Musical N Bisschen Frieden © Stephan Drewianka
Musical N Bisschen Frieden © Stephan Drewianka
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Musical „N Bisschen Frieden“ im Theater am Marientor in Duisburg

Hinterm Horizont gibt´s Frieden

Erfolgskomponist Ralph Siegel und Texter Bernd Meinunger schrieben vor 40 Jahren für die Sängerin Nicole den Hit „Ein bisschen Frieden“, der Deutschland den ersten Sieg beim Eurovision Song Contest bescherte. Der 77-jährige Siegel zeichnet sich verantwortlich für unzählige Schlager, die eigentlich jeder kennt. Rund 2000 Titel sind bei der GEMA gelistet und 25-mal traten seine Songs beim Grand Prix an. Nach „Lachen! Die Zeit der Clowns“ (Uraufführung Juli 2006 in Cuxhaven) und „Johnny Blue“ (Uraufführung Januar 2017 am Stadttheater Ingolstadt), landete Siegel im Oktober 2021 mit dem Musical „Zeppelin“ im Festspielhaus Neuschwanstein in Füssen seinen ersten überregionalen Bühnen-Erfolg.
 
Jetzt legt er mit „N Bisschen Frieden“ sein neustes Werk vor. Auf den ersten Blick vermutet man wie bei „Mamma Mia!“ oder „We Will Rock You“ eine Kompilation-Show mit den wichtigsten Werken eines Künstlers, wobei bekannte Songs mehr oder weniger gut in einen neuen Handlungskontext gepresst werden und eine eigene Geschichte erzählen, ohne die Originalhits groß zu verändern. „N Bisschen Frieden“ ist tatsächlich ein Best-Of-Musical, allerdings nicht mit den weltbekannten Hits des Komponisten Ralph Siegel (wie z.B. „Moskau“ von Dschingis Khan, „Theater“ von Katja Ebstein oder „Der Teufel hat den Schnaps gemacht“ von Udo Jürgens), sondern mit eher unbekannten Titeln aus der Sturm und Drang Zeit des Komponisten. Der „Rock ´n´Roll Summer“ aus der LP „Lass die Sonne in Dein Herz“ der Gruppe „Wind“ von 1987 bildet den Untertitel des Musicals und die Eckpfeiler der von Roland Kruschak entwickelten Story einer fiktiven deutsch-deutschen Ost-West Geschichte, die der Autor selbst so erlebt haben könnte, wenn auch seine autobiografische Liebe-über-Grenzen bei weitem nicht so spektakulär war.

Im „Summer Of Love“ 1967 verlieben sich die Studentin Elisabeth aus West-Berlin in den Protest-Musiker Richard, der in seiner DDR-Heimat mit seiner „Richard Steiner Combo“ immer wieder die Aufmerksamkeit des DDR-Regimes in der Figur des Stasi-Manns Walter Krause auf sich zieht. Als Richard ein Angebot Krauses, selbst für die Stasi zu arbeiten, vehement ablehnt, erteilt Krause der Band Auftrittsverbot, verweigert Elisabeth die Einreise in die DDR und steckt Richard ins Gefängnis. Nach seiner Entlassung plant Richard 1979 mit Band-Kollege Bernd die Flucht aus der DDR mit einem Schlauchboot über die Ostsee, wo beide verschwinden und schließlich für tot erklärt werden. 30 Jahre später meint die jetzt 70-jährige Elisabeth, die in der Zwischenzeit verheiratet war und eine Tochter hat, ihren Richard in einer Zeitschrift über Reiseziele in Südengland wiederzuerkennen. Elisabeth vertraut sich ihrer Enkelin Nina an, die von einer Musiker-Karriere träumt, und überredet sie, mit ihr nach Brighton zu fahren. Dort will sie ihren Ricky finden und ihren Seelenfrieden mit ihm schließen, während sie Ihrer Enkelin von der dortigen Musikschule vorschwärmt, bei der sie eine Musiker-Ausbildung beginnen könnte.

Ohne ihren Eltern viel von ihren Plänen zu erzählen, reist Nina mit Elisabeth nach Brighton, nimmt an einem Vorsingen der Musik-Hochschule teil und lernt am Pier den Straßenmusiker Tom kennen, der sie schließlich zu einem älteren Kollegen Rick führt. Ist dieser Rick tatsächlich der verschollene Richard und kann sich Elisabeth, die ebenfalls all die Jahre ein Geheimnis hütete, mit ihm aussprechen? Doch Elisabeth und Nina sind nicht allein in England eingereist. Ninas Eltern wollen ihre zum Scheitern verurteilte Musiker-Karriere beenden, damit ihr Mädchen etwas Ordentliches lernt. Und dann ist da noch Krause, der nach all den Jahren Wind davon bekommen hat, dass Richard Steiner seine Memoiren veröffentlichen will, und er herausbekommen muss, was Richard über die Ereignisse seiner Ostsee-Flucht und das Verschwinden von Bernd publik machen will.

