Musical Jekyll & Hyde in Kassel
Musical Jekyll & Hyde in Kassel
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Musical Jekyll & Hyde reduziert auf das Wesentliche: Einfach genialer Musikgenuss

Jekyll & Hyde feiert Premiere 2014 am Staatstheater Kassel

Der Komponist Frank Wildhorn hat mit seiner Musicaladaption der schaurigen Geschichte um die Dualität des Menschen in Gestalt des Wissenschaftlers Henry Jekyll, der durch ein Heilmittel für seinen Vater Gut und Böse im Menschen voneinander trennen wollte und im Selbstversuch das mordende Monster ohne Gewissen Edward Hyde erschafft, in seinem Heimatland am Broadway keinen Erfolg. Trotz zahlreicher inhaltlicher Änderungen, die die für den Broadway zu  zähflüssig dahin plätschernde Handlung von Jekyll & Hyde inhaltlich plausibler und straffer präsentieren sollte, brachte es das Revival 2013 nach 15 Previews nur auf 30 reguläre Vorstellungen im Marquis Theatre und wurde vorzeitig abgesetzt. Außerhalb von Amerika sieht das Interesse an diesem Musical ganz anders aus. Nach dem Erfolg der Großproduktionen in Bremen 1999, Wien 2001 und Köln 2003 wurde das Musical in Deutschland auch für kleinere Produktionen freigegeben und ist nicht zuletzt dank der wundervollen Balladen heute ein gern gespieltes Stück in vielen Stadttheatern. 

Schlichte Inszenierung - manchmal ist Weniger Mehr

Seit 01. Februar 2014 hat der geniale Wissenschaftler Dr. Jekyll sein Labor auf der Bühne des Staatstheaters Kassel eingerichtet. Obwohl gerade diese Aussage für die Inszenierung von Patrick Schlösser nicht wirklich zutrifft. Denn die spartanische Bühne von Daniel Roskamp verzichtet im Licht von Albert Geisel außer zweier leuchtender Rahmen komplett auf weitere Requisiten. Die schwarze Kulisse bleibt vollkommen leer. Kein Tisch, kein Stuhl unterstützen die Darsteller in ihrem Handeln. Wenn Henry Jekyll sich die Spritze mit seiner geheimnisvollen und wesensverändernden Formel JH7 setzt, er dem leichten Mädel Lucy Harris einen Strauß Rosen zuwirft oder John Utterson im Finale den Revolver auf seinen Freund richtet, sind dies die wenigen Ausnahmen, die diese Produktion gestattet. Als Blickfang dienen nur zwei weiße Wände, die beklemmend nah als Labor zusammengeschoben werden können sowie ein von hinten beleuchteter Vorhang für pfiffige Schattenspiele, die insbesondere die Eröffnungssequenz des zweiten Aktes mit Hydes Mordserie „Murder, Murder“ zweidimensional wie Scherenschnitte wirken lassen. Denn Weiß ist die „Farbe“ der feinen Gesellschaft, in die das schwarze Schaf Jekyll einheiraten will. Seine blütenweiße Verlobte Emma Carew wartet ewig im Brautkleid auf ihren forschenden Wissenschaftler – im Stück sehr mutig symbolisiert durch eine lange Minute Stillstand und Schweigen. Alle weiteren Personen der unteren Gesellschaft stecken in  bunt pastellfarbenen Kostümen von Werner Fritz. Nur die Nachtclubsängerin Lucy Harris durchbricht alle Regeln und trumpft nach dem „kleinen Schwarzen“ mit einem goldenen Glitzerkleid und fast kitschig wirkenden grafischen Animationen als Projektion auf, wenn sie von einer besseren Welt träumt, bevor ihr das Blut wie von Geisterhand über das Kleid läuft, während Edward Hyde ohne Mordwaffe vom Orchestergraben seinen letzten Mord begutachtet.

