„The Goodbye Girl“ am Theater Bielefeld
The Goodbye Girl: Immer Ärger mit dem Untermieter
Neil Simon schrieb das Skript zu “The Goodbye Girl”, das 1977 mit Richard Dreyfuss verfilmt wurde (deutscher Titel „Der Untermieter“). Marvin Hamlisch, Komponist des mit dem Pulitzer Prize ausgezeichneten Musicals „A Chorus Line“ und zahlreicher Soundtracks (u.a. zum 007 Klassiker „Der Spion, der mich liebte” mit dem Song “Nobody Does It Better“ von Carly Simon) und musikalischer Wegbegleiter von Barbra Streisand („The Way We Were“), adaptierte den Stoff mit den Songtexten von David Zippel als Broadway-Musical. Nach den Try-Outs in Chicago kam das Stück 1993 mit Bernadette Peters und Komiker Martin Short, der damit sein Broadway-Debüt feierte, nach New York, wo es mit mäßigem Erfolg nach 188 Vorstellungen im gleichen Jahr abgesetzt wurde, weil es nicht mit den Ausstattungs-Musicals von Webber, Wildhorn und Schönberg mithalten konnte. Für die West End Premiere in London 1997 bekam das Musical komplett neue Songtexte von Don Black, die jedoch hinter dem Charme des Originals zurückblieben und später als unnötige Überarbeitung scharf kritisiert wurden. Die deutschsprachige Erstaufführung feierte „The Goodbye Girl“ Mitte Oktober 2005 als Produktion der Musikschule Mosbach.
Das Theater Bielefeld zeigt ab 02. Oktober 2021 die deutschsprachige Erstaufführung der neuen Übersetzung von Laura Friedrich Tejero (weibliche Parts) und Roman Hinze (männliche Parts) – aber keine Sorge, was auf den ersten Blick nach zusammengeschustertem Stückwerk der Songtexte klingt und in der Vergangenheit der Pferdefuß der britischen Produktion war, kommt in Bielefeld frisch, flott und fröhlich über die Bühne und unterstreicht charmant den Charakter der originalen romantischen Liebes-Tragik-Komödie.
Die Handlung
Paula McFadden bewohnt mit Tochter Lucy das Apartment ihres Freundes Tony de Forrest in New York. Der Schauspieler hat ein Filmangebot in Spanien erhalten und gibt seiner Freundin per Abschiedsbrief den Laufpass. Paula selbst ist Broadway-Tänzerin, deren Tage mit fortgeschrittenem Alter auf der Bühne jedoch angezählt sind. Zu allem erfährt sie von ihrer Vermieterin Mrs. Crosby, dass ihr Exfreund ihre Wohnung untervermietet hat. Und kurz nach Mitternacht steht der neue Untermieter vor der Haustür. Nach misslungenem Versuch, Schauspieler Elliot Garfield den Zutritt zur Wohnung zur verweigern, einigen sich beide schließlich, die Wohnung zu teilen. Trotz aufgestellter Regeln geraten die beiden Streithähne ständig aneinander, obwohl beide ähnliche Schicksale teilen. Elliot kommt mit dem Regiekonzept seines Off-Broadway Theaterregisseurs nicht zurecht, und die Premiere von Richard III mit Eliot in der Titelrolle wird von den Kritikern zerrissen. Paula muss ihre Karriere als Broadwaytänzerin aufgeben und tritt als tanzende Frittentüte in einer drittklassigen TV-Show auf. Und weil geteiltes Leid halbes Leid ist, kommen sich die karriere-gebeutelten Paula und Elliot zaghaft näher. Doch Lucy traut dem Braten nicht, da ihre Mutter schon viel zu oft von ihren Liebhabern sitzengelassen wurde. Mit viel Einfühlungsvermögen gelingt es Elliot aber, Lucys Vertrauen zu gewinnen und er macht Paula, die mittlerweile als Choreografin eine Tanzklasse leitet, einen Heiratsantrag. Und dann bekommt Elliot ein verlockendes Filmangebot aus Kanada angeboten und verlangt, dass Paula und Lucy ihn ins Ausland begleiten, wovon beide gar nicht entzückt sind, und ein Streit um Selbstbestimmung entbrennt. Elliot bricht zum Flughafen auf und Paula bleibt, wie zuvor mit Tony, allein zurück – oder gibt es doch noch ein Happy End?
