Spektakuläre Open-Air Premiere „Bonifatius“ vor dem Fuldaer Dom 2019
Heidnische Menschenopfer, bischöfliche (S)exzesse und ein Heiliger in der Glaubenskrise
Das hessische Städtchen Fulda ist bei den Musical-Fans ein beliebter Standort geworden und längst kein Geheimtipp mehr. Zu verdanken ist das der Spotlight musicals GmbH, die in den letzten Jahren die Weltpremieren „Der Medicus“ (2016), „Die Schatzinsel“ (2015), „Kolpings Traum“ (2013), „Friedrich – Mythos und Tragödie“ (2012), „Die Päpstin“ (2011) und „Elisabeth – Legende einer Heiligen“ (2007) produziert hat. Begonnen hat alles vor 15 Jahren mit dem Historien-Musical „Bonifatius“, dass die Stadt Fulda als Auftragswerk über den Stadtgründer zu seinem 1250. Todestag im Jahr 2004 schreiben lies. Das Buch von Zenno Diegelmann stellte den Menschen Bonifatius in den Mittelpunkt und basierte auf historischen Quellen, aber auch auf Mythen und Sagen, die sich um den Engländer Wynfried von Crediton ranken. Die Komposition und Texte von Dennis Martin und Peter Scholz zeichneten sich bereits damals als abwechslungsreiches Werk aus schmissigen Up-Tempo-Nummern, romantischen Balladen, kraftvollen Hymnen und rhythmisch-fetzigen Rock-Nummern aus, die bei der Weltpremiere am 03.06.2004 im Schlosstheater Fulda typisch für Spotlight als Halbplayback ohne Live-Orchester eingespielt wurden, so dass die Ticketpreise trotz prominenter Besetzung auch bei den Folgeproduktionen auf einem recht moderaten Level gehalten werden konnten. „Bonifatius“ wurde ein Überraschungshit, bei dem alle 22000 Karten der 31 regulären Vorstellungen durch eine geschickte Werbekampagne restlos ausverkauft waren und selbst die Tickets für die Zusatzvorstellungen innerhalb 24 Stunden komplett vergriffen waren.
Fulda feiert Bonifatius und Spotlight Musicals
Im Jahr 2019 feiert Fulda sein 1275-jähriges Stadtjubiläum und die Spotlight musicals GmbH ihr 15-jähriges Bestehen. Grund genug, für Produzenten Peter Scholz und die Stadt Fulda einen gewaltigen Plan Realität werden zu lassen: ein Revival des Musicals „Bonifatius“ über den Stadtgründer Fuldas als gigantisches Open-Air Spektakel vor dem historischen Schauplatz, dem Fuldaer Dom!
Der Domplatz und zwei seitlich aufgebaute Tribünen sowie exklusive Strandkörbe boten bis zu 4500 Zuschauern Platz. Direkt vor dem 40 Meter hohen Domportal wurde eine 52 Meter breite und 16,5 Meter hohe Bühne aufgebaut, die von zwei 32 Quadratmeter großen LED-Leinwänden flankiert wurde. Erstmalig sorgte in Fulda ein riesiges 50-köpfiges Orchester der Kölner Symphoniker unter der Leitung von Esther Hilsberg für Live-Musik, die durch einen Chor aus 130 Stimmen der Region weiter aufgewertet wurde und die 27 Darsteller auf der Bühne unterstützen. Eine Genussmeile oberhalb des Domplatzes auf der abgesperrten Pauluspromenade rundete das visuell-akustische Highlight bereits vor der Show mit kulinarischen Leckerbissen der Extraklasse ab. Kein Wunder, dass die geplanten vier Vorstellungen bereits kurz nach dem Start des Ticketvorverkaufs restlos ausgebucht waren und drei weitere Zusatzvorstellungen sowie eine Preview in den engen Zeitrahmen der Feierlichkeiten aufgenommen wurden.
