Aspects Of Love Theater Münster © Foto: Martina Pipprich
Aspects Of Love Theater Münster © Foto: Martina Pipprich
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Premiere „Aspects Of Love“ am Theater Münster

Webbers wilder Liebesreigen

Vier Jahre vor Sir Andrew Lloyd Webbers Beziehungsdrama „Sunset Boulevard“ um die alternde Stummfilmdiva Norma Desmond, die in ihrem Haus am „Sunset Boulevard“ mit ihrem Ex-Mann als Butler lebt und sich in den jungen Autor Joe Gillis verliebt, der ein Auge auf die bereits verlobte Betty Schaefer wirft, fand am 17.04.1989 im Prince Of Wales Theatre in London die Premiere des Musicals „Aspects Of Love“ nach dem gleichnamigen Roman von David Garnett aus dem Jahre 1955 statt, in der ebenfalls fünf Hauptpersonen um die Gunst der Liebe wetteifern. Doch im Gegensatz zum Ausstattungsstück aus der glamourösen Filmwelt, gilt „Aspects“ als intimes Kammerspiel. Für die Premierenbesetzung war als George 007-Bond-Darsteller Roger Moore vorgesehen, der aber den Gesangspassagen letztendlich nicht gewachsen war. Michael Ball, der schon als Marius in „Les Miserables“ und Raoul im „Phantom of the Opera“ ein Star war, landete als Premierenbesetzung mit seiner Interpretation des Titelthemas „Love Changes Everything“ auf Platz 2 der britischen Single Charts. In Deutschland präsentierte Jürgen Marcus mit „Schau, was Liebe ändern kann" die deutsche Version der Titelhymne. Das a capella Quartett „Falling“ gehört zu den größten gesanglichen Herausforderungen für Musicaldarsteller. Mit Sarah Brightman lief die Show bis zum 20.06.1992 recht erfolgreich in London. Am Broadway hingegen war das Musical ein finanzielles Desaster, das nicht mal ein Jahr gespielt wurde und keinen der sechs Tony-Nominierungen gewann. In der Übersetzung von Michael Kunze feierte „Aspects“ am 15.03.97 in der Staatsoperette Dresden deutschsprachige Erstaufführung und kam auch am Stadttheater Bern in der Schweiz mit Maya Hakvoort und Carsten Lepper in seiner ersten Rolle auf die Bühne. 23 Jahre später brachte Carsten Lepper, diesmal als Regisseur, sein Herzensstück 2020 in Wien zur österreichischen Erstaufführung. Die kleine Produktion mit Wietske van Tongeren wurde mit 4 Broadwayworld.com-Awards ausgezeichnet. Carsten Lepper wollte „Aspects“ auch als größere Stadttheater-Produktion in voller Orchesterfassung mit Chor und Ballett inszenieren. Das Theater Münster erwarb 2022 die Aufführungsrechte und zeigte am 26.10.22 die Premiere von „Aspects Of Love“ unter der Regie von Carsten Lepper.

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Handlung von Aspects of Love

Der 17-jährige Engländer Alex verpasst in Frankreich keine Theatervorstellung der 10 Jahre älteren Rose. Zum Ende der Spielzeit ist Rose ohne neue Anstellung, und ihr größter Fan Alex nimmt sich ein Herz und lädt sie auf die einsame Villa seines Onkels George in den Pyrenäen ein. Rose hat keine Unterkunft und willigt ein. Beide brechen in die leere Villa ein und verbringen romantische Tage. George, ein Kunstfälscher, der in der Hauptstadt eine lockere Beziehung zur Künstlerin Giulietta führt, überrascht das Liebespaar. Als Rose das Kleid seiner verstorbenen Frau zum Essen trägt, verliebt sich auch der herzkranke Witwer in die mittellose Schauspielerin. Als Alex seinen Kriegsdienst antreten soll und Rose plant, zu einem neuen Engagement abzureisen, trennen sich beide. Zwei Jahre später kehrt Alex in die Villa seines Onkels zurück und trifft dort zu seiner Überraschung Rose, die in George den Partner fürs Leben gefunden hat. Eifersüchtig bedroht Alex Rose mit seiner Waffe, aus der sich ein Schuss löst und Rose am Arm verletzt. Untröstlich gesteht Alex Rose seine Liebe. George will dem jüngeren Glück nicht im Wege stehen und reist zu Freundin Giulietta. Doch Rose erkennt bald, dass der leidenschaftliche Alex vielleicht doch nicht der Richtige ist und reist George nach, um ihn zu bitten, sie zu heiraten. Selbst mit der rassigen Giulietta als Trauzeugin ist Rose einverstanden und man einigt sich auf eine offene Ehe zu Dritt, in der sich auch die beiden Frauen näherkommen.
13 Jahre später ist Rose eine erfolgreiche Schauspielerin in Paris, die den mittlerweile bankrotten George unterstützt. Nach einer Vorstellung trifft sie auf Alex, der unbedingt ihre Tochter Jenny kennenlernen soll und eine Einladung in Georges Villa akzeptiert. In den folgenden zwei Jahren leben alle als glückliche Familie zusammen und die 15-jährige, zur Frau aufblühende Jenny verliebt sich immer mehr in den 20 Jahre älteren Alex. George verurteilt die sich anbahnende Beziehung zwischen Jenny und Alex aufs Schärfste und als er beide gemeinsam im Bett erwischt kommt es zu einem tragischen Todesfall…

