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5. Sommernacht des Musicals in Dinslaken: Sonne satt und Partystimmung

Let the sunshine in: Herausragende Künstler und Fans aus ganz Deutschland feierten klangvolles und turbulentes Happening

Jetzt ist sie also auch schon wieder klingende Geschichte, die 5. Sommernacht des Musicals in Dinslaken. An der Sechsten wird bereits konzeptionell gebastelt. Mittlerweile zur erfolgreichsten und beliebtesten Veranstaltungsreihe ihrer Art in Deutschland avanciert, lockte die (kleine) Jubiläums-Auflage am 19. Juli 2003 über 2000 Fans und Freunde des Genres ins malerische Burgtheater des niederrheinischen Städtchens – ohne dass im Vorfeld allzu viel Werbung hatte betrieben werden müssen. Das Ganze ist längst zum Selbstläufer geworden. Viele Hunderte von Interessenten hatten sogar im Vorfeld abgewiesen werden müssen. „Ausverkauft“ vermeldeten die Veranstalter schon Wochen zuvor. Wieder einmal fand das Prinzip “Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“, Anwendung.
Die Besucher wissen natürlich längst und ganz genau, dass sie hier gut bedient werden - egal,  welche Namen, ob hochgradig oder weniger exponiert, gerade auf der Besetzungsliste stehen. Insofern kann man auch jene Meckerer und notorischen Griesgrämer getrost links liegen lassen, die (vielleicht auf der verzweifelten Suche nach dem Haar in der Suppe) in Ermangelung anderer stichhaltiger Kritikpunkte meinten, darüber klagen zu müssen, es habe diesmal an den ganz großen Top-Stars gemangelt. Quatsch - und Thema verfehlt!  In Dinslaken geht es (inzwischen) kaum mehr darum, den  „Göttern“  der Musical-Szene einen Altar zu errichten. Ja, um Himmels Willen, wenn denn auch mal Publikumslieblinge wie Ethan Freeman oder eine Maya Hakvoort nicht dabei sind, ist das denn ein Beinbruch, so wie jener, den sich der Bieber-Andreas letztes Jahr wenige Stunden vor der Show bei einem Verkehrsunfall zugezogen hatte? Mitnichten! Solches Herumgemosere wird weder den beteiligten Künstlern, noch den Organisatoren, geschweige denn dem Publikum gerecht. Erstere brannten auf der Bühne ein wahres Feuerwerk ab, letzteres war sichtlich und nachweisbar aus dem Häuschen. Und die Veranstalter um Thomas Bauchrowitz und Bertram Ernst hatten wieder das Ihre getan, damit dieser Abend für alle unvergeßlich werden würde. (Der Wettergott tat es ihnen übrigens gleich. Noch am späten Abend zeigte das Thermometer schweißtreibende 28 Grad. )

Eine überragende Band

Dinslaken proudly presents: Maike Boerdam, die letzte Kaiserin aus Essen, ihr extra aus New York eingeflogener  verflossener Bühnengemahl und Ex-Les-Miz-Marius Michael Lewis, „Rum-Tum-Tugger“ John Partridge, „Herodes“ Reinhard Brussmann, „Jean Valjean“ Jerzy Jeszke, „Papa“ David Moore,  Katharina Debus, Melanie Stara, Oliver Nagy und Petra Weidenbach als Königin der Nacht. Unter den Protagonisten, die während der Show schon mal ein Bad in der Menge nahmen und sich auch im Anschluss recht „volksnah“ , nett und aufgeschlossen gaben, nicht eine(r), der/die einen schwachen Tag erwischt hatte. Ihre Entsprechung fanden sie in der überragenden Band unter Leitung von Bertram Ernst, die in diesem Jahr noch peppiger und soundgewaltiger aufspielte. Und die Vorgruppe, „Gastarbeiter“ aus dem mittelhessischen Dillenburg, war auch nicht von schlechten Eltern. Das Musical-Moments-Ensemble (Christina Schütz, Marlies Böhmer und Norbert Beppler) fuhr verdienten und langanhaltenden Beifall ein - und der war mehr als nur Höflichkeitsapplaus.

