Jesus Christ Superstar Musical in Tecklenburg
Lasst den Tempel in Jerusalem und die Kirche im Dorf!
Jesus Maria!! Der Glaubenskrieg ist (wieder) voll entbrannt. Er wird, dem multimedial vernetzten Zeitgeist entsprechend, im Internet ausgetragen, in den einschlägigen Diskussionsforen und Debattierclubs, wobei sich der ein oder andere Streiter bei der Wahl seiner verbal-fäkalen Waffen auch schon einmal heftig (im Ton) vergreift. Selten hat eine Produktion der Tecklenburger Freilichtspiele in den vergangenen Jahren so kontroverse Diskussionen hervorgerufen wie das Musical Jesus Christ Superstar, das die Münsterländer neben und nach Crazy for you als zweite Saisoninszenierung auf den Spielplan gesetzt haben. Wobei sich die Reaktionen und Wertungen zwischen himmelhoch jauchzend bis „zu Tode betrübt bewegen. Dass man es sowieso nie allen Recht machen kann, weiß jeder Kunstschaffende, weiß jeder Regisseur. Und das weiß auch Marc Clear, der damit nach den „3 Musketieren“ seine zweite Regierarbeit für die Münsterländer Theatermacher abgeliefert hat. Eines vorneweg: Der Mann hat einen grundsoliden Job gemacht und das Portfolio dieses Webber-Klassikers um einige erfrischende neue Ansätze und Ideen bereichert. Je nach Standpunkt kann man ihm (subjektiv) viel nachsagen, aber eines nicht: handwerkliche Fehler begangen zu haben. Wie hatte der Erkenntnistheoretiker, nachdem er in ein Stück Seife gebissen hatte, doch gleich befunden? (Es ist eben) Alles Geschmackssache! Lassen wir also mal den Tempel in Jerusalem und die Kirche im Dorf.
Tecklenburg liefert mit dem Musical Jesus Christ Superstar eine opulente, grundsolide inszenierte Produktion ab
Andererseits: Freilichtspiel-Intendant Radulf Beuleke kann noch so viele rhetorische Klimmzüge machen: Das Musical Jesus Christ Superstar war von Anfang an ein Lückenfüller, weil es auf dem heiß umkämpften Markt der Aufführungsrechte diesmal zu mehr nicht gereicht hatte. Das könnte in der nächsten Saison schon wieder ganz anders aussehen, falls die Bühne das O .K. bekommt, die Musicals Marie-Antoinette und Hairspray inszenieren zu dürfen. Dass Sir Andrews unkonventionelle Rock-Oper nach 2000 und 2001 und damit innerhalb von elf Jahren ein drittes Mal auf dem Spielplan auftaucht, war mehr der Not geschuldet, weniger dem eigenen Triebe der Hausherren. Sie haben aber das Beste daraus gemacht. Mehr lässt sich aus dem die letzten sieben Tage des Messias beschreibenden Stück nicht herausholen. Zwischen der hiesigen Erstaufführung anno 2000 und der aktuellen Saisoninszenierung liegen Welten. Ein Vergleich veranschaulicht die qualitativen Quantensprünge, die die Freilichtspiele in den vergangenen Jahren vollzogen haben. Sie agieren damit auch 2011 auf dem mittlerweile gewohnt hohen Niveau. Der Besucher kann blind darauf vertrauen, dass ihm hier nichts Minderwertiges oder Zweitrangiges zugemutet wird. Das Gegenteil ist und bleibt der Fall.
Keine La-Ola Wellen
Diese hochemotionale und dramatische Geschichte bei gleichzeitiger Auszeichnung der Charaktere auf einer so großen, weitläufigen Bühne packend zu transportieren, ist eine echte Herausforderung. Dass das Publikum nach dem finalen Kreuzestod des Erlösers nicht johlend auf den Bänken stehet und keine La-Ola-Wellen zelebriert, kann doch wohl schwerlich als Gradmesser für Missglückt oder Gelungen herangezogen werden. Dass die Reaktionen, anders als beim Gute-Laune-Kracher Crazy for You verhaltener ausfielen, ist der Storyline geschuldet und war zu erwarten. Die Geschichte macht auch 2000 Jahre nach dem ihr zugrunde liegenden Ereignis noch betroffen. Wenn es gelingt, etwas von dieser Betroffenheit beim Publikum auszulösen, dann haben Künstler und Kreative ihr Klassenziel allemal erreicht. Und das ist in Teck zweifellos der Fall.
