Goethe - auf Liebe und Tod
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Goethe war gut, Mann, der konnte… singen!

Try-Out-Premiere von „Goethe – Auf Liebe und Tod!“ der Folkwang Universität Essen

Joop van den Ende wollte seinerzeit für eins seiner Stage Entertainment Theater in Deutschland ein Musical über den bedeutendsten Repräsentanten deutschsprachiger Dichtung Johann Wolfgang von Goethe herausbringen. Als Vorlage zum Buch von Gil Mehmert diente der Kinofilm von Philipp Stölzl aus dem Jahre 2010 mit Alexander Fehling, Miriam Stein und Moritz Bleibtreu. Die Musik komponierte Martin Lingnau, die Texte schrieb Frank Ramond. Dieses Produktionsteam entwickelte parallel auch die Musicalumsetzung von „Das Wunder von Bern“, das am 23.11.14 im neu gebauten Theater an der Elbe in Hamburg seine Weltpremiere feierte. König Fußball hatte den deutschen Dichter aufs Abstellgleis bugsiert. Mit dem Ausscheiden von Joop van den Ende zum Jahresende 2015 und dem Verkauf der Mehrheitsanteile der Stage Entertainment an das Luxemburger Private-Equity-Unternehmen CVC Capital Partners schien das Schicksal von „Goethe“ endgültig besiegelt zu sein, da die neuen Inhaber des Musicalkonzerns das hohe finanzielle Risiko einer deutschen Musical-Uraufführung nicht zu einer Zeit der Gewinnoptimierung tragen wollten. Inhaltlich und musikalisch war das Musical fertig, es fehlte nur noch die Umsetzung für die Bühne, die bei einer Großproduktion schnell einen sechsstelligen Betrag ausmachen kann. Professor Gil Mehmert glaubte weiterhin an das Projekt und überredete die Stage Entertainment schließlich, das Stück im Rahmen von insgesamt neun Try-Out Vorführungen an der Folkwang Universität der Künste in Essen unter seiner Regie und mit seinen Studenten aufführen zu dürfen.

Handlung des Musicals Goethe

Der junge Johann Wolfgang Goethe träumt von einer Karriere als Schriftsteller, doch sein Vater verlangt, dass der Sohn etwas Anständiges lernt. Doch Wolfgang fällt durch die Prüfung im Jurastudium und so schickt sein Vater ihn als Advokat in die Provinz Wetzlar ans Reichskammergericht, wo er mit seinem Freund Wilhelm Jerusalem Akten ordnen darf, da Wolfgangs Mitschriften von Zeugenaussagen zu poetisch ausgeschmückt sind. Er lernt die junge Lotte kennen und lieben, die mit ihrem Vater und den zahlreichen Geschwistern auf dem Lande lebt. Als Wolfgangs Vorgesetzter Kestner ihn um Rat für einen romantischen Heiratsantrag bittet, ahnt Wolfgang nicht, dass dieser Antrag seiner Geliebten Lotte gilt. Lotte schätzt die Worte sehr und muss auf Anraten ihres Vaters Kestners Antrag annehmen, da Kestner der armen Familie finanzielle Sicherheit bieten kann, die ein Möchtegern-Dichter niemals aufbringen könnte. Es kommt zum Streit zwischen den beiden Rivalen, den Kestner mit einem Duell entscheiden will, wohl wissend, dass Goethe bei der Jagd bisher immer danebengeschossen hat. Doch es kommt gar nicht zum tödlichen Schuss auf Goethe, da Duelle verboten sind und Kestner dafür gesorgt hat, dass Wolfgang im Gefängnis landet. Statt zu resignieren schreibt Goethe in der Zelle seine unglückliche Liebesgeschichte auf und schickt sie Lotte, die für die Veröffentlichung der Novelle unter dem Titel „Die Leiden des jungen Werthers“ sorgt. Das Buch verkauft sich unglaublich gut und verhilft Goethe zum Durchbruch in seiner Karriere.

