Jesus Christ Superstar in Bad Hersfeld © Bastian Zimmermann
Jesus Christ Superstar in Bad Hersfeld © Bastian Zimmermann
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Premiere „Jesus Christ Superstar“ bei den Bad Hersfelder Festspielen

Jesus - Der Weg, Die Wahrheit, Das Leben

Ein tattriger christlicher Würdenträger in vollem Ornat klettert mühsam über eine am Boden des heruntergekommenen Kirchenschiffes liegende überdimensionale Christus-Statue und lässt sich von einem vor ihm knienden Messdiener die Bibel halten, aus der er seine Predigt zu zitieren beginnt. Während er monoton von christlichen Werten redet, legt er einen Ring an und drapiert sich ein goldenes Kreuz um den Hals. Immer wenn er zur Verdeutlichung seiner Worte einen Messdiener berühren will, weicht dieser angstvoll und angewidert zurück. Zum Einsetzen von Andrew Lloyd Webbers instrumentaler Ouvertüre seiner Rockoper betreten farbenfroh gekleidete Menschen die Kirche. Sie sind nicht einverstanden mit dem klerikalen Prunk und nehmen dem Bischof passend zu dem Song-Fragment „The 39 Lashes“ nicht nur ruckartig wie Peitschenhiebe Mitra, Ring und Kreuz ab, sondern reißen ihm auch das Messgewand vom Körper, unter dem sich ein einfaches hellblaues Shirt mit rotem Herz befindet, das entfernt an das Markenzeichen von Superman erinnert. Ein Schlag vor den Kopf, ähnlich einer Hypnose, versetzt den nun 30-jährigen Mann zurück in eine Zeit 30 Jahre nach Beginn unserer modernen Zeitrechnung. Der am Boden liegende Jesus ist längst „auferstanden“ und hängt nun ohne Kreuz aber dennoch in der charakteristischen Pose mit geneigtem Kopf und freundlich-leidendem Gesichtsausdruck als stummer Zeuge der größten Geschichte der Menschheit im imposanten Kirchenschiff der Bad Hersfelder Stiftsruine.

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Bildgewaltige Inszenierung in deutscher Sprache

So provokant in Bezug auf den aktuellen Stand der Kirche beginnt die außergewöhnliche Inszenierung von „Jesus Christ Superstar“ von Stefan Huber in Bad Hersfeld, die den Zuschauer dann zu den Anfängen unserer heutigen Religion führt. Bereits die ersten Klänge des 24-köpfigen Orchesters unter der großartigen Leitung von Christoph Wohlleben stimmen auf ein audiophiles und optisches Spektakel der Extraklasse ein. Anders als die meisten Inszenierungen, die auf die Originalversion der Texte von Tim Rice schwören, wird hier in gelungener deutscher Übersetzung von Anja Hauptmann gesungen, die die Handlung für ein deutsches Publikum noch intensiver werden lässt. Die weite Open-Air Bühne von Okarina Peter und Timo Dentler beherrscht neben drei mobilen Treppenblöcken ein zehn Meter langes und sechs Meter breites multifunktionales Kreuz, das bewegt, gekippt und gedreht werden kann und allgegenwärtig z.B. als Abendmahltisch bespielt wird. Die Kostüme orientieren sich künstlerisch an Gemälden. So tragen die elf Apostel ihren individuellen Ausschnitt aus Leonardo Da Vincis Abendmahl als bedruckte Shirts zu knallbunten Samthosen, während Judas als blutroter Verräter bereits zu Beginn das Bild des Judaskusses auf der Brust trägt. Herodes hüllt sich in einen Mantel mit dem Motiv der Kindermode von Rubens und Jesus trägt wallend ein Cape mit dem Turiner Grabtuch. Jesus Follower wirken wie aufgetakelte Hippies der Jetztzeit, modern und doch kitschig. Und dieser Kitsch findet sich auch in der Szene „Vertreibung aus dem Tempel“, bei dem die Apostel selbst Billigartikel mit dem Konterfei ihres Idols von der Gießkanne über die aufblasbare Weihnachtskrippe, Fußabtreter, Regenschirme bis zur Bratpfanne feilbieten, bis ihnen Jesus Einhalt gebietet. In anderen Produktionen etwas vernachlässigt, ist die Rolle der Maria Magdalena in Bad Hersfeld omnipräsent. Sie beruhigt den hitzigen Streit zwischen Jesus und Judas aktiv mit wohltuenden Myrrhe-Massagen der Schläfen sogar von Judas, der dies aber beinahe eifersüchtig vehement ablehnt. Während alle Apostel im Garten von Gethsemane satt und trunken vom letzten Abendmahl ein Nickerchen halten, lauscht sie allein wach und aufmerksam Jesus eindringlichem Monolog mit seinem Vater. Und Maria ist es auch, die als einzige Zeugin die Kreuzigung Jesu an das riesige Kreuz bewacht und zu den letzten Klängen von „John 19:41“ erlebt, wie der tote Jesus wieder aufersteht – ein versöhnliches und positives Ende nach all dem Leid, was in vielen Inszenierungen des Musicals nicht gezeigt wird, in Bad Hersfeld vielleicht der ergreifendste Moment des ganzen Stückes ist. Die monumentale Bilderwucht wird komplettiert durch den Showstopper von Herodes, der hier nie den Bühnenboden betritt und nur über Kirchenbänke balanciert oder von seiner genderfluiden Anhängertruppe getragen wird. Kontrastreich zu dem knallbunten Treiben der Jesus-Fans sind die schwarz-weiß glitzernden Mafioso-Priester, die in Jesus Lehren eine Bedrohung sehen und ihn bei dem hier besonders gütigen und nachsichtigen Pontius Pilatus als König der Juden anschwärzen wollen. Der Titelsong wird optisch opulent von drei elektrifizierten Engeln für Judas in Begleitung eines teuflischen Gefolges präsentiert. So großartig die Inszenierung von Stefan Huber auch ist, sie schwächelt in einem zentralen Punkt: der Konflikt zwischen Jesus und Judas ist zwar permanent greifbar, bleibt aber schwammig und das Motiv von Judas Verrat ist nicht so klar definiert, wie man es aus anderen Produktionen kennt.