Andrew Lloyd Webbers Melodien

Andrew Lloyd Webber wird häufig vorgeworfen, ein ganzes Musical nur um wenige Melodien aufzubauen und diese Leitmotive, ähnlich wie bei Filmmusik, in Reprisen immer wieder zu zitieren. Bei „Aspects of Love“ gibt es diese eingängigen Melodien, die aber nicht Personen, sondern Gefühlen zugeordnet sind und deshalb variabel von verschiedenen Darstellern interpretiert werden. Der Titelsong „Wer versteht was Liebe ist“ zeigt Alex jugendliche Leidenschaft der ersten Liebe, die später auch Jenny empfindet. „Wach ich oder träum ich“ zitiert die Verwirrtheit mit Schmetterlingen im Bauch, wenn man aus Liebe nicht zwischen Realität und Traum unterscheiden kann. „Du bist der bessere Mann für sie“ zeigt, dass rationale Argumente manchmal besser sind als blinde Leidenschaft. „Ich möchte gern in Deinen Träumen leben“ bezieht sich auf die Liebe eines Vaters zu seiner Tochter, die diese dann später auf ihren ersten Liebhaber projiziert.
Webbers Partitur ist beim Sinfonieorchester Münster unter der musikalischen Leitung von Henning Ehlert in sehr guten Händen. Die 40 Szenenwechsel gestalten sich flüssig auf der Bühne von Charles Quiggin mit zwei seitlichen Tordurchgängen und verschiedenen absenkbaren Prospekten vor den Pyrenäen, deren Bergkette mit Stoff überzogene Gegenstände sind. Die Kostüme von Ales Valasek spiegeln die Zeit zwischen 1947 bis 1961 in Paris wider. Carsten Leppers Regie lässt den Figuren des Stücks genug Luft, sich glaubhaft zu entwickeln, und stellt sie mit Feingefühl in den Fokus, so dass der Zuschauer dem Wechsel der Gefühle und Partner gut folgen kann. Interpretationsspielraum hat der Zuschauer bei Georges vehementer Ablehnung der Beziehung von Alex und Jenny, wenn George Zweifel an seiner Vaterschaft hätte und Roses Heiratsantrag dazu diente, eine frühe Schwangerschaft zu vertuschen und ein Kind finanziell abzusichern, was zur Folge hätte, dass sich Alex und Jenny verwandtschaftlich viel näherstünden, als sie vermuten.

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Darsteller und ihre Rollen

Katja Berg ist eine fulminante Rose Vibert, die man gerne durch die Jahrzehnte begleitet von der erfolglosen Ibsen-Darstellerin zur liebenden Mutter und Karrierefrau. Ihre finale Erkenntnis „Alles nur nicht einsam“ wird zu einem stimmgewaltigen Statement, warum sie ohne die Nähe einer geliebten Person nicht leben kann. Floor Krijnen führt als Giulietta Trapani ein lustvolles Boheme-Künstlerleben ohne feste Bindung, hat Pech mit den Männern, ist aber gute Freundin und felsenfeste Partnerin für George und Rose. Das melancholische „Liebe ist viel mehr“ beschreibt den Facettenreichtum eigener Gefühle und ist Giuliettas Lebensmotto, das sie später im rhythmisch-peitschenden Beerdigungssong „Schenk nochmals ein bis zum Rand“ verändert. Deike Darrelmann ist eine quirlige Jenny auf der Schwelle vom Mädchen zur Frau, der man ihre Verspieltheit, die immer mehr von romantischer Verliebtheit abgelöst wird, in jeder Sekunde abnimmt. Gregor Dalal ist ein sympathischer George Dillingham, dessen klassische Opern-Stimme zusammen mit dem Opernchor gut mit Webbers Melodien harmoniert, was eigentlich im Bereich Musical selten der Fall ist. Mark Roy Luykx als Alex Dillingham ist eine angenehme Überraschung, der nach kurzer Eingewöhnungsphase durch Schauspiel und Gesang ebenfalls restlos überzeugt. Mit „Aspects of Love“ hat das Theater Münster einen selten gespielten und untypischen Webber auf dem Spielplan, der nicht mit rasenden Zügen oder tanzenden Katzen aufwartet, sondern zwischenmenschliche Beziehungen in den Mittelpunkt stellt und auf jeden Fall entdeckt werden sollte.

© Text: Stephan Drewianka - eine gekürzte Fassung dieses Artikels erschien ebenfalls in der Fachzeitschrift Blickpunkt Musical 06-22 Ausgabe 120, Fotos Bühne: Martina Pipprich, Fotos Schlussapplaus: Stephan Drewianka

Alles zum Musical Aspects Of Love bei Sound Of Music.

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