Zur Try-Out Premiere am 04.04.17 in der Neuen Aula am Campus Essen-Werden waren zwei Stage Entertainment-Stars zu Gast, die sich bereits während der Entstehungsphase des Musicals sehr für die Hauptcharaktere interessierten. Philipp Büttner ließ Aladdins fliegenden Teppich sausen, schwang als Goethe die Schreibfeder und durfte sich in Tarzans Ersatzmutter Kala alias Sabrina Weckerlin als Lotte verlieben. An einigen Spielterminen wollte die Stage Entertainment jedoch nicht auf ihre Darsteller verzichten und so mussten/durften an diesen Terminen Folkwang-Absolvent Merlin Fargel (Abschluss 2016) und Lina Gerlitz in die Hauptrollen schlüpfen, die auch in der besuchten Aufführung spielten. Beide Darsteller überzeugten gesanglich wie darstellerisch, was auch für alle weiteren Gäste galt, Daniel Berger als Goethes Vater, Mark Weigel als Lottes Vater und Tom Zahner als Mephisto in einer grandiosen Drogenrausch-Sequenz. Das restliche Ensemble setzte sich aus Folkwang-Schülern der letzten beiden Ausbildungsjahre zusammen. Marvin Schütt als Kerstner zeigt den Wandel vom verliebten Vorgesetzten zum intriganten Ränkeschmied. Ein echter Geheimtipp ist Florian Minnerop als Wilhelm Jerusalem, der sich in die verheiratete Margarethe (eine starke Anneke Brunekreeft) verliebt und der nach kurzer Romanze im siebten Himmel auf den Boden der Tatsachen geschmettert wird, da Margarethe ihren Mann nicht verlässt und er sich vor Gram vor Goethes Augen das Leben nimmt.

Die achtköpfige Band unter der musikalischen Leitung von Patricia Martin feuert die Darsteller mit der modernen Musik von Martin Lingnau, die dem durchkomponierten Stück ein flottes Tempo vorgibt. Die pfiffige Choreografie von Simon Eichenberger, die das spielfreudige Ensemble bühnenfüllend wie in einem MTV-Video akrobatisch tanzen lässt, ist ein weiterer Pluspunkt der Inszenierung. Gil Mehmert versteht es, den beschränkten Platz der Neuen Aula mit geringsten Mitteln effektvoll zu füllen. Die Ausstattung von Eva-Maria van Acker und Maria Wolgast beschränkt sich auf eine kleine Bühne auf der Bühne, auf der hinter einem Vorhang verborgen Szenen vorbereitet werden können. Einige Elemente erinnern an andere Großproduktionen, z.B. schlüpfen zwei Darsteller unter Pferdeköpfe („War Horse“), ein Menuett beim Verlobungsempfang wirkt wie der Ball aus „Romeo und Julia“, die Traumsequenz im Drogenrausch erinnert an eine Mischung aus „Shockheaded Peter“ und „Tanz der Vampire“ und Lottes Höhenflug im Hochzeitskleid beschert einen frei und schwerelosen „Wicked“-Effekt.Das überdimensionale Kleid dient in der Gefängnis-Szene als poetische Projektionsfläche für Goethes Schriftverkehr und öffnet sich danach als Baldachin zur Hochzeit von Lotte und Kestner. „Goethe“ beweist in dieser genialen Form, dass beste Theaterunterhaltung nicht auf gigantische Bühnenmechanik angewiesen ist, es reichen auch projizierte Regentropfen im stimmigen Licht von Michael Grundner und zwei Menschen unter einem Regenschirm, um Emotionen auszulösen.

Es bleibt abzuwarten, was mit „Goethe – Auf Liebe und Tod“ nach dieser kurzen Try-Out-Phase nun passieren wird. Das Stück braucht kein großes Stage Theater mit 2000 Plätzen und hat es nicht nötig, künstlich als Großproduktion aufgeblasen zu werden. Musikalisch und auch inhaltlich spricht das Musical ein junges Theaterpublikum an, da Goethe als junger und verliebter Sturm und Drang Kämpfer gegen Vater und Juristen-Elite in der nicht immer historisch korrekten Handlung so gar nicht dem Klischee des kultivierten Dichterfürsten und Denkers entspricht, sondern jemand ist, der das Götz von Berlichingen-Zitat zu seinem Lebensmotto gemacht hat. Bleibt zu hoffen, dass das Stück nicht in irgendeiner Schublade verstaubt, sondern von einigen Stadttheatern (warum nicht in Wetzlar?) aufgeführt wird, denn dieser „Goethe“ ist tatsächlich verdammt gut!

© Text & Fotos: Stephan Drewianka; dieser Bericht erschien ebenfalls in der Zeitschrift Blickpunkt Musical, Ausgabe 03-17, Ausgabe 88, Mai-Juli 2017

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