Die theatralische Umsetzung des englischen Konzeptalbums des Musicals Jekyll & Hyde

Durch den Verzicht auf ein aussagekräftiges Bühnenbild hat der Zuschauer das Gefühl, in einem Konzert statt in einer vollwertigen Theaterinszenierung zu sitzen. Denn in Kassel liegt der Fokus ganz deutlich eher auf der Musik als auf einer inhaltlich schlüssigen und stimmigen Geschichte, die das Stück Jekyll & Hyde in seiner Musicalfassung auch noch nie wirklich bieten konnte. Schon bei der Ouvertüre des Staatsorchesters Kassel unter der versierten musikalischen Leitung von Marco Zeiser Celesti wird deutlich, dass man in Kassel im Gegensatz zum Musical-Marktführer Stage Entertainment nicht beim üppigen Orchestersound gespart hat. In Kombination mit dem großen Opernchor und den grandios besetzten Gästen in den Hauptrollen hält das Staatstheater Kassel musikalisch mindestens das exzellente Niveau des Konzeptalbums des Musicals The Complete Work von 1994 mit Linda Eder und Antony Warlow und übertrifft diese Einspielung sogar in einigen Teilen. Denn dieses Album hatte Regisseur Schlösser wohl auch im Ohr, als er sich für seine Umsetzung für Kassel entschieden hat, orientiert sich die Songabfolge an dieser CD und nicht an der endgültigen Theaterversion, in der z.B. die zahlreichen Reprisen von „Fassade“ ersatzlos gestrichen wurden. In Deutschland lange schon ungespielte Songs wie „Girls Of The Night“ sind in Kassel wieder zu hören. Vielleicht ist die Rückbesinnung auf das ältere Songmaterial auch der Grund dafür, dass in Kassel komplett in englischer Sprache mit eingeblendeten Übertiteln gesungen wird, obwohl es eigentlich eine gelungene deutsche Übersetzung gibt.

Das Musical Jekyll & Hyde in Kassel steht zudem für eine recht klassische Interpretation der Songs, in der es zwar bedauerlicherweise keinen Platz für rockige Eskapaden wie „The World Has Gone Insane“ gibt, die übrigen Balladen aber umso genialer zelebriert werden, dass es bei der Premiere mehrmals nach den Gänsehautmomenten wahre Beifallsstürme während der Aufführung gab – ein Phänomen, dass im Englischen Showstopper genannt wird, weil der Fluss der Aufführung durch langanhaltenden Applaus unterbrochen wird. Häufig tritt dieses Phänomen heutzutage in Theatern nicht mehr auf, bei Jekyll & Hyde gibt es bereits im ersten Akt drei dieser Momente.

Glänzende Besetzung für den gothischen Musical-Thriller

David Arnsperger (Joe Gillis in der Klagenfurter Inszenierung von Sunset Boulevard, Rocky in Hamburg und z.Zt. das alternierende Phantom der Oper im Hamburger Revival) überzeugt mit seiner warmen Stimme als sympathischer Henry Jekyll bei „Take Me As I Am“, der bei „Transformation“ und der finalen „Confrontation“ auch genug „Biss“ für sein Alter Ego Edward Hyde aufbringt. Da Herr Arnsperger mit Stolz auch im Musical ohne Perücke seine Glatze trägt, wurde die Verwandlung in das Monster nicht wie üblich durch eine wirre Haarpracht statt strengem Scheitel symbolisiert, sondern durch das Überziehen zweier Gummibänder über das rechte Auge, das selbst aus größerer Entfernung das Gesicht eigentümlich verzerrt und durch einen animalischen Gang den Unterschied zum beherrschten Wissenschaftler deutlich erkennen lässt. Der Showstopper „This Is The Moment“ wird in ungewöhnlicher, aber interessanter Choreografie von Michael Langeneckert mit Mitgliedern des Tanzensembles (Laja Field, Shannon Gillen, Breanna O´Mara, Katherina Toumpa, Akos Dozsa, Martin Durov, Rene Alejandro Huari Mateus, Alexandros, Vardaxoglou) dargeboten.

