Deutschlandpremiere „Don Camillo & Peppone“ der Freilichtspiele Tecklenburg
Wie aus Feinden Freunde werden
Der italienische Journalist, Karikaturist und Schriftsteller Giovannino Guareschi (1908-1968) gründete 1945 in Mailand eine satirische Wochenzeitschrift, in der er immer wieder fiktive Kurzgeschichten von Pfarrer Don Camillo und Bürgermeister Peppone veröffentlichte. 1948 erlangte eine Sammlung dieser Geschichten als Roman Weltruhm, nicht zuletzt dank der fünfteiligen Verfilmunge mit Fernandel (Don Camillo) und Cervi (Peppone) ab 1952 und einem sechsten Teil, der allerdings ohne Fernandel die Fans enttäuschte. 1983 schlug Terence Hill in „Keiner haut wie Don Camillo“ zu und eine 13-teilige britische Fernsehserie zeigte 1980/81 Mario Adorf als Camillo und Brian Blessed als Peppone. Michael Kunze (Buch und Texte) und Dario Farino (Musik) verarbeiteten den Stoff schließlich als Musical, das nach seiner Uraufführung in St. Gallen am 30.04.16 und einer Spielzeit im Wiener Ronacher (Premiere 27.01.17) nun erstmals in Deutschland vom 21.06. bis 25.08.19 Open-Air bei den Freilichtspielen Tecklenburg zu sehen ist.
Handlung des Musicals Don Camillo und Peppone
In dem italienischen Dorf Boscaccio soll eine Autobahn gebaut werden. Die alte Gina kommt noch einmal in ihren Geburtsort zurück und erinnert sich daran, wie im Jahre 1947 sehr zum Ärger des Dorfpfarrers Don Camillo der Kommunist Peppone zum neuen Bürgermeister gewählt wurde. Die beiden Fronten verhärten sich schnell: auf der einen Seite stehen mit Don Camillo die gläubigen Katholiken, konservativen Kirchgänger und reichen Gutsbesitzer, auf der anderen Seite hinter Peppone die armen Landarbeiter mit kommunistischem, aber fortschrittlichen Gedankengut. Dazwischen in der Schusslinie gibt es nach bester Romeo und Julia-Manier die katholische Tochter des Grundbesitzers Filotti Gina, die sich in Mariolino, den Sohn eines kommunistischen Landarbeiters verliebt hat. Ginas Großvater Nonno liegt im Sterben, doch der Anblick der neuen kommunistischen Lehrerin Laura Castelli lässt ihn aus dem Jenseits zurückkehren, um Lauras Seele zu kaufen. Laura glaubt nicht an die Seele, verkauft sie Nonno aber nach Don Camillos Provokation doch. Bürgermeister Peppone hat es als politisches Oberhaupt ohne Schulabschluss und seiner daraus resultierenden Schreib- und Rechenschwäche nicht einfach. In einer Nacht- und Nebelaktion beschmiert Don Camillo die mit Rechtschreibfehlern übersäten Aushänge des Bürgermeisters mit dem Wort Esel. In der Zwiesprache mit Jesus, zu der Don Camillo in seiner Kirche regelmäßig neigt, verurteilt Gottes Sohn dieses Handeln aber vehement und Don Camillo will einlenken, zumal die Kirche baufällig ist und dringend eine Renovierung benötigt. Peppone will zu Liebe seiner Frau seinen neugeborenen Sohn auf den Namen „Lenin“ taufen lassen, was Don Camillo aber ablehnt. Daraufhin will Peppone keine öffentlichen Mittel zur Kirchenrenovierung bereitstellen, sondern die Kirche wegen Einsturzgefahr schließen lassen. Dabei hat Peppone erst vor kurzem eine im zerstörten Brunnen des Dorfes versteckte Geldkassette gefunden. Laura klärt ihn auf, dass die Vorkriegs-Banknoten keinen Wert mehr besitzen, aber beim Amt umgetauscht werden können – vorausgesetzt, er findet einen plausiblen Grund für den Fund, damit der Schatz nicht zum Staatseigentum erklärt wird. Zunächst steht aber die jährliche Fluss-Segnung durch den Pfarrer auf der Tagesordnung, damit der Fluss nicht über die Ufer tritt. Don Camillo will die Segnung nicht zum politischen Event machen und verbietet Peppone, Parteifahnen mitzubringen. Aus Angst vor den bewaffneten Kommunisten bleiben die älteren Gläubigen in der Kirche und Don Camillo zieht mit dem Kreuz allein zum Fluss, wo ihn aber die rote Meute erwartet. Vor Zorn verflucht der Pfarrer das Dorf und wünscht sich, dass der Herr den Fluss über die Ufer treten lassen soll, um die Kommunisten aus dem Dorf zu schwemmen. Leise, so dass es niemand hört, nimmt er zwar seinen Fluch vor Gott zurück, doch das Donnerwetter beginnt.
