schmieden Max und Leo den Plan, den größten Flop der Broadway-Geschichte zu produzieren. Sie finden in „Frühling für Hitler“ ein unglaublich schlechtes Buch des Exil-Nazis Franz Liebkind, der gerne die Titelrolle übernimmt, und verpflichten dazu den schrecklichen Regisseur Roger De Bris mit seinem Regenbogen-Team, dessen Motto „Mach es Gay!“ am Theater schon vielen Stücken rigoros die letzten Zuschauer vergraulte. Während Max erfolgreich einer ganzen Armee alternder Damen für die Aussicht eines zweiten Frühlings das Geld aus den Gehhilfen leiert, verpflichtet Leo die rassige schwedische Blondine Ulla als Hauptdarstellerin – wen interessiert schon dialektfreie, verständliche Aussprache beim Theater, wenn einen die optischen Reize aus dem Sessel hauen?

Als sich Liebkind beim Premierenabend auch noch sprichwörtlich das Bein bricht und Regisseur De Bris als schwuler Glitzer-Hitler einspringt, scheint einem Flop wirklich nichts mehr im Wege zu stehen. Doch das Publikum und die Kritiker sind von der bissigen Satire, die es eigentlich gar nicht sein sollte, ausgesprochen angetan und garantieren der Show eine jahrelange Spielzeit. Max und Leo fliegen mit ihrem Betrugsversuch auf, aber während es für Max ins Gefängnis geht, setzen sich Leo und Ulla tatsächlich mit 2 Millionen Dollar nach Rio ab. Bei der Gerichtsverhandlung taucht der durch Gewissensbisse geplagte Leo doch wieder auf und beide werden zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt. Aber die Produzenten können es auch hinter Gittern nicht lassen und produzieren mit den Häftlingen das Musical „Knackies mit Herz“, was nach ihrer Begnadigung ihr nächster Hit am Broadway wird…

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Filmkomödie von Mel Brooks

Basierend auf seiner Filmkomödie „Frühling für Hitler“ aus dem Jahr 1968 bastelte Autor Mel Brooks, der sich neben Thomas Meehan für Buch, Musik und Texte hauptverantwortlich zeigte und damit einer der wenigen Künstler ist, die mit den vier wichtigsten Auszeichnungen der US-Unterhaltungsbranche (Grammy, Oscar, Tony Award, Emmy) geehrt wurden, an seiner Musicaladaption „The Producers“, die am 19. April 2001 mit Nathan Lane und Matthew Broderick am Broadway Premiere feierte und Dank der einmaligen Rekord-Zahl von 12 gewonnenen Tony Awards zu den bisher erfolgreichsten Musicals am Broadway zählt. Brooks, selbst jüdischen Glaubens, wollte mit seiner Show nie den Holocaust verharmlosen, den Krieg verherrlichen oder den Nationalsozialismus ins Lächerliche ziehen, sondern der Musicalindustrie auf der Suche nach dem nächsten Broadway-Hit einen gnadenlos satirischen Spiegel vorhalten. Die Show wurde 2005 mit den originalen Broadway-Darstellern plus Uma Thurman und Will Farell verfilmt, doch leider konnte die Filmversion nicht mal die Produktionskosten einspielen. 

Obwohl ein schwuler, singender Hitler deutsche Theater lange Zeit abschreckte, wagte das Wiener Ronacher mit Andreas Bieber und Bettina Mönch 2008 die deutschsprachige Erstaufführung. 2009 war die Show im Admiralspalast in Berlin zu sehen, die internationale Aufmerksamkeit erhielt, weil die Großbanner und Fahnen mit einem schwarzen Brezel auf weiß-rotem Grund sehr an die nationalsozialistische Beflaggung erinnerten. Und so ist das Musical mit dem nicht ganz unumstrittenen Stoff auf deutschen Bühnen eher selten zu sehen. Am 04. März 2023 wagte das Theater Hagen in der Inszenierung von Thomas Weber-Schallauer einen neuen Anlauf. 

