7. Sommernacht des Musicals in Dinslaken: Lau waren nur die Temperaturen
Sechs Top-Künstler fuhren rasantes, klangvolles Rennen
Keine Schirme, keine Friesennerze, keine Regen-Capes: Die „Sommernacht des Musicals “ hat sich nach dem Sintflut-Desaster in 2004 in diesem Jahre wieder von ihrer gewohnt sonnigen Seite gezeigt. Hochsommerliche Temperaturen und eine hervorragend disponierte Cast brachten die 2000 Besucher im malerischen Burgtheater ins Schwitzen. Dass Yngve Gasoy-Romdal nach seinem „Blitz- und Hagel-Gethsemane“ des vergangenen Jahres in wetterfester blauer Regenmontur auf die Bühne stapfte, war eine Vorsichtsmaßnahme, die sich als überflüssig erwies. Der Norweger konnte in Folge textil wieder abrüsten.
Der 7. Durchgang der beliebten Open-Air-Show knüpfte nahtlos an die erfolgreiche und beliebte Reihe der bisherigen Veranstaltungen an. Und das galt samt und sonders auch für die hochkarätige Besetzung. Die Organisatoren um Thomas Bauchrowitz hatten sechs der derzeit gefragtesten Musical-Künstler an den Niederrhein gebeten. Neben „König Arthur“ aus Bad Hersfeld standen Ethan Freeman, Jesper Tyden, Maricel, Leah delos Santos und Jessica Kessler auf der Bühne. Exquisit, vielschichtig und abwechslungsreich war auch die Songsauswahl. Unterstützt wurden die Solisten von einem stimmlich bestens eingestellten Background-Chor (Katharina Debus, Michelle Donner und Eric Rentmeister) und natürlich vor allem von Bertram Ernst’s „Haus- und Hofkapelle“. Der Bandleader und musikalische Leiter der Gala hatte wiederum acht exzellente Musiker um sich geschart, und die machten mächtig Dampf. Es muss ganz einfach eine Live-Band sein, das hat die Erfahrung bei „Musical on Ice“ im Februar gezeigt, wo die Musik überwiegend vom Band eingespielt wurde. Und so etwas nimmt einer solchen Veranstaltung nun mal viel von ihrem impulsiven, authentischen Charme.
„Musical in Ice“ für ein Jahr auf Eis gelegt
Appropos „Musical on Ice“: Nächstes Jahr gibt es keinen „coolen Showdown“ in der hiesigen Frosthallearena. Den Künstlern bleibt eine Rutschpartie erspart. Die Macher möchten sich erst einmal eine Denk- und Atempause gönnen. Dafür werden aber die Tische Anfang 2006 in der Stadthalle wieder festlich und überreichlich gedeckt sein. Beim „Stardinner“, einem neuen Veranstaltungsformat , das im Februar in Dinslaken Premiere feierte, folgt der zweite Hauptgang. Fest steht bereits, dass Maricel als prominenter weiblicher Stargast mit für den Tafelgesang zuständig sein wird. Und mit dem blonden Energiepaket von der Leine können die Verantwortlichen gar nichts verkehrt machen.
Als „Amneris“ eine Prinzessin, als Künstlerin eine Königin: Maricel
Die Prinzessin Amneris i. R ., die sich am 22. Juli nach der Aida-Derniere im Colosseum-Theater in Essen letztmals den ägyptischen Wüstensand von den Füßen geschüttelt hat, hatte ja bereits bei der Sommernacht 2004 mächtig Eindruck geschunden, und sollte diesmal noch einen Zahn zu legen. Die temperamentvolle, attraktive Power-Frau aus Hannover ist nicht nur eine begnadete Sängerin, sondern auch mit den Talenten einer Vollblut -Entertainerin gesegnet. Ihr Publikum treibt das nebenbei als Texterin und Komponistin tätige kecke Multi-Talent mit dem ausgeprägten Sinn für Stil in Nullkommanix von Null auf Hundert. Dass Maricel Gold in der Kehle hat, wurde nicht zuletzt mit und bei „Ich gehör’ nur mir“ aus „Elisabeth“ erfahr- und hörbar. Viele Kolleginnen haben sich an diesem anspruchsvollen Stück in fahrlässiger Selbstüberschätzung schon ziemlich verhoben, sie jedoch nahm diese Hürde unverkrampft-mühelos. Respekt!