Nach vielen Tagen Dauerregen droht der Fluss tatsächlich das Dorf zu überschwemmen und das Volk wendet sich reumütig an Don Camillo, der verspricht, der Flut Einhalt zu gebieten, sobald auch der Bürgermeister echte Reue zeigt. Als das gesamte Volk betet, geschieht ein „Wunder“, der Regen wird schwächer und der bedrohliche Wasserspiegel sinkt. Don Camillo muss aber vor Jesus zugeben, dass er heimlich im Radio gehört hat, dass die Schleusen vom Militär geöffnet werden und dass sein „Wunder“ eigentlich nur gutes Timing war. Jesus verurteilt Don Camillos Lügen und ermahnt ihn, in Zukunft ehrlicher zu Peppone und seinen Mitbürgen zu sein. Doch schon steht der nächste Ärger ins Haus, denn über die innige Freundschaft von Gina und Mariolino zerstreiten sich die Eltern Filotti und Brusco so sehr, dass Peppone zur Unterstützung der Landarbeiter die Gutsherren bestreiken lässt. Keine Partei will nachgeben und so steht bald das Leben aller Kühe auf dem Spiel, da sie nicht gemolken werden. Das wiederum hätte fatale wirtschaftliche Folgen für das gesamte Dorf.
Eigentlich kann das Leben so schön sein, wenn man es sich nicht gegenseitig schwer macht. Das müssen Don Camillo und Peppone nach vielen selbstsüchtigen Rückschlägen lernen, denn nur gemeinsam ist man stark: So lässt sich die Taufe von Peppones Sohn einrichten, wenn zum Namen Lenin einfach noch der Zweitname Camillo hinzugenommen wird. Das wertlose Geld kann gegen neue Scheine umgetauscht werden, als Don Camillo es als wiedergefundene Spendengelder deklariert, die nicht nur den Neubau des Brunnens, sondern auch die Renovierung der Kirche gestatten. Don Camillo schlägt sogar noch eine neue Kirchenglocke raus, als er Peppone bei seiner nachgeholten Schulprüfung die Lösung der Aufgaben zusteckt. Und selbst die Kühe können beide mit einer gemeinsamen Melkaktion vor dem sicheren Tod retten, was den Streik beendet. Was die beiden aber nicht kitten können, ist die unglückliche Liebe von Gina und Mariolino: die beiden nehmen sich gemeinsam eher das Leben als getrennt voneinander leben zu müssen und sind nach einem Abschiedsbrief verschwunden. Nimmt das Drama seinen Lauf oder sorgen Don Camillo und Peppone am Ende doch noch für ein Happy End?
Die Gesamtaufnahme des Musicals aus Wien auf CD
Meinen persönlichen Zugang zum Musical „Don Camillo und Peppone“ fand ich durch die Live-Gesamtaufnahme des Stückes aus Wien auf Doppel-CD von Januar 2017. Mit Andreas Lichtenberger (Don Camillo), Frank Winkels (Peppone), Maya Hakvoort und Jaqueline Reinhold als alte und junge Gina, Kurosch Abbasi (Mariolino), Femke Soetenga (Laura) und Reinhard Brussmann als Filotti war die Original Cast Wien bestens besetzt. Und trotzdem wollte mir beim Hören nicht der Funke überspringen. Die durchkomponierte Musik mit eingestreuten Dialogen war gefällig, aber sehr darauf ausgerichtet, die Handlung gut verständlich zu unterstreichen und ich vermisste echte Ohrwürmer. Zudem kam mir die Handlung fragmentiert vor wie einzelne, abgeschlossene Kurzgeschichten, bei der ich einen durchgängigen roten Faden nicht erkennen konnte. Kurz gesagt: die CD verschwand nach zwei, dreimal Hören etwas vorschnell im CD-Regal.
Inszenierung von Don Camillo und Peppone in Tecklenburg
„Don Camillo und Peppone“ ist ein Stück, dass man einfach mal auf der Bühne gesehen haben muss, um es zu lieben. Bereits in St. Gallen und Wien führte Andreas Gergen Regie, den auch die Festspiele Tecklenburg gewinnen konnten. Für die Open-Air Deutschland-Premiere änderte Gergen einige Kleinigkeiten, die eine Freiluftinszenierung mit sich bringen, und entwickelte sein Konzept weiter fort. Die auffallendste Änderung ist sicherlich die Tatsache, dass Don Camillo in Tecklenburg bei seiner Zwiesprache mit Jesus nicht mit einer Stimme aus dem Off spricht, sondern dass Jesus als Person im sportlich-schwarzen Jogging-Outfit auf der Bühne agiert. Dies passt insofern gut ins Konzept, weil er die alte Gina als Erzählerin permanent begleitet und sich rührend um die alte Dame kümmert, die während der Handlung in den 50er Jahren ebenfalls unsichtbar ist. Etwas erinnert dies an seine Regiearbeit zu Rebecca in Tecklenburg, in der er Rebeccas Geist ebenfalls erstmals auf der Bühne agieren lässt. Wenn die Dorfbewohner mit Taschenlampen verzweifelt den Fluss nach den vermissten Liebenden absuchen, erinnert dies ebenfalls an die unglaublich intensive Szene „Strandgut“ aus Rebecca – aber eine Anleihe an eigenen Ideen, die zudem noch perfektioniert wird, sieht man als Zuschauer sehr gerne. Ansonsten schöpft Gergen aus den Möglichkeiten der Schlossruine als Kulisse (Bühne: Jens Janke) und dem imposanten Aufmarsch der Statisten, die dem Dorf in den Kostümen von Karin Alberti authentisches Leben einhauchen. Die Tanzszenen von Till Nau überzeugen durch abwechslungsreiche Schrittfolgen mit überraschenden Einfällen.