Spontan und impulsiv, leger und ausgelassen

Nein, es war keine Gala im klassischen Sinne. Diesen Begriff haben die Verantwortlichen auch nie für ihr inzwischen erwachsenes „Baby“ in Anspruch genommen. Der Wortbedeutungslehre entsprechend und im Duden nachzulesen, stünde eine solche auch eher für etwas Festliches bis Steifes. Nichts davon traf zu. Es war ein Happening voller Ausgelassenheit und Turbulenz, eine einzige große (Familien-)Party. Man war quasi unter sich - Gleichgesinnte, so weit das Auge reichte. Die Besucher statt im feinen Dunklen in legeren Jeans oder kurzen Shorts, die Künstler in Räuberzivil, bestens disponiert und gut aufgelegt. Sie hatten, und das war unverkennbar, mindestens ebenso viel Spaß wie ihre Zuhörer. Für sie war das Ganze eher Kür, denn Pflicht. Und nichts wirkte einstudiert. Wie auch? Dafür waren die Proben viel zu kurz gewesen. Und  das muss kein Nachteil sein, im Gegenteil. Der hohen Anteil an Improvisation verlieh der Dinslaken-Show eben genau  wieder jenes Begeisterung hervorrufendes Maß an lockerer Spontanität und Impulsivität, für die sie ja berühmt ist und geschätzt wird.

Die Mischung stimmte

Was die Stunde geschlagen hatte, hatte David Moore schon gleich mit dem ersten Song vorgegeben: „Celebration“! Was folgte, war eine Achterbahnfahrt durch die Welt des internationalen Musiktheaters - mal rockig und fetzig, mal getragen und besinnlich. Ein Wechselbad der Emotionen. Hier, wie bei anderen ähnlichen Gelegenheiten, macht’s die Mischung - und die stimmte. Zwischen den obligatorischen Gassenhauern und „Evergreens“ des Musicals immer wieder auch mal Kleinode dieser Gattung, die sonst eher selten bis gar nicht auf Veranstaltungen dieser Art angestimmt werden. „Journey  to the past“ aus „Anastasia, von Katharina Debus einfühlsam und stilsicher interpretiert, zählte allemal dazu.

John Partridge - Shouter und Abräumer

Ein besonderes und rares Bonbon wickelte auch Abräumer und Dinslaken-Debütant John Partridge aus. Sein „One Song Glory“ aus seligen Rent-Tagen, allerdings im englischen Original, offenbarte gleich beim ersten Auftritt die eigentlichen Stärken dieses charismatischen, mit Shouter-Qualitäten gesegneten Sängers, dessen rockig-rauchige Stimme wirklich unverwechselbar ist. Mit „Mr. Mistoffelees“ hatte er, der demnächst mit Robbie Williams durch Germanien tourt, natürlich auch ein Stück aus seiner aktuellen Berliner Produktion im Gepäck - und das war ebenfalls nicht für die CATS.

Nichtraucher mit Riesenjoint

Und die Menge erlebte eine Kaiserin, die so gar nicht in das „Lisbeth“-Klischee passen wollte. Maike Boerdam, für die die Show zur Geburtstasgsparty wurde – sie hatte genau an diesem Tag eine weitere Kerze anzünden können –  empfahl sich beispielsweise bei  „Buenos Aires“ aus Sir Webbers Klassiker „Evita“  als energiestrotzender Wirbelwind. Den auf der Soundtrack-Version mit Madonna basierenden Song servierte das quirlig-sympathische niederländische Meisje an Stelle der kurzfristig erkrankten Annika Bruhns mit viel vokaler PS und vollem Körpereinsatz und  legte wenig später mit „Mein Herr“ aus Cabaret noch einmal nach. Die Lacher auf seiner Seite hatte „Altmeister“ Reinhard Brussmann als ergrauter Senior-HippieTevje und gönnte sich, obwohl inzwischen zum Nichtraucher mutiert, statt eines Schluck Milchs einen riesigen Joint: „Wenn ich einmal high wär“... „ Dabei sollten die Haarigen doch erst viel später an der Reihe sein, um u.a. mit “Let the Sunshine in“ die Präsenz eines strahlenden Tagesgestirns beschwören, das Petrus in vorauseilendem Gehorsam aber längst entsandt hatte. Und im Verein mit Michael Lewis schlug der amtierende  „König der Juden“ aus Bad Hersfeld mit „You’re  nothing without me“ aus Cy Colemans „City of Angles“  einen weiteren Pflock ein.