Darsteller und Rollen bei JCS

Andreas Bongard ist ein charismatischer Jesus von Nazareth, dem man gerne folgt und der nicht der überhebliche Gottessohn ist, für den ihn Judas und die Priester eigentlich halten sollten. Er hat seinen Weg prophetisch im Blick, der ihn schließlich überfordert und als einfachen Menschen an seiner Aufgabe zerbrechen lässt. Tim Al-Windawe als Judas Ischariot sieht in Jesus nur einen schwachen Mann und möchte seinen Superstar wieder zurück durch seinen Verrat an die Priester, grandios vertreten in beachtlicher Differenz in Körpergröße und Stimmlage von Matthias Graf als Kaiaphas und Holden Madagame als Annas. Der Verrat durch einen Kuss liegt Judas schwer auf der Seele, so dass er mit einem Messer sein Leben beendet. Sidonie Smith ist eine starke Frau in der männergeprägten Gefolgschaft der Apostel (auch wenn sich besetzungstechnisch auch 3 Apostelinnen unter die 12 Verschworenen gemischt haben). Mit imposanter Stimme ist sie Hure, Mutter und Geliebte, und anders als die Apostel trägt sie ein Kleid in der blauen Farbe von Jesus mit einem kleinen Herz, aus dem sich eine rote Farbfalte verbreitert bis zum Saum ergießt. Frank Winkels repräsentiert einen nachsichtigen Pontius Pilatus, der Jesus nicht verurteilen will und seine Hände buchstäblich in Unschuld wäscht. Rob Pelzer holt aus der Rolle des flippig-aufgekratzten Herodes das Beste heraus, was in seinem kurzen Song als komödiantischer Auflockerungsausflug möglich ist. Das restliche Ensemble agiert insbesondere in den Tanzsequenzen der vielseitigen Choreografie von Melissa King energiegeladen und enthusiastisch, die ihren Superstar mit der Parole „Jesus - Der Weg, Die Wahrheit, Das Leben“ wie Aktivisten in einer Demonstration hochleben lassen. Der letzte Darsteller, der genannt werden muss, ist die Stiftsruine Bad Hersfeld selbst, denn wo könnte ein Musical über Jesus authentischer aufgeführt werden als in der atmosphärischen Ruine einer Kirche?

Text: Stephan Drewianka, dieser Artikel erscheint ebenfalls in der Musical-Fachzeitschrift Blickpunkt Musical - 04-23 - Ausgabe 124, Fotos: Stephan Drewianka, Bastian Zimmermann

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