Traumrolle für Thomas Borchert als Don Camillo
Gergen kann sich zudem auf eine Cast aus hochkarätigen Musicaldarstellern verlassen, die seine Wünsche perfekt umsetzen. Barbara Tartaglia ist eine wundervolle alte Gina mit wohlklingender Stimme, die schon bei der Uraufführung des Musicals in diese Rolle schlüpfte und die Handlungsfäden immer straff in der Hand hält. Ein Lob an die Maske von Philip Hager und Gülfidan Söylemez, die bei Gina und Nonno wahre Faltenwunder gewirkt haben. Florian Albers ist Ginas Gentleman-Begleiter, der eben auch als Jesus dem Pfarrer gehörig kontra gibt, wenn er mal wieder Gottes Gebote extrem freizügig auslegt. Für Thomas Borchert ist der Part des Don Camillo eine Traumrolle, die er gerne schon in Wien gespielt hätte, damals aber andere Verpflichtungen hatte. In Tecklenburg schöpft er sein komödiantisches Talent voll aus, will immer respektvoll und geistlich erscheinen, doch das Weltliche holt ihn immer auf den Boden der Tatsachen. Ihm gelingt dabei der Drahtseilakt, auch mit fliegenden Fäusten und mit schwingendem Jesuskreuz eine geistliche Würde zu behalten, bevor er dann von Jesus wie ein erwischtes Kind vorgeführt und verurteilt wird. Patrick Stanke als bildungsfernes Dorfoberhaupt Peppone steht ihm schauspielerisch dabei in nichts nach. Die beiden ergänzen sich harmonisch und spielen sich gegenseitig ihre Highlights zu, so dass man als Zuschauer gerne herzhaft lachen kann. Eine akustische und optische Augenweide sind Milica Jovanovic als junge Gina und Dominik Hees als ihr geliebter Mariolino. Wenn man im echten Leben ein Paar ist, fällt die Bühnenliebe umso schöner und harmonischer aus. Femke Soetenga als Lehrerin Laura, die diese Rolle auch schon in Wien spielte, und Sebastian Brandmeir als Ich-bin-noch-nicht-toter agiler Greis Nonno geben als zweites Liebespaar einen humorvollen Kontrast zum dramatischen Romeo und Julia Paar ab. Rollenbedingt gehen Kevin Tarte als Gutsbesitzer Filotti und Jörg Neubauer als Brusco bedauerlicherweise etwas unter, dürfen sie „nur“ die störrischen und unversöhnlichen Väter spielen, die ihre Kinder in den Selbstmord treiben.
Giorgio Radoja als musikalischer Leiter sorgt für einen vollen Orchestersound. Live auf der Bühne werden so die Songs „Lang ist es her“ zu Ginas sehnsüchtigem Blick auf die Vergangenheit, Don Camillos „36 Häuser“ seiner verantwortungsvollen Priesterrolle im Dorf gerecht, „Heimat“ zu Peppones patriotischer Hymne, „Du und ich auf einer Insel“ zum romantischen Liebesduett und „Wir“ zu einem Gesangsduell der Sonderklasse zwischen Don Camillo und Peppone. Und in Tecklenburg leuchtet ein roter Faden durch die gesamte Inszenierung, so dass man die einzelnen Kurzgeschichten nur noch schwer voneinander abgrenzen kann.
Fazit: Kurzweilige Unterhaltung mit Charme
„Don Camillo und Peppone“ ist ein Musical, das kurzweilig bestens unterhält und den Charme der Originalvorlage von Romanen und Filmen beibehalten hat. Wieder ein sehenswertes Musical-Ereignis in Tecklenburg, das sich von anderen Produktionen positiv abhebt.
© Text und Fotos: Stephan Drewianka, Musical-World.de; Dieser Bericht erschien in leicht gekürzter Fassung in der Fachzeitschrift Blickpunkt Musical, Ausgabe 101, Juli-September 2019
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