Dass die Inszenierung opulent ausfallen würde, war vorausbestimmt. Bei dem Personalpool, der den Gastgebern zur Verfügung steht, wäre Klein-Klein oder weniger auch verschenktes Potential gewesen. Und so konnte man Dank der großen eigenen Statisterie und des Chores die Massenszenen, die das Musical Jesus Christ Superstar beinhaltet, schwelgerisch ausstatten. Dazu gehört auch die Tempelszene, in der ein ganzes Heer an Mühseligen und Beladenen auf Christus einstürmt, zukriecht und -humpelt, weil es sich durch eine einzige Berührung Linderung und Erlösung von seinen Leiden und Gebrechen erhofft. Das hat etwas Unheimliches, ja Surreales – und der „König der Juden“ gerät in Panik….
Patrick Stanke mit starker Stimme und starkem Spiel
Die Rollen, aber auch die kleineren innerhalb des Ensembles, sind mit Bedacht und Gespür besetzt worden. Das zeigte sich nicht nur bei dem Titelpart, aber dort vor allem. Mit Patrick Stanke steht am Deutschen Sommerbroadway eine Jesus-Figur auf der Bühne, die nicht nur als Strahlemann und Heilsbringer daher kommt, sondern die ganze innere, zweifelnde Zerrissenheit eines Menschensohns in aussichtsloser, todgeweihter Mission widerspiegelt. Anfänglich dem Profanen entrückt, über den Dingen und Ereignissen stehend, dann, angesichts der Unumkehrbarkeit und Ausweglosigkeit der Situation zunehmend mit Wut (aber auch Angst) im Bauch, stattet Stanke mit starkem Spiel „seinen“ Jesus mit einer geballten und vielschichtigen emotionalen Bandbreite aus, sowohl in den lauten, als auch in den leisen Momenten. Stimmlich ist der Wuppertaler sowieso über jede Kritik erhaben. Als Charakterdarsteller gewinnt der Mann immer mehr an Format.
Fulminant choreografierte Showstopper
Jener, der ihn für ein paar Silberlinge (aber aus seiner Sicht durchaus hehren Motiven) verrät, heißt im Zivilleben Mischa Mang. Vielleicht lag’ s an der Aussteuerung, vielleicht an einer temporären gesundheitlichen Indisponiertheit - nicht immer kam sein Judas, und das ist ja eigentlich die zentrale Figur des Stücks, bei der Premierenshow vokal so rüber, wie man das von ihm kennt (Thuner Seespiele, Bad Gandersheimer Domfestspiele) oder es sich gewünscht hätte. Aber die Rock-Röhre kleidete sein Spiel mit viel Leidenschaft, vollen Körpereinsatz und Energie aus und entschädigte die Besucher in der furiosen, von Doris Marlis fulminant choreografierten Jesus Christ Superstar-Szene. Und das ist/war ja nicht der einzige Showstopper dieser Produktion. Der Song des König Herodes gehört allemal dazu. Wie ein zu Höchstform auflaufender Adrian Becker diese Szene goutiert, allein das ist den Eintrittspreis schon wert. Sein Herodes ist keine Witzfigur, sondern ein zorniger Monarch, der andererseits, man kennt das, den weltlichen Genüssen und erotischen Reizen sehr zugetan ist.
Auf der Achterbahn
Apropos: Das angedeutete sexuelle Spannungsfeld zwischen Jesus und Maria-Magdalena war es ja, das diese Rockoper anfänglich vielen fundamentalen Christen so suspekt machte. Heute regt sich kaum noch ein Mensch darüber auf – außer vielleicht ein paar unbelehrbaren Glaubens-Dogmatikern der einen Lehre. Die Rolle der Maria-Magdalena ist in Tecklenburg mit Femke Soetenga nachgerade optimal besetzt. Mit ihrem akzentuierten Spiel und ihrer warmen, gefühlvollen Stimme nimmt die talentierte Niederländerin jeden Gast unter dem großen Zeltdach für sich ein. „Wie soll ich ihn nur lieben“ ist ein Hörgenuss, und das Duett mit Petrus (Frank Winkels) „Lass uns neu beginnen“ wird, während Jesus im Hintergrund von den Römerschergen gefoltert wird, zur ambivalenten, emotionalen Achterbahnfahrt.
