„Die 3 Musketiere“ bei den Thüringer Schlossfestspielen Sondershausen
Gekreuzte Degen vor dem Schloss
Das niederländische Musical „Die 3 Musketiere“ der Brüder Bolland im Auftrag von Joop van den Ende, das nach der Weltpremiere im März 2003 in Rotterdam in deutscher Fassung von 2006 bis 2008 in Berlin und Stuttgart von der Stage Entertainment gezeigt wurde, steht seit dem 24.06.2022 in einer recht spektakulären Open-Air Kulisse auf der Bühne. Das Schloss Sondershausen bietet einen wunderbaren Hintergrund für das musikalische Mantel- und Degen Spektakel, und es ist fast bedauerlich, dass die Schlossfassade nicht Teil der Handlung der historischen Vorlage von Alexandre Dumas werden konnte. 3 überdimensional gekreuzte Degen, zwei bewegliche, runde Treppenfragmente auf einer kreisrunden Haupt-Bühne mit der Karte von Europa stellen die eigentliche Kulisse von Wolfgang Kurima Rauschning dar, die der nicht überdachten Zuschauertribüne mit zugegeben etwas engen Plastikschalensitzen gegenübersteht. Die verschiebbaren Treppen bieten erstaunlich abwechslungsreiche Möglichkeiten zur Gestaltung einzelner Räume und können auch als Sichtschutz dienen, um neue Bilder versteckt vor den Blicken des Publikums aufzubauen.
Das Loh-Orchester Sondershausen ist unsichtbar im Schlosssaal untergebracht, spielt unter der musikalischen Leitung von Henning Ehlert und Florian Kießling Dank des gelungenen Tons von Jörg Wiegleb und Michael Scharifi recht kraftvoll auf, und neben klassischen Instrumenten gibt es auch Synthesizer-Klänge zu hören, die aber gut zu den vielen Hits der Show passen. Wer die niederländische Originalfassung kennt und schätzt und sich immer gefragt hat, warum die deutsche Version der Stage Entertainment den hocherotischen Showstopper „Mannen“ für „Männer“ in eine entschärfte Tango-Version verwandelt hat und beim wundervollen Damentrio „Wer kann schon ohne Liebe sein“ das dramatische Tempo gedrosselt hat, darf sich in Sonderhausen zurücklehnen und fasziniert einer Musik lauschen, die dem Original sehr nahekommt. Nur beim „Einer für Alle“-Finale schwingt der Dirigent den Taktstock so energisch fix, dass Darsteller und Chor kaum mit dem Text nachkommen. Der instrumentale Background für die Darsteller ist wirklich exzellent, und die Besetzung weiß mit der Vorlage gut umzugehen.
Die Darsteller der Drei Musketiere
Allen voran ist Tobias Bieri („Friedrich“, „We Will Rock You“) als blond-gelockter D´Artagnan ein spitzbübischer Sunnyboy, der ein rockiges „Heut ist der Tag“ ebenso mühelos schmettern kann wie er die leiseren Töne bei „Vater“ siegessicher trifft. Seine „Constance“ ist mit Laura Saleh („Hair“, „When Musical Meets History“-Konzerte) wunderbar besetzt, und ihre Stimme bezaubert sowohl als Solo in „Gott lächelt uns zu“ oder in Duetten („Alles“). Eve Rades („Jane Eyre“, „Hinterm Horizont“) als weibliche Gegenspielerin vereint Power, Erotik und Dramatik als „Milady ist zurück“ de Winter, die nicht nur kaltherzig böse, sondern mit Tiefgang bei „Wo ist der Sommer“ auch beinahe liebenswert sein kann. An Kardinal Richelieu mit Operntenor Marian Kalus („Die Päpstin“, „Addams Family“) gewöhnt man sich recht schnell und kann seine Kirchenchoral-Version von „Nicht aus Stein“ schätzen. Die titelgebenden Figuren der 3 Musketiere sind mit Nicky Wuchinger („Das Phantom der Oper“, „Flashdance“) als Athos, Ruud van Overdijk („Chess“, „Jesus Christ Superstar) als Aramis und Emanuel Jessel („Disney´s Der Glöckner von Notre Dame“, „Berlin Berlin“) als Porthos zwar prominent und rollendeckend besetzt, aber „Der Engel aus Kristall“ könnte mit etwas mehr Karat noch glänzender funkeln. Elisabeth Köstners („Dracula“, „Bonifatius“) Königin Anna strahlt Würde und Eleganz aus und ihr „Kein geteiltes Leid“ bewegt. Jens Bauers König Ludwig XIII. ist ein wimmerndes Häufchen Elend, wie es im Drehbuch steht, während Dominic Büttner als eleganter Herzog von Buckingham und Marc Trojan als einäugiger Rochefort noch echte Kerle sein dürfen. Aus dem Ensemble muss Christopher Wernecke lobend Erwähnung finden, dessen androgyner Conférencier tragend durch die Handlung führt, während er als schwuler Butler James jeden Lacher auf seiner Seite hat.