Und das kleine Hagener Stadttheater braucht sich mit der deutschen Fassung von Nina Schneider wahrlich nicht zu verstecken. Im besten Licht mit pfiffigen Videoprojektionen (Hans-Joachim Köster) erstrahlen die aufwändig gestalteten Kulissen von Sandra Linke abwechslungsreich unter wohl dosiertem Einsatz der Drehbühne in wunderbarem Glanz, dem die authentischen Kostüme von Yvonne Forster das Sahnehäubchen aufsetzen. Produzentenbüro, Theaterfassade, Taubenzuchtstation auf dem Dach, Showbühne, triste Finanzbehörde oder schwules Glitzer-Apartment wirken wertig und vermitteln einen realistischen Blick auf den Broadway des Jahres 1959. Bevölkert wird das Set durch ein tanzstarkes Ballett mit der sehenswerten Choreografie von Riccardo De Nigris und dem wie immer leicht opernhaften Chor des Theaters Hagen, der aber auch das Tanzbein schwingen lässt.

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Darsteller und ihre Rollen

Neben einem spielfreudigen und starken Ensemble dominiert die Hauptrollen ein unglaublich präsenter Ansgar Schäfer („Anatevka“ in Hagen) als Idealbesetzung des gescheiterten Broadway-Produzenten Max Bialystock mit Charme, Euphorie und Energie. Alexander von Hugo („Dear World“ in Bielefeld) als Leo Bloom verkörpert das genaue Gegenteil vom Erfolgsmann Max: er ist unterwürfig und neigt zu hysterischen Anfällen, die nur mit einem Kuscheltuch abgemildert werden können. Doch im Dream-Team mit Max wächst Leo steppend über sich hinaus und schnappt sich am Ende sogar das blonde, schwedische Sex-Sternchen, das mit der Britin Emma Kate Nelson („Street Scene“ in Köln) herrlich stereotyp besetzt ist. Florian Soyka brilliert als rosaroter Hitler und überkandidelter Regisseur Roger De Bries mit treu ergebenem Matthias Knaap als Lebensabschnitts-Assistent. Richard van Gemert überzeugt als Ex-Nazi in Lederhose, dessen sechs Tauben den Flügel-Hitlergruß perfekt beherrschen. Tobias Georg Biermann nimmt man den zackigen Sturmtruppenmann in der Hakenkreuz-Choreografie swingender Nazis fast ab. Alle Darsteller verbindet ein gutes Gefühl für Timing, und so flechten sich die Gags fast beiläufig und sehr natürlich in die Dialogpassagen ein, die durch starke Gesangspartien der abwechslungsreichen Musik im ganz großen Broadwaystil harmonisch komplettiert werden.
Steffen Müller-Gabriel dirigiert das gigantische Philharmonische Orchester Hagen, dem allein zuzuhören bereits das Eintrittsgeld wert ist, das durch die diesjährige Aktion eines 3 x 9 Euro-Tickets des Theaters Hagen (für 27 Euro personengebunden gültig für drei beliebige Vorstellungen innerhalb eines Monats) finanziell ein echtes Schnäppchen ist.

Bei aller Brisanz des Themas spendierte nach 2 Stunden und 45 Minuten das restlos begeisterte Premierenpublikum allen Mitwirkenden so lange stehenden Applaus, dass die Technik beim dritten Curtain-Call den Vorhang zunächst gar nicht mehr vollständig hochziehen wollte. „The Producers“ am Theater Hagen ist ein Überraschungshit, sicherlich nicht so groß wie original am Broadway oder in Berlin, aber für eine Stadttheaterproduktion unglaublich ambitioniert und rundum gelungen.

Text © Stephan Drewianka; dieser Bericht erschien ebenfalls in der Musical-Fachzeitschrift Blickpunkt Musical 02-23, Ausgabe 122
Fotos Bühne © Björn Hickmann; Fotos Schlussapplaus © Stephan Drewianka

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