Musical Das Tagebuch des Bobby Griffith
Musical Das Tagebuch des Bobby Griffith
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Musical Das Tagebuch des Bobby Griffith; Jakob Schneider, Tim Berkels; Die 2. Besetzung, Spielraum Bottrop, Weltpremiere:  27. Januar 2012

Regie: Tim Berkels; Musikalische Leitung: Jakob Schneider, Philipp Nowicki, Kathrina Jendral; Dramaturgie: Anika Melzner; Choreografie: Philipp Nowicki; Bühnenbild: Katharina Jendral, Tim Berkels; Kostüme: die 2. Besetzung; Lichtgestaltung: Pascal Weber, Tim Berkels; Tongestaltung: Oliver Rehbronn

Bobby Griffith: Philipp Nowicki; Andrew: Tim Berkels; Mary Griffith: Janina Meiners/ Anika Melzner; Ann Griffith: Lisa Bracht, Lisa Brandenberg; Peter Griffith: Andreas Köhr; Grandma: Katja Vesper, Laura Korte; Hether: Katharina Jendral, Inga Haferkamp; Psychiaterin: Mandy Krajewski, Miriam Krause; Patrick/Cloe: Patrick Hettenberger; Bettie Lambert: Marina Manfredini; Reverend Wizel: Björn Buß/ Philipp Kessel

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Weltpremiere des Amateur-Musicals Das Tagebuch des Bobby Griffith in Bottrop

Gebete für Bobby Griffith oder kommen Schwule in die Hölle?

Anfang der 80er Jahre verliebt sich im amerikanischen Vorort Hazelnut Creek der streng religiös erzogene Bobby Griffith in Andrew, einen Jungen aus dem Kirchenchor. Als Bobbys Mutter Mary von der angeblichen Veranlagung ihres Sohnes erfährt, lässt Sie über Psychiaterbesuche und Kupplungsversuche mit Nachbarstöchtern nichts unversucht, Bobby von seinem verdammungswürdigen Verhalten abzubringen, denn sonst wird Bobby noch im Fegefeuer enden. Bobby und Andrew ziehen zusammen, doch jeder Versuch einer Aussprache mit der Mutter endet in Streit. Zurückgewiesen von der Mutter sieht Bobby wie Andrew mit einem anderen Mann lachend eine Schwulenbar verlässt. Voller Verzweiflung stürzt sich Bobby von einer Autobahnbrücke in den Tod. Im Tagebuch von Bobby und in der Bibel sucht Mary Antworten nach dem Grund für Bobbys Selbstmord. In einer Kirche, die Homosexualität akzeptiert, rät ihr der Reverend, an einem Treffen von PFLAG (Parents, Families and Friends of Lesbians and Gays) teilzunehmen, doch erst ein Traum von Bobby gibt ihr die Einsicht, dass nur ihre Intoleranz seinen Tod verschuldet hat. Mary Griffith beginnt, sich öffentlich für die Akzeptanz von homosexuellen Jugendlichen einzusetzen, um Anderen Bobbys tragisches Schicksal zu ersparen.

Geschichte von Bobby Griffith nach einer wahren Begebenheit

Die Geschichte von Bobby Griffith beruht auf einer wahren Begebenheit und diente dem Journalisten Leroy F. Aarons  als Vorlage für seinen Roman “Prayers for Bobby: A Mother's Coming to Terms with the Suicide of Her Gay Son“, der 2009 mit Sigourney Weaver für das Kabelfernsehen verfilmt wurde und für Rekordeinschaltquoten sorgte. Der 21-jährige Tim Berkels aus Haltern hatte Anfang 2011 die Idee, diesen Stoff als Musical umzusetzen, schrieb ein Textbuch und gründete zusammen mit Katharina Jendral und Philipp Nowicki den gemeinnützigen Verein „Die 2. Besetzung“. Im erst 17-jährigen Jakob Schneider, einem Multitalent an Geige, Klavier, Schlagzeug, Gitarre und Bass, der 2011 im Wettbewerb „Jugend komponiert“ mit zwei Förderpreisen ausgezeichnet wurde, fanden sie den idealen Komponisten, der die dramatische Geschichte mit 18 passenden Songs wirkungsvoll unterstreichen konnte. Nach einem nur mit mäßigem Erfolg ausgerichteten ersten Casting zählt das Ensemble mittlerweile rund 30 Mitglieder und nach nur 9 Monaten wochenendlicher Proben war das Baby Das Tagebuch des Bobby Griffith am 27.01.2012 bereit, das Licht der Theaterwelt im Spielraum Bottrop zu erblicken.