Wie immer in Musicals fühlt sich ein opernerprobter Festspielchor der Thüringer Schlossfestspiele Sondershausen eher wie ein Fremdkörper an, da die klassischen Opernstimmen nicht wirklich zu der recht rockigen Partitur der Musik der Brüder Bolland passen und auch die Textverständlichkeit deutlich leidet. Ganz im Gegensatz zur wirklich ansehnlichen Choreografie von Dominik Büttner des Balletts TN LOS!, die perfekt abgestimmt ist. Eigentlich gilt das auch für die Kampfchoreografie von Ricardo Camillo und die Fechtchoreografie von Philipp Franke, die aber manchmal etwas verhalten wirkt, was verständlich ist, es soll sich schließlich niemand ernsthaft verletzten.
Die Inszenierung und Kostüme
Die Inszenierung von Sabine Sterken nimmt leider keine klare Position ein zwischen historischer Korrektheit oder modernen Anspielungen. Zwar ist die Idee, D´Artagnans Pferd Pomme de Terre durch zwei Darstellerinnen mit einer grün-schwarzen Pferdekopfmaske darzustellen, wirklich gelungen, und auch die Geschichtenerzählung des Conférenciers mit gemalten „Einblendtafeln“, u.a. mit der Aufschrift „Breaking News“, zu unterstützen recht pfiffig, doch andere Einfälle treffen nicht ins Schwarze. So sind die Kostüme von Anja Schulz-Hentrich bei den Hauptdarstellern meist wertig und wirken edel, das blau der Musketier-Mäntel setzt einen komplementären Gegensatz zur roten Kardinalsgarde, während die royalen Majestäten in neutralem braun-gold gehalten sind. Auch Milady de Winter darf in schwarzem Lack und Leder erotisch-exotisch und modern daherkommen, genauso wie D´Artagnan in braunen Jeans mit Jacke und Turnschuhen in Kombination mit dem mittelalterlichen Rüschenhemd eher sportlich wirken darf. Aber König Ludwig XIII. in weißen Jeans mit Turnschuhen, die durch goldene Schnürsenkel royal aufgewertet werden, wirken doch unpassend genau wie das chaotische Sammelsurium von knallbunten Kombinationen der Pariser Bürger. Ganz anders wirken die Kostüme bei der Jagd und im Kloster, die zwar überzeichnet sind, aber eine eindeutige Bildersprache tragen. Die Getränkekisten aus Plastik sind allerdings weit entfernt vom zitierten Wein, und die blaue Umhängetasche D´Artagnangs könnte eher die Schultern eines It-Girls auf Youtube zieren.
Fazit zum Musical Die Drei Musketiere in Sondershausen
So kurzweilig und frisch die fast 90 min im ersten Akt wirken, kann das grandiose Tempo im zweiten einstündigen Akt nicht gehalten werden, was auch dem Buch geschuldet ist. So verliert das dramatische Finale zwischen Athos und Milady de Winter im Duett-Part von „Wo ist der Sommer?“ leider an Intensität. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau, denn eigentlich ist die Produktion sehenswert und unbedingt eine Reise nach Thüringen wert!
© Text: Stephan Drewianka, dieser Bericht erschien ebenfalls in der Musical Fachzeitschift Blickpunkt Musical 04-22 - Ausgabe 118, Fotos © Marco Kneise
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