Der direkte Draht zum Publikum
Die zwanglose Atmosphäre und die lockere Plauderton-Kommunikation der Künstler und Moderatoren mit dem Publikum waren für diese Veranstaltung schon immer charakteristisch. So etwas kommt an und baut Brücken zwischen Bühne und Auditorium. Mögen gewisse, besserwisserische Pseudo-Intellektuelle den Gehalt des gesprochenen Wortes oder die Art und Weise der Animation auch als (für sie) unpassend empfinden, dieser direkte Draht zu den Zuhörern kommt, an, wie deren Reaktionen bewiesen. Der Aufforderung Yngve Gasoy Romdals („Listen to my Song“) hätte es kaum bedurft und war denn auch wohl eher rhetorisch gemeint: Die gespannten Besucher waren natürlich ganz Ohr – und bekamen etwas für den entrichteten Eintrittspreis: Inklusive Zugabe wies die Set-List 27 Songs aus, wobei die Mixtur aus Klassikern und aktuellen Hit allemal spannend war.
Yngve und Ethan von Lily’s schönen Augen hin und weg
Vermutlich nirgends sonst bekommt man/frau solche vokalen Konstellationen noch einmal zu Gehör, Highlights, wie sie sich beispielsweise in dem Romdal/Freeman-Duett „Lilys Eyes“ (Secret Garden) offenbarten. Diese beiden Überflieger aus dem Musical-Olymp am Mikro vereint, das waren auf Minuten komprimierte Sternstunden. Und das galt ohne Abstriche für das Mixed-Doppel Jesper Tyden und Jessica Kessler („Wenn ich tanzen will“, „Tonight“), ebenso wie für das Tandem Gasoy-Romdal/ Leah Delos Santos. Beide, auch privat ein Paar, hatten sich eine der gefälligsten Überraschungen der Show bis fast ganz zum Schluß aufgehoben und sorgten mit ihrem Phantom-Duett für eine erhabene Krönung des an intensiven Momenten wie diesem so reichen Abends. Der thematisch aktuelle Bezug zum unheimlichen Mann mit der weißen Maske ist ja gegeben. Demnächst wird der Bursche im nicht weit entfernten Essen ja durch die Katakomben des Colosseums geistern. Die Gelegenheit, ihre bestechenden vokalen Qualitäten zu offerieren, nutzte auch Dinslaken-Debütantin Leah Delos Santos als Solistin. Die zierliche Phillipinin mit der klaren, einschmeichelnden und modulationsreichen Stimme malte u.a in einer poppigen Version die Farben des Windes aus Pocahontas auf die imaginäre Leinwand und durchlebte, an ihre glorreiche Bühnenzeit in Vietnam anknüpfend, an der Seite von Jesper Tyden „Die letzte Nacht der Welt“.
Wem die Stunde schlägt
Gemeinsam mit Jessica Kessler sollte die Miss Saigon i.R., die zuletzt als Sturmius-Geliebte „Alrun“ bei „Bonifatius“ in Fulda begeisterte, in Folge eine packende Interpretation des Jekyll & Hyde-Duetts „In his eyes“ abliefern. Und da musste die deutsche Version von „This is the Moment“ ihres Lebensgefährten zwangsläufig folgen. Der ehemalige Parade-Jekyll aus Köln, der seinen Mozart-Schatten niemals los wird, ließ denn dabei auch keinen Zweifel daran aufkommen, was die Stunde geschlagen hatte „Die Kessler“, ein ihren Heimvorteil auskostendes Dinslakener Eigengewächs, legte mit einem brillant und blitzsauber intonierten „Nur für mich“ aus „Les Misérables“ nach. Seite an Seite mit Ethan „Bonifatius“ Freeman, ihrem charismatischen Kollegen aus glorreichen Mozart-Tagen, beschwor die stimmstarke Vampir-Sarah die „Totale Finsternis“, während der populäre US -Amerikaner dann die „Sterne“ über den „Elenden“ leuchten ließ und mit dem insbrünstigen, in Melodie gekleideten Gebet “Gib mir Kraft“ aus seinem aktuellen Fuldauer Engagement triumhierte.
Jesper Tyden glückte ein furioser Dinslaken-Einstand
Ein blendender Einstand glückte Jesper Tyden, dem zweiten Niederrrhein-Neuling dieses Tages/Abends. Der smarte Schwede, der ab Dezember bei der Weltpremiere von „Robin Hood“ durch den Bremer Sherwood Forest streifen wird, genoss die Sympathie, die ihm vor allem (aber nicht nur) aus der weiblichen Fraktion des Publikums entgegenschlug, sichtlich. „Mein Gott warum“ aus „Miss Saigon“ und „Der letzte Tanz“ („Elisabeth“) waren nur zwei der Sahnehäubchen, mit denen der sympathische junge Star seine Zuhörer verwöhnte. Und die Freunde fulminanter Ensemble-Chöre kamen natürlich auch zu ihrem Recht – bei der Zugabe („Nur liebe bleibt“ aus Rent) sowieso, und vor allem bei dem fetzigen Titelsong des Kölner Musical-Dome-Spektakels „We will rock you“.
Auf die 8. Sommernacht dürfen sich die Fans jetzt schon freuen. Natürlich auch auf die 9. und die 10.
©Text: Jürgen Heimann; Fotos: Jürgen Heimann/Beatrix Greif