Premiere des Kammermusicals „The Story Of My Life” am Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen

“Wenn man tot ist, sagen die Leute nette Dinge über Dich.“ Das erfahren die Schulfreunde Thomas und Alvin bei der Beerdigung ihrer Lehrerin und schwören sich, für den Freund, der eher stirbt, die Trauerrede am Grab zu halten. Jahre später findet sich der mehrfach ausgezeichnete Buchautor Thomas Weaver genau in dieser Situation wieder: sein ehemaliger bester Freund, der Buchhändler Alvin Kelby ist unter mysteriösen Umständen von einer Brücke gestürzt wie George Bailey, die Hauptfigur aus dem Weihnachtsfilm “Ist das Leben nicht schön?”, den sich Thomas und Alvin jedes Jahr gemeinsam angesehen haben. Doch Thomas hat eine Schreibblockade und ihm wollen nicht die richtigen Worte für die Trauerrede einfallen. Da meldet sich Alvin in Thomas Unterbewusstsein zu Wort und beide erforschen rückblickend die Geschichte seines Lebens. In den Episoden aus der Vergangenheit erkennt Thomas, wie inspirierend sein Freund für ihn als Romanautor war und warum beide schließlich im Streit auseinandergegangen sind.

Das intime Kammermusical „The Story of my Life“ von Neil Bartram und Brian Hill aus dem Jahre 2006 feierte in der deutschen Fassung als „Die Geschichte meines Lebens“ in der Übersetzung von Thomas Borchert und Jerry Marwig 2014 zunächst in Wien mit Andreas Bieber und Daniel Große Boymann in den Hauptrollen und 2017 in Fürth Premiere. Seit 20. April 2024 zeigt das Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen das Stück in der Inszenierung von Vongani Bevula auf einer kleinen Bühne im Foyer des großen Hauses als 1 Stunde 45 Minuten Einakter mit freier Platzwahl.

Die hauseigenen Darsteller Sebastian Schiller („Hello, Dolly!“ und „Tick, Tick, Boom!“ in dieser Spielzeit) und der Operntenor Benjamin Lee („Un giorno di regno“) nehmen die Zuschauer mit auf eine emotionale Reise in die Vergangenheit, die gesanglich wie schauspielerisch restlos überzeugt. Während Schiller im Jetzt einen mürrischen und ausgebrannten Thomas zeichnet, darf Lee ein positiv-denkendes Energiebündel mit blühender Fantasie sein, obwohl Alvin als Schüler gehänselt wurde und auch als Erwachsener nie seine urige Heimatstadt verlassen hatte, weil er pflichtbewusst den Buchladen seines Vaters übernahm. Thomas erlebt eine Reise ins Ich und die Selbsterkenntnis, dass Alvins Geschichten das Geheimnis seines Erfolges ausmachen, trifft ihn genauso hart wie die Tatsache, dass er den schüchternen Außenseiter gleich mehrfach tief enttäuscht hat. Doch das Leben ist nicht wirklich so schwarz-weiß wie die Anzüge, Requisiten und die beiden Podeste, auf denen beide Figuren agieren. Ihre gemeinsamen Abenteuer wie die von Huckleberry Finn und Tom Sawyer werden von Videoeinspielungen auf einer Leinwand dokumentiert. Bei ihrer Zwiesprache werden sie von zwei weiteren Darstellern aus der Statisterie des MIR stumm unterstützt sowie von einem neunköpfigen Orchester der neuen Philharmonie Westfalen unter der musikalischen Leitung von Mateo Penaloza Cecconi, welches eine wunderbare Bandbreite an melodischen Klängen schafft, die in der üblichen kleineren Version für drei Musiker bei weitem nicht erreicht wird.

„The Story Of My Life“ in Gelsenkirchen ist für Liebhaber anspruchsvoller Unterhaltung, die gerne ganz nah am Geschehen sein wollen und dafür auf spektakuläre Bühneneffekte verzichten, genau das Richtige – klein, aber fein!

© Stephan Drewianka