Der andere Michael Lewis

Lewis kam natürlich um das dunkle Schweigen an den Tischen aus seiner Duisburger Durchbruch-Zeit nicht herum, aber der Bursche hat noch mehr auf dem Kasten bzw. in der Kehle als solche ernsthaften-schmerzvollen und arienhaften Balladen, die sein Rollenbild hierzulande bestimmen. Er ist ein Entertainer mit Showmaster-Qualitäten. Mit „Greased Lightnin’“ konnte er  dann auch mal seiner rockigen Seite die Zügel schießen lassen. Gut, „Suddenly Seymour“  (Lewis zusammen mit Katharina Debus) aus Gärtnermeister Alan Menkens horrigem kleinen Blumenshop hat man hier und da durchaus schon mal spritziger und komischer erlebt, doch man kann ja nicht alles haben. Andererseits: Wo gibt’s in der Pause 2000 quarkgefüllte Berliner umsonst, wie sie die Gastgeber an das Publikum verteilen ließen?

Jerzy Jeske frischte Heimvorteil auf

Ob Gala, Musical-Open-Air, Event oder Party-Time –  es gibt Titel, um die kommt man nicht herum. Das Publikum wartet  und besteht drauf. Dem trugen die Dinslakener Veranstalter mit dem schon obligatorischen Elisabeth-Block Rechnung: David Moore legte den „letzten Tanz“ auf’s Parkett, Maike Boerdam bestand (auch) auf holländisch darauf, nur sich selbst zu gehören, während die Schatten von Michael Lewis und John Partridge länger und länger wurden. Doch: Auch das vielen längst überdrüssige Opern-Phantom ist nicht tot zu kriegen. Jerzy Jeszke hatte zuvor mit „Bring ihn heim“ in Dinslaken einen Wieder-Einstand nach Maß hingelegt und an seinen Heimvorteil aus früheren Tagen erinnert. Er, der nun in Detmold wieder in die Rolle des Jean Valjean schlüpft, besann sich  in Folge auf seine alten Hamburger Tage. Ihm war es zu verdanken, dass die „Musik der Nacht“ so ergreifend, lebendig und aktuell wie kaum jemals zuvor ertönte. Obwohl tausendfach bei allen möglichen und unmöglichen Anlässen abgenudelt, verlieh er diesem Lied mit seiner kraftvollen, unnachahmlichen Stimme eine Intensität und eine Tiefe, dass sich nicht wenigen die Nackenhaare aufstellten. Das „Phantom-Duett“ mit Maike Boerdam  belehrte sodann all jene eines Besseren, die in der Platzierung des unheimlichen Mannes mit der weißen Maske (die hatte Jerzy aber nicht auf) nur ein Zugeständnis an den Massengeschmack gesehen hatten. 

Mit „We go together“ (Grease), dem „Time  Warp“ (John Partridge hatte sich zuvor mit „Sweet Transvestite“ schon mal für die Horror-Show warm gesungen) sowie dem wiederholten Hair-Medley war dann leider endgültig Schluss mit lustig. Im Gegensatz zur Wurst hat alles einmal ein Ende. Die Publikumsbefragung zuvor hatte gezeigt, dass die eisten Besucher schon zu den Stammgästen zählen. Man sieht sich - spätestens im nächsten Jahr. Aber erst einmal steht im Februar  2004 die zweite Auflage wieder „Musical on Ice“  in Haus bzw. die Dinslakener Eishalle. Gute Nachricht für jene, die (siehe oben) nichts anderes gelten lassen als Mega-Stars: Uwe Kröger und Ethan Freeman haben bereits zugesagt. Die Genießer freuen sich aber auch auf alle anderen Mitwirkenden.

© Jürgen Heimann, Fotos: Detlef Krentscher/Jürgen Heimann