Und so mancher Besucher war positiv von der Professionalität der sehr jungen Darsteller, der hohen Qualität des Stückes sowie dessen technischer Umsetzung überrascht.
Philipp Nowicki, der 2009 den 1. Preis beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ in der Kategorie Musical gewonnen hat und bei der Konzertreihe Musicalstars In Concert als Gaststar von Thomas Borchert in seinem Weihnachtsprogramm Borchert Besinnlich 2011 auftrat, verkörpert den verletzlichen und unsicheren Bobby Griffith mit starker Bühnenpräsenz, so dass es sehr bedauerlich ist, dass Bobby sich am Ende des ersten Aktes das Leben nimmt und somit viel zu früh von der Bühne (bis auf ein kleines Wiedersehen) abtritt. Stückautor Tim Berkels mimt überzeugend den starken Verführer Andrew, der sich auch in der etwas zwielichtigen Schwulenbar „Amor“ wie zu Hause fühlt aber dann nach Bobbys Selbstmord tief verzweifelt ist, weil er den Menschen verloren hat, der ihm alles bedeutet hat. Janina Meiners als Mutter Mary will für ihren geliebten Sohn eigentlich nur das Beste, zerbricht an ihrem tief religiösen „Irrglauben“ bis sie endlich ihren inneren Frieden wiederfindet – schauspielerisch eine echte Glanzleistung. Bobbys Schwester Ann (gespielt von Lisa Bacht, die auch die Funktion einer Erzählerin übernimmt) und Vater Peter (Andreas Köhr) haben von Anfang an wesentlich mehr Verständnis für Bobbys Lebensweise.

Die in einem ernsten Stück so wichtigen humoristischen Glanzlichter setzen Mandy Krajewski als überdrehte Psychiaterin, die mit dem Song ‚Ich kann sie heilen‘ vorgibt, jeden Homosexuellen auf den Pfad der Tugend zurückführen zu können, sowie Patrick Hettenberger als Vorzeige-Tucke Patrick, der die feinen Damen der Stadt (zu denen auch Mary gehört) gehörig irritiert oder nachts im „Amor“ als Transvestit Cloe auftritt, der ‚im Schritt immer noch ein Mann‘ ist.

Neben den guten Dialogen überzeugt das Musical auch durch die überraschend abwechslungsreichen Songs aus der Feder von Jakob Schneider. Zwar kommt die Musik als Playback vom Computer, das Ensemble singt sich natürlich live durch bewegende Balladen (‚Das Gefühl in mir‘), emotionale Duette (‚Ich will mit Dir flieh´n‘), geschickt aufgebaute Terzette (‚Es ist der Schmerz, der in mir brennt‘) sowie starke Ensemblenummern zwischen Nachtclubatmosphäre (‚Das Amor‘) und Kirchenchorälen (‚Kyrie eleison‘). Wie sich diese Songs wohl mit einer Band oder gar einem Orchester anhören würden? Wenn man krampfhaft nach einem Haar in der Suppe sucht, könnte angemerkt werden, dass immer dann, wenn es emotional heftig auf der Bühne zuging, die Mikrofone übersteuert haben, aber das sind Kleinigkeiten, die sich nach der Premiere in den geplanten weiteren fünf Aufführungen, die wegen der großen Ticketnachfrage um zwei weitere Termine Ende Februar aufgestockt wurden, sicherlich beheben lassen.

Ein Lob zuletzt auch an den raffiniert-durchdachten Einsatz der Kulissen. Die vielen Szenenwechsel zwischen 80er Jahre Wohnzimmer, Straßencafé, Schwulenbar, Jugendzimmer, Kirche, Friedhof, Sprechzimmer usw. werden durch den Einsatz von vier drehbaren, quadratischen Säulen und etlichen Requisiten realisiert, wobei ein schwarzer Vorhang die Umbauarbeiten auf der Bühne verbirgt, während die Handlung in geschickter Szenenfolge ohne Unterbrechung vor dem Vorhang weiterspielt.