Stichwort Römerschergen: Die Legionäre hätten durchaus etwas martialischer daher kommen können. Sie hatten eigentlich nichts Furchteinflößendes oder Gefährliches an sich. So wie sie beispielsweise bei der Festnahme des Messias im Garten Gethsemane agierten, wirkten sie eher wie Mitarbeiter des Klein -Krotzenburger Ordnungsamtes bei der Halterfeststellung eines Parksünders. Es geht auch anders, wie die Bad Gandersheimer in diesem Jahr gezeigt haben. Bei deren eindrucksvoller Aida-Inszenierung ersetzten zwei Krieger des Pharao eine ganze Streitmacht – und man zog beim Aufmarsch der wilden Gesellen stets unwillkürlich den Kopf ein.
Amadé in Galiläa
Aber dieser Nebenaspekt ist, um im Landser-Jargon zu verbleiben, in Tecklenburg nicht Kriegs entscheidend. Die positiven Momente und Eindrücke überwiegen klar. Das zeigt beispielsweise die Judas’sche Todesszene, bei der man sich im Vorfeld immer fragt, wie die Regie diese wohl lösen würde. Marc Clear lässt den Verräter durch in dunkle Fantasiekostüme gekleideter Tänzer strangulieren. Die Chimären werfen mehrere Seile über ihr Opfer und ziehen die Schlingen langsam zu. Clear hat dem Ensemble auch noch eine weitere Kunstfigur spendiert, einen ganz in Weiß gekleideten Buben, dessen Hauptaufgabe die stumme Interaktion mit den Protagonisten ist. Das erinnert ein klein wenig an Amadé, das unsichtbare Porzellankind aus Mozart – aber es hat was.
Die goldenen Brücken des Pilatus
Dass der in Deutschland gebürtige Brite und Wahl-Skandinavier ein begnadeter Darsteller und Sänger ist, wissen die Tecklenburger Stammgäste seit Jahren aus eigener Anschauung. Der Mann gilt hier als Publikumsliebling – und beschränkt sich deshalb auch bei „J.C.“ nicht nur auf die Arbeit hinter den Kulissen. Marc Clear schlüpft in die Rolle des Pilatus und zeichnet diese mit einer enormen authentischen Differenziertheit. Er versucht Jesus alle goldenen Brücken dieser Welt zu bauen, um ihn vor der Kreuzigung zu bewahren, doch der ist stur wie ein Panzer. Und deshalb muss der zwischen Wut, Verzweiflung und Ratlosigkeit hin und her gerissene römische Statthalter vor der Forderung des Mobs, der den Delinquenten noch wenige Tage zuvor gefeiert hat, kapitulieren, wäscht seine Hände aber theatralisch in Unschuld –in einer Schüssel Wasser, die er anschließend gegen die Wand schleudert - an der ein großer Blutfleck zurück bleibt. Sollen sich doch die Historiker und Theologen die Köpfe darüber zerbrechen, ob diese Charakterisierung stimmig ist.
Musical Jesus Christ Superstar: Volle Punktzahl für die Band
Auch an den kleineren Personalien ist erkenn- und erlebbar, mit wie viel Bedacht für Jesus Christ Superstar gecastet wurde. Das manifestiert sich beispielsweise in der Figur des Simon Zelotes, die der strahlende Vorjahresheld Thomas Hohler (D’Artagnan) trägt, oder der des schmierig-verschlagenen Priesters Annas, dem Stefan Poslovski Konturen verleiht und mit viel Ausdruck und köstlichem Minenspiel zum Leben erweckt. Sein Tempel-Chef Kaiphas ist übrigens Tom Tucker, der seinen mächtigen Bass aus dem tiefsten Keller holt. Von dem schlichten, aber passenden Bühnenbild und dem einfühlsamen Lichtdesign einmal abgesehen: Letztendlich steht und fällt das Ganze (auch) mit der Orchestrierung. Und da haben die Tecklenburger mit Klaus Hillebrecht und seiner klangvollen Streitmacht wieder ein stechende Trumpfkarte im Ärmel. Mit Verve, Druck und Kraft hangeln sich die Musiker durch die Partitur des durchkomponierten Werkes, das in seiner kantigen Dynamik ja als eine Fusion aus Rock, Folk-Kantaten, Show-Music und klassischen Fragmenten daherkommt und vor allem durch seine ungeschliffenen, aggressiven Gitarrenklänge besticht. Der Sound ist erstklassig und hat sich die volle Punktzahl verdient.
© by Jürgen Heimann; Fotos: Heiner Schäffer
Alles zum Musical Jesus Christ Superstar bei Sound of Music.