Die Inszenierung von Thomas Winter besinnt sich auf den ursprünglichen Kern von Neil Simons 3-Personen-Skript zu „The Goodbye Girl“ und stellt die drei Hauptcharaktere des Stücks in den Mittelpunkt der Handlung, was ihm durch die exzellente Auswahl der Darsteller bestens gelingt.
Die Darsteller des Musicals The Goodbye Girl in Bielefeld
Romina Markmann machte ihren Abschluss 2018 an der Hochschule Osnabrück und wirkte u.a. in „Hairspray“ (Dortmund), „Big Fish“ (Gelsenkirchen), „Hair“ und „Cabaret“ (Chemnitz) mit. Als Tochter Lucy versprüht Markmann in Bielefeld jugendlichen Esprit, unterstützt Paula in schweren Zeiten mit überschwänglichem Lebensmut und warnt gleichzeitig vor falschen Hoffnungen, und dies nicht nur mit überzeugendem Schauspiel, sondern auch mit kristallklarer Stimme.
Nikolaj Alexander Brucker, dessen erstes Musicalengagement nach seinem Studium an der Folkwang Universität der Künste in Essen 2005 der Raoul in „Das Phantom der Oper“ im Colosseum Theater war und der seitdem in vielen Hauptrollen von „Aida“ über „Sunset. Blvd.“ bis „Chess“ brillierte, ist seit 2018 ein gerngesehener Gast am Theater Bielefeld, wo er in „My Fair Lady“, „Lazarus“ und „The Black Rider“ spielte. Dem stimmstarken Tenor gelingt die Darstellung eines durchweg überzeugenden Elliot Garfield, zunächst als unsympathischer Egoist und missverstandener Schauspieler, aber auch als gefühlvoller Vaterersatz und romantischer Liebhaber. Frederike Haas ist zweifache Preisträgerin des Bundeswettbewerbs Gesang für Chanson und Musical, erhielt 2016 den Deutschen Musical Theater Preis als „Beste Hauptdarstellerin“ für die Titelrolle in „Stella“ und verkörperte 1999 als eine der ersten Deutschen am Londoner West End die Roxie Hart in „Chicago“. Ihre Paula McFadden überzeugt durch bestes Timing in Mimik und Gestik, gerade wenn sie im Tanzstudio zu der mitreißenden Choreografie von Dominik Büttner bewusst immer einen Takt hinterherhinkt.
Aus dem weiteren Ensemble stechen Amanda Whitford als resolute Hausbesitzerin Mrs. Crosby mit imposanter Soul-Röhre und Carlos Horacio Rivas in gleich drei komödiantischen Rollen hervor zusammen mit zwei grandiosen Tanzpaaren.
Musik und Kostüme
Die Partitur von Marvin Hamlisch unterhält mit stimmungsvollen Balladen, schmissigen Tanzsequenzen und groovigem Jazz für großes Orchester unter der wie immer glänzenden musikalischen Leitung von William Ward Murta im bestens verständlichen Sounddesign von Morgan Belle. Die Kostüme und Bühne von Sebastian Ellrich setzen ein interessantes, minimalistisches Design aus leuchtenden Raumquadern des Apartments auf der Drehbühne um, gepaart mit einem Farbschema, das neben Schwarz und Weiß alle Schattierungen von Grau und einem Lachsrot als beinahe einzige Farbe zeigt („störende“ Ausnahme ist die TV-Showsequenz, in der die Tanz-Kostüme gelbe Pommes und braune Hamburger mit grünen Salatblättern zieren).
Am Theater Bielefeld ist „The Goodbye Girl” ein altmodisch anmutender, aber wunderschöner Broadway-Klassiker, der für fast 3 Stunden kurzweilig ohne Längen mit detailliert gezeichneten Charakteren unterhält, selbst wenn man genau weiß, dass am Ende alles gut wird.
© Text: Stephan Drewianka, dieser Bericht erschien ebenfalls in der Musical Fachzeitschrift Blickpunkt Musical 05-21 - Ausgabe 114,© Szenen-Fotos: Sarah Jonek Fotografie, Fotos Schlussapplaus: Stephan Drewianka
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