Das Premierenpublikum, das nach dem unerwarteten Selbstmord von Bobby am Ende des ersten Aktes paralysiert erst nach einer Durchsage in die Pause gehen wollte, hielt es nach rund 150 Minuten nicht mehr auf den Plätzen zur minutenlangen Standing Ovation. Der Eintritt war frei, doch „Die 2.Besetzung“ bat um Spenden, die zu 80% an das Bottroper Projekt „Gegenwind“, das Hilfe und Beratung bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche bietet, gingen. Nach sechs Vorstellungen konnten 5155,47 Euro gesammelt werden. Die Spenden der zwei Zusatzvorstellungen wurden für eine CD-Einspielung des Musicals verwendet.

Ist Bobby Griffith, der zu einer Zeit spielt, wo es eine Fernsehsensation war, dass zwei Männer in der „Lindenstrasse“ gemeinsam in der Badewanne saßen ohne Loriots Entchen zu Wasser zu lassen oder ein Steven Carrington zumindest für eine Staffel im „Denver-Clan“ erotische Gefühle für andere Männer zeigte, heute noch zeitgemäß?  Homosexualität ist trotz schwulem Bürgermeister und Außenminister in unserer Gesellschaft immer noch ein Reizthema und für Religion und insbesondere den Papst mehr als ein rotes Tuch. Ein Stück wie Bobby Griffith appelliert für mehr Akzeptanz in unserer Gesellschaft. Es wäre schön, wenn der ein oder andere Zuschauer Mutter Marys Einsicht teilt, dass die Liebe zweier Menschen niemals falsch sein kann.

Songliste des Musicals Das Tagebuch des Bobby Griffith:

1. Akt

  • Wie alles begann - Ann Griffith, Mary G., Peter G., Bobby G., Grandma
  • Trau ihm* - Bobby, Andrew, Ensemble 
  • Stark - Hether, Ensemble
  • Das Gefühl in mir - Bobby
  • Kyrie* - Ensemble
  • Ich kann sie heilen - Psychiaterin, Background
  • Frauen dieser Stadt - Mary, Frau 1, Frau 2
  • Ich bin Cloe - Cloe, Ensemble
  • Das Amor - Hether, Andrew, Cloe, Ensemble
  • Ich will mit dir flieh’n - Andrew, Bobby

2. Akt

  • Requiescat in pace* - Mary, Peter, Ensemble
  • Sag mir wo bist du - Mary
  • Ich kämpfe - Andrew, Hether
  • Die Lehren der Bibel - Mary, Reverend Wizel
  • Der Schmerz in mir - Ann, Peter, Mary
  • Mary, oh Mary - Bettie Lambert, Mary
  • Mary’s Traum - Bobby, Solisten, Ensemble
  • Ich weiß dir geht’s gut - Mary, Ensemble

Die CD zum Musical ist mit 15 Songtiteln und einem bebilderten Booklet mit allen Songtexten erschienen - eine schöne Erinnerung für Alle, die dieses Musical Live erlebt haben oder eine interessante Neuentdeckung für Alle, die Bobby Griffith noch nicht kennengelernt haben.

Am 11.5.12 wurde das gesamte Ensemble der Young Musical Organisation Die 2. Besetzung mit dem Hermann-Hölter-Preis 2012 ausgezeichnet. Der Preis zeichnet Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene aus, die den Mut haben, sich für ihre Mitmenschen einzusetzen, seien sie auch fremd, alt, behindert, arm oder sonstwie anders als man selbst. 2006 erhielt der Musicalverein PRO YOU diese Auszeichnung für ihr Musicalprojekt FLÜGEL.

© Text & Fotos: Stephan Drewianka; eine Kurzfassung dieses Artikels erschien in der Zeitschrift Blickpunkt Musical, Ausgabe 02-12, März-Mai 2012

Mehr Informationen über das Musical Das Tagebuch des Bobby Griffith finden Sie auf der Webseite der jungen Musicalorganisation Die 2. Besetzung!

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