Open-Air Spektakel vor dem Fuldaer Dom
Für den Transfer an den Open-Air Schauplatz mit dem symphonischen Live-Orchester wurde das Musical generalüberholt, an die Rahmenbedingungen angepasst und moderner auf dem neusten Stand der Technik inszeniert. Regisseur Stefan Huber, der ausgezeichnete Open-Air Expertisen u.a. mit „Funny Girl“ und „Anatevka“ in Bad Hersfeld, „Gotthelf“ bei den Thunerseespielen und „Heidi“ Teil 1 und 2 auf der Seebühne Walenstadt aufweisen kann, überzeugte in Fulda mit einer kurzweiligen Inszenierung, die mit einer neuen Rahmenhandlung daherkommt. Wurde 2004 noch ein alter Mann gezeigt, der beim Zitieren von Bibelversen von Hooligans verprügelt wird und verletzt vom Wirken des Bonifatius träumt, wird jetzt der aktuelle Bezug hergestellt, indem eine Theatergruppe in das Dommuseum einbricht und zur Inspiration den historischen Codex des Bonifatius stiehlt, den er bei seiner Ermordung schützend vor sich gehalten haben soll und die Einschnitte eines Schwertes auch heute noch zeigt. Ein Streit entbricht, wie das Lebenswerk des Heiligen zu beurteilen ist. Die Einbrecher schlüpfen dabei nacheinander in die Rollen der historischen Persönlichkeiten, während die Bonifatius-Geschichte im 8. Jahrhundert vom Chroniker Priester Willibald erzählt wird, der im Auftrag von Bischof Lullus, dem Nachfolger des ermordeten Bonifatius, dessen Lebensgeschichte zur Heiligsprechung durch den Papst dokumentieren soll. Und so entwickelt sich die Biografie des Bonifatius, die eigentlich einen sympathisch-charismatischen Menschen mit weltlichen Zügen zeigen will und dann doch immer wieder korrigiert und stilisiert wird, zu einer Geschichte einer streng gläubigen Ikone der katholischen Kirche.
Inhalt des Musicals Bonifatius
Die Zuschauer folgen Bonifatius und seinem Schüler Sturmius aus England zum fränkischen Hausmeier Kai Martell. Zum Unmut des Mainzer Bischofs Gewillip, der in dem Missionar einen Konkurrenten sieht, erteilt Martell Bonifatius die Aufgabe, die aufständischen Heiden östlich des Rheins zu missionieren. Er stellt ihm seine beiden Söhne Karlmann und Pippin zur Seite und überschreibt ihm ein verlassenes Königsgut, auf dem nur Alrun mit ihrem Bruder Luidger als Bauern leben. Der Friesenkönig Radbold hält in der Umgebung heidnische Rituale an einer Eiche ab, die dem Gott Donar geweiht ist. Als Bonifatius das Ritual unterbricht und ein Blitz (oder Bonifatius Axt) die uralte Eiche spaltet, sieht Radbolds Gefolgschaft dies als ein Zeichen eines stärkeren Gottes an. Zu Bonifatius gesellt sich seine Cousine, Äbtissin Lioba, und sie beginnen mit der Taufe der ersten Heiden. Gestört werden sie von einer verzweifelten Mutter, deren Mann von Bischof Gewillip unterdrückt und ermordet wurde und die die Kirche bezichtigt, Heiden nicht aus Überzeugung, sondern aus bloßer Angst zum Christentum zu bekehren. Bonifatius beginnt an den Motiven der Kirche zu zweifeln und reist nach Mainz, wo er vom dekadenten und weltlichen Leben von Gewillip angeekelt ist und die Absetzung des Bischofs durch den Papst in die Wege leiten will, so dass er Sturmius nach Rom sendet.
Mit der päpstlichen Amtsenthebungsurkunde konfrontiert, schwört Gewillip Rache und verbündet sich mit seinem ehemaligen Kontrahenten, dem Heidenfürsten Radbold, um Bonifatius eine Falle zu stellen.