Susan Rigvava-Dumas hätte man nach Madame Giry im „Phantom der Oper“ (Stuttgart), Mrs. Danvers im Musical Rebecca (Wien) und Norma Desmond in Sunset Boulevard (Klagenfurt) nicht unbedingt die Rolle der Nachtclubsängerin Lucy Harris zugetraut. Doch schon beim Showstopper „Bring On The Men“ zeigt sie neben Sexappeal, der ihre Freier aus den Socken haut, vor allen Dingen eine Gesangsleistung, die Bravo-Rufe aus dem Zuschauerraum provoziert. Doch der harte Kern der unnahbaren Domina hat auch eine extrem sanfte Seite, wenn sie mit der Prostituierten Nellie (Lona Culmer-Schellbach mit klassischer Opernstimme) die „Girls Of The Night“ besingt oder von „A New Life“ träumt. Zusammen mit Arnsperger ist sie bei „Dangerous Game“ endlich wieder die erotische Explosivmischung, die man als Jekyll & Hyde-Fan in dieser Perfektion schon lange nicht mehr erleben durfte! 

Julia Klotz, die dem Kasseler Publikum noch bestens als Evita der vergangenen Spielzeit in Erinnerung geblieben ist, ist die auf den ersten Blick verletzlich wirkende Porzellanpuppe Emma Carew, die ihrem Vater Sir Danvers (Bernhard Modes) aber durchaus emanzipiert die Stirn bietet, wenn es um ihren Verlobten Edward Hyde geht. Im Zusammenspiel mit ihrer „Rivalin“ Susan Rigvava-Dumas präsentiert sie eines der schönsten Frauenduette der Musicalgeschichte „In His Eyes“, wieder ein Showstopper. 

Der gute John Utterson, der als Freund Henry Jekylls das Böse viel zu spät erkennt, wird von Andreas Wolfram (Electra, Greaseball, Papa im Bochumer Starlight Express, in Kassel in der West Side Story, bei Anything Goes, in der Rocky Horror Show und im kleinen Horrorladen) gespielt. Mit kräftiger Stimme führt er den Chor bei jeder „Fassade“-Reprise an, verurteilt mit „Murder, Murder“ den gesuchten Verbrecher und überzeugt im Quartett „His Work And Nothing More“.

Musik der Dunkelheit: Musical fast ohne störende Handlung

Das Musical Jekyll & Hyde in Kassel ist ein Konzert in Perfektion, ohne zu viel störende Handlung des Musicals zu vermitteln. Da helfen auch nicht die kurzweiligen Auftritte von Deutschlands kleinster Drag-Queen BayBJane, die in den verrücktesten Kostümen in deutscher Spracher kurze Hinweise zur Handlung gibt. Denn leider hat sich in die Inszenierung auch der ein oder andere Fehler eingeschlichen. Der Song „Board Of Governors“, bei dem Henry Jekyll eigentlich vor Kirche, Staat und Wissenschaft einen psychisch Kranken für sein Experiment erbittet, wurde in Kassel umgearbeitet und er tritt nun gegen das gesamte Volk (Opernchor) an. Bei „Murder, Murder“ rächt sich später Hyde in der ursprünglichen Musicalfassung bei den vier Geschworenen, die ihm diese Bitte abgeschlagen haben mit Mord und Totschlag. In Kassel jedoch mordet Hyde im Schattenriss offensichtlich sehr willkürlich, erschlägt reihenweise Bürger mit der Keule und prügelt sogar einen Säugling aus dem Kinderwagen tod. Ebenfalls unpassend wirken im Bordell die Rufe von Lucy Harris, die Jekyll als „Hey, Big Spender“ tituliert, „Sweet Charity“ ist schließlich ein ganz anders Musical…

So bleiben in Kassel für einen echten Theaterabend für Neulinge des Musicals Jekyy & Hyde zu viele Handlungsstränge offen und viele inhaltliche Fragen unbeantwortet. Trotzdem kann diese ungewöhnliche Inszenierung jedem Jekyll & Hyde Fan wärmstens empfohlen werden, denn die Gesangsqualität und die Interpretation der Songs überstrahlen viele andere Produktionen bei weitem. In der Kulturstadt Kassel ist halt auch das Musical Jekyll & Hyde anders und kann ganz neu erlebt werden!

Text & Fotos Schlussapplaus: Stephan Drewianka, Musical-World.de; Szenenfotos: N. Klinger / Staatstheater Kassel

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