Nach dem Udo Lindenberg Musical „Hinterm Horizont“ ist „N Bisschen Frieden“ ebenfalls ein Stück Aufarbeitung Deutsch-Deutscher Geschichte auf der Bühne. Doch während „Hinterm Horizont“ von 2011 bis 2016 fünf Jahre am „Originalschauplatz“ Berlin am Theater am Potsdamer Platz aufgeführt wurde und danach noch 1 Jahr am Operettenhaus Hamburg zu sehen war, fand die Premiere von Ralph Siegels Musical am 20.10.2022 im ehemaligen „Les Miserables“ Theater am Marientor in Duisburg statt – weit weg von Berlin und der ehemaligen DDR. Lockt das geschichtsträchtige Thema das Musical-Publikum auch in NRW ins Theater? Viel Medienpräsenz über das neue Musical im TaM war erst zur Premiere wirklich wahrnehmbar und vielen Duisburgern war gar nicht bewusst, dass in ihrer Stadt wieder ein Musical en suite (zumindest regelmäßig an den Wochenenden) gespielt werden sollte. Dazu saß einigen Musicalfans noch die Pleite des für den 14.11.2019 angekündigten Musicals über den schottischen Highlander und Freiheitskämpfer William Wallace in den Knochen, die ersatzlos und endgültig vom Spielplan gestrichen wurde. Viele Zuschauer wollten in Krisenzeiten mit dem Kauf von Eintrittskarten erst einmal abwarten, ob „N Bisschen Frieden“ überhaupt das Licht der Welt erblicken würde. Doch siehe da, viel Prominenz fand Ende Oktober den Weg in das schöne Musicaltheater in Duisburg und bekam eine mit über 180 Minuten Spielzeit nicht gerade kurze Nachhilfestunde in Sachen Ost-West-Konflikt. Die Tagespresse fand wenig positive Worte für das Stück und bemängelte neben technischen Schwierigkeiten der Videowand vor allem die Länge des Musicals. Wir besuchten das Musical am Samstagabend (22.10.2022) zur vierten regulären Vorstellung.

Die Bühne beherrscht eine große Videoleinwand, auf der bewegte Bilder dezent einen stimmungsvollen Hintergrund bilden, z.B. während der Ouvertüre eine „Spiegelung“ des Duisburger Theatersaals, das Pier und eine Geschäftsstraße von Brighton, oder die Räume der Musicalakademie. Weitere Requisiten sorgen für einen dreidimensionalen Eindruck echter Kulissen, obgleich die Produktion durch diese Lösung Tournee-tauglich anmutet. Anders als bei der Premiere funktionierte die Technik während der gesamten Show, bis auf kleine Verzögerungen beim Kulissenumbau, der manchmal nicht ganz geräuschlos funktionierte. Der Ton war gut ausgesteuert und klar verständlich. Die Live-Musik von Wolfgang Dalheimer & Band unter der Leitung von Konstantinos Kalogeropoulus wird von den Musikern rechts auf der Bühne gespielt. Und die haben eine Menge zu tun. Laut Programmheft werden 21 Songs im 1. Akt und 18 Titel im 2. Akt gespielt, wobei sich englische und deutsche Songtexte abwechseln und sich ungefähr die Waage halten. Da die Handlung nicht nur in der DDR, sondern auch in Südengland spielt und viele Lieder als „Songs auf der Bühne“ präsentiert werden, macht der Sprachenwechsel inhaltlich durchaus Sinn. Tatsächlich kann man als Nicht-Ralph-Siegel-Spezialist kaum unterscheiden, ob die Titel Klassiker sind oder ob Ralph Siegel sie neu für das Musical komponiert hat. Das musikalische Spektrum ist breit gefächert von Liebesballade, Schlager, Country, Rock und Musical-Hymne – „Elisabeth, Elisabeth“ im Finale des ersten Aktes ist der „Gethsemane“-Moment des Musicals. Überhaupt fühlt man sich zwischenzeitlich an andere Stücke erinnert, wenn bei der Aufnahmeprüfung zur Musikhochschule ein „Flashdance“-Feeling aufkommt oder in einer Mode-Boutique Stoffbahnen wie bei „Josephs“ Träumer-Kleid rotieren (eine Szene, die inhaltlich nicht ganz schlüssig ist, wenn sich Oma und Enkelin vor ihren Eltern verstecken möchten und sich als total unauffällige Verkleidung ein Marilyn Monroe Kleid und ein Frühstück bei Tiffany Outfit zulegen). Eine Sonderstellung nimmt der Titelsong „N Bisschen Frieden“ ein. Dieser entwickelt sich von einem ersten Entwurf auf der Gitarre in einer anderen Tonart in mehreren unterschiedlichen Reprisen von Oma zu Enkelin immer weiter bis zur Endfassung „A Little Peace“ als Duett beider Damen bei der Aufnahmeprüfung – ein fiktiver Einblick in die Entstehung eines Welthits, der über reine Reprisen eines Titels weit hinausgeht.