Bonifatius wird als Gewillips Nachfolger in Mainz zum Bischof bestimmt und Sturmius soll in Fulda mit dem Bau eines Klosters beginnen, wobei er immer stärkere Gefühle für Alrun entwickelt. In Mainz verzweifelt Bischof Bonifatius an den politischen Intrigen und frivolen Ausschreitungen seiner Kollegen. Da kommt ihm ein päpstlicher Brief mit dem Befehl, im friesischen Dokkum seine Missionarsarbeit fortzusetzen, gerade recht und er bricht mit Luidger in den Norden auf. Als Sturmius gleichzeitig einen Brief vom Papst mit völlig gegensätzlichen Anweisungen erhält, erkennt er, dass Bonifatius Auftrag eine Falle ist und eilt ebenfalls nach Norden. Doch er kommt zu spät: bei der Firmung einiger Heiden trifft Radbold ein und ermordet Luidger. Bonifatius ist schockiert und auch Radbold beginnt an seinen Motiven zu zweifeln, doch von Gewillip angestachelt, ermordet er schließlich auch den Geistlichen. Den sterbenden Bonifatius findet Sturmius, doch Gewillip entzieht sich der Gerichtsbarkeit durch einen feigen Giftselbstmord. Sturmius erhält den Auftrag, Bonifatius Werk in Fulda weiterzuführen, und so muss sich der junge Mann von Alrun abwenden, um seinen Weg im katholischen Zölibat zu gehen. Die Schauspieler beenden ihr Spiel und kehren in die Gegenwart zurück mit dem Kredo, an das Gute und an sich selbst zu glauben.
Darsteller Bonifatius Open-Air
Nach 15 Jahren steht Reinhard Brussmann („Les Miserables“, „Sunset Boulevard“, „Der Medicus“) wie schon bei der Weltpremiere erneut in der Titelrolle auf der Bühne. Er beindruckt durch seine schauspielerische Bühnenpräsenz und seinen voluminösen, klassischen Bariton, der seine Hymnen „Gib mir Kraft“ und „Ein Leben lang“ zu imposanten Highlights macht. Wie zwei Felsen in der Brandung stehen ihm Karsten Kenzel („Aida“, „Maria ihm schmeckt‘s nicht“, „Die letzten 5 Jahre“) als treuer Luidger und Friedrich Rau („Die Schatzinsel“, „Der Medicus“, „Knie – das Circusmusical“) als Schüler Sturmius zur Seite. Zusammen mit Partnerin Judith Jandl („Tanz der Vampire“, „I am from Austria“, „Knie“) sorgt er für die romantischen Töne in der Produktion und darf neben der Liebe zu Gott in den Duetten „Wann trägt der Wind mich fort“ und „Wenn das wirklich Liebe ist“ die Facetten der weltlichen Liebe zu einer Frau testen. Anke Fiedler („Rent“, „Der Ring“, „Der Mann mit dem Lächeln“) als mütterliche Äbtissin Lioba verkörpert schon im Jahre 724 den Wunsch nach mehr weiblicher Integration in die katholische Kirche – ihr Song „Starke Frauen“ strotzt vor feministischem Stolz und Emanzipation, der auch Dank der schmissigen Choreografie von Danny Costello zu einem echten Showstopper mit Sonderbeifall wird. Simon Staiger als Karlmann und Tom Schimon als Pippin harmonieren als erfrischendes Komiker-Duo und hellen die düsteren Passagen des Stückes mit so manchem flotten Spruch auf. Ebenfalls ein kurioses Duo stellen Alexander von Hugo („Titanic“) als Biograf Willibald und Max Gertsch („Kiss Me, Kate“) als Bonifatius-Nachfolger Lullus dar, die für die Heiligsprechung des Bonifatius so manche menschliche Tatsache zum Mythos erheben. Das diabolische Duo bilden Frank Josef Winkels („Martin Luther“, „Mamma Mia“, Shrek“) als intriganter Ränkeschmied Gewillip sowie Andreas Lichtenberger (“Ich war noch niemals in New York“, „Hairspray“, „Don Camillo und Peppone“) als furchteinflößender Heiden-Häuptling Radbold, der aber immerhin eine Spur Ehre in sich trägt und „Die Donareiche“ durch sein imposantes Erscheinungsbild zum Schwanken bringt. Aus dem weiteren, ebenfalls bestens besetzten Ensemble sticht Juliane Bischoff in ihrer Rolle als verzweifelte und anklagende Mutter hervor. Schließlich lädt auch der große Chor unter der Leitung von Carsten Rupp bei den Songs „Ein Mann, ein Wort“ und „Salz der Erde, Licht der Welt“ zum Mitklatschen ein.