Interpretiert werden die 39 Songs von einer ungewöhnlich großen Darstellerriege aus 32 Personen, die nicht zwingend aus der Musicalbranche stammen. Jennifer Siemann („Hinterm Horizont“, ARD-Serie „Sturm der Liebe) ist die aufstrebende Musikerin Nina Bauer mit viel Talent. „Münchener Freiheit“-Sänger Jörg-Tim Wilhelm ist der Protest-Sänger Richard Steiner, der politisch bei der Stasi aneckt und 30 Jahre später als Rick Stone wieder auftaucht, dann gespielt von „Voice Of Germany Senior“ Staffel 1 Gewinner Dan Lucas. Elisabeth Jünger wird ebenfalls von 2 Darstellerinnen verkörpert, Madeleine Haipt („Die Päpstin“, „Ludwig 2“) spielt das „Hair“-Blumenkind in den 60er-70er Jahren, Sonia Farke („Bonnie & Clyde“, im Fernsehen „Hinter Gittern“) übernimmt den reiferen Part der einfühlsamen und abenteuerlustigen Oma. Michael Thurner („Zeppelin“, „Barricade“) ist der hilfsbereite Straßenmusiker von Nebenan Tom Woodland.

NDW-Altstar „Markus“ („Ich will Spaß“) Mörl ist Bandmitglied Bernd Hinrichs der Richard Steiner Combo. Weil Heinz Hoenig („Das Boot“) kurz vor der Musicalpremiere Vater wurde und erst ab Dezember 2022 spielen wollte, übernahm Tom Barcal („Alles was zählt“) die Rolle des älteren Stasi-Spitzels Walter Krause. Dessen junges Alter-Ego wird von Benjamin Heil gespielt und dessen Besessenheit bei der Strafverfolgung eigentlich Unschuldiger erinnert an Javert aus „Les Miserables“– ohne jedoch dessen Charaktertiefe zu erreichen.

Aus dem weiteren Ensemble fällt Stefanie Black mit kräftiger Soulstimme als Hochschulleiterin Jenny Jones und Henriette Schreiner als überkandidelte Moni im Nachtklub positiv auf, während Yvonne König und Lutz Thase als Ehepaar Bauer und Ninas Eltern eher spröde und trocken angelegt sind. Die Choreografie von Stefanie Gröning ist schmissig und gefällt.

Musical mit Potenzial trotz gewisser Schwächen

Eigentlich spricht vieles für einen Musical-Erfolg und das Publikum war zum Schlussapplaus auch sichtlich zufrieden. Doch wirklich zündet der Stoff unter der Regie von Benjamin Sahler in Duisburg wohl doch nicht. Das mag dem Fakt geschuldet sein, dass das Buch von Roland Kruschak nicht so viel hergibt, um den Zuschauer über 3 Stunden Spielzeit emotional zu fesseln. Hier sollte sinnvoll gekürzt und dramaturgisch gerafft werden. Die Erzählform, die immer wieder zwischen verschiedenen Zeiten 1967, 1979 und 2009(?) hin und her springt und dabei immer mehr über die Hauptpersonen enthüllt, mag auch etwas verwirrend sein. Die Texte von Co-Autor Michael Kunze („Elisabeth“, „Tanz der Vampire“) waren bei einigen Darstellern noch nicht wirklich verinnerlicht, so dass das Stück wirkt, als sei es mit heißer Nadel gestrickt.

Insolvenz des Musicals wegen zu geringer Kartenverkäufe

Die Vorverkaufszahlen der Eintrittskarten waren so gering, dass der Veranstalter bereits vier Tage nach der Premiere die Notbremse zog und alle weiteren Vorstellungen bis Mitte Dezember absagen musste, wobei 15 Shows vom 16.12.22 bis 31.12.22 eigentlich noch stattfinden sollten. Am 08.11.22 wurde die Homepage des Musicals dann bis auf ein Ticketrückgabeformular und das Impressum gelöscht, einen Tag später meldete NBF Musical Production um Theaterdirektor Wolfgang DeMarco offiziell Insolvenz an, da bis zu diesem Zeitpunkt erst 1000 Eintrittskarten verkauft wurden, was einen weiteren Spieltrieb unmöglich mache. Schade, denn „N Bisschen Frieden“ hat sicherlich Potential und mag vielleicht an anderer Spielstätte erfolgreicher als im Ruhrpott sein.

Text und Fotos © Stephan Drewianka, dieser Bericht erschien ebenfalls in der Fachzeitschrift Blickpunkt Musical 06-22 - Ausgabe 120

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