Kulissen, Kostüme und Ausstattung
Ein weiterer Protagonist fehlt noch in der Aufzählung und das ist der Dom und die Bühne selber. Okarina Peter und Timo Dentler schufen ein Kostüm- und Bühnenbild, das wirklich atemberaubend war. Die Kostüme waren entgegen der Urfassung nicht „historisch korrekt“ und einfach schlicht gehalten, sondern ließen dekadente Bischöfe mit Pailletten in sündigem Rot glitzern, die Heiden in tierischen Fellen wie reißende Wölfe heuen und Bonifatius und Sturmius in Roben mit den originalen Schriftzeichen des Bonifatius Codex ihre Missionarsarbeit erledigen. Mit nur wenigen Requisiten, sechs Tischen und ein paar Stühlen kreierten sie auf einer runden, stark nach vorn geneigten Spielscheibe mit einem gigantischen, rauchgefüllten Gazeschlauch als Donar-Eiche immer wieder neue, faszinierende Bilder, die im Lichtdesign von Pia Virolanen prachtvoll erstrahlen. Ist die Eiche gefällt, klappt eine Bodenscheibe nach oben, bildet mal Dach, mal Sonnen-Hintergrund, während auf dem Boden die Jahresringe eines Baumes eine neue Spielfläche für die Darsteller bilden. Richtig spektakulär wird es, wenn das Video Design von Sven Sauer, Alexander Mink und Raphael Hofmann die gigantische Kulisse der Domfassade in einen Wald verwandelt, zu einem Sternenhimmel wird, komplett in Flammen steht oder aber in tausend Farben wie ein Kirchenfenster funkelt. Einige Zuschauer bemängelten, dass man die großen LED-Wände nicht dazu genutzt hat, Nahaufnahmen der Darsteller als Live-Video zu zeigen, damit auch die Tribünenzuschauer die Akteure einmal näher hätten sehen können, doch hätte dies das künstlerische Gesamtkonzept zerstört und das Musical wie ein Konzert wirken lassen. Eine exzellente Tonabmischung von Tom Strebel unter den sicherlich nicht einfachen Open-Air Bedingungen sorgen für einen kristallklaren Klang mit überragender Textverständlichkeit aller Darsteller – was will man mehr? Und selbst Petrus hielt seine Hand schützend über die Produktion, gab es zu allen Vorstellungen bestes Sommerwetter, nur einmal musste der Showstart wegen einer Regenwolke um 15 Minuten nach hinten verlegt werden.
Produzent Peter Scholz bezeichnete „Bonifatius“ auf den Werbeplakaten als „Deutschlands größte Musicalpremiere 2019“ und hat mit dieser einmaligen Inszenierung dieses Versprechen tatsächlich eingelöst!
© by Stephan Drewianka, Musical-World.de; © Fotos: Stephan Drewianka; Dieser Artikel erschien leichr gekürzt auch in der Zeitschrift Blickpunkt Musical, Ausgabe 102, 05-19 - September-November 2019
Alles zum Musical Bonifatius bei Sound Of Music!