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Avenue Q - Musical am Theater Bielefeld

Warum die Avenue Q keine Sesamstrasse ist

Wer ist nicht mit den putzigen Puppen aus der Sesamstrasse oder der Muppet Show aufgewachsen? Wenn Puppen erwachsen werden, sich für Pornos, Drogen, Schwulen- und Ausländerwitze interessieren, ziehen sie wohl in die Avenue Q. Dort schickten sie zumindest Robert Lopez, Jeff Marx (Musik und Texte) und Jeff Whitty (Buch) in ihrem gleichnamigen Musical hin, das 2003 am Broadway Premiere feierte und seit 2012 auch in Deutschland (Nationaltheater Mannheim) zu sehen ist. Vom 10.09.17 tanzen auch am Stadttheater Bielefeld die Puppen, macht also auf der Bühne Licht!

Jenseits der politischen Korrektheit

Die Puppen dürfen jenseits aller politischen Korrektheit in jedes Fettnäpfchen treten, ohne dass das Publikum es ihnen übelnimmt, und die Themen sind dabei immer noch aktuell geblieben. „Jeder ist ein bisschen rassistisch“ und „Das Internet ist für Porno“ laden zum Mitsummen ein und natürlich beinhalten alle Songs ein Fünkchen Wahrheit, das zum Nachdenken anregt. Die Faszination des Stückes basiert dabei auf der Integration der Puppenspieler in die Handlung. Eigentlich nur als Randfiguren agieren sie stets sichtbar neben ihren Stoff-Alter-Egos und nur sie setzen die Choreografie von Michaela Duhme auf der Bühne um. Im Originalstück war es so konzipiert, dass die Darsteller mehrere Puppen gleichzeitig spielen. In den kleineren Rollen funktioniert dies ausgezeichnet, jedoch bei den Hauptcharakteren wie dem schüchternen Princeton, der gerade in die Avenue Q einzieht und noch nach dem Sinn seines Lebens sucht, und dem introvertierten Bücherwurm Rod, der heimlich in seinen Zimmergenossen Nicky verliebt ist, klappt es mit der Rollenidentifikation nur bedingt. Dies ist nicht Thomas Klotz anzulasten, der beiden Charakteren mit viel Hingabe und herrlich verstellter Stimme ein individuelles Leben einhaucht. Jedoch gibt es einige Szenen in der beide Charaktere zusammen agieren müssen und wenn dort eine andere Hand im Kopf der Puppe steckt und Klotz wie ein Bauchredner beide Charaktere stimmlich interpretiert, zerbricht die aufgebaute Einheit von Puppe und Spieler. Dies wurde in anderen deutschen Produktionen durch eigene Schauspieler für jeden Hauptcharakter besser gelöst. Die komplett schwarze Kleidung unterstreicht die Rolle der Darsteller als seelenlose Puppenspieler, was sie nicht sein sollten. Trotzdem machen Stefanie Köhm, die als Kate Monster gerne eine eigene Schule für die oftmals verachteten Monsterkinder eröffnen möchte, Michaela Duhme als verruchte Bardame Lucy D. Schlampe oder als trockene Schulleiterin Lavinia Semmelmöse, Benedikt Ivo als pornogeiles Trekkie Monster oder schwulenfreundlicher Mitbewohner Nicky und Katharina Schutza als niedliche, aber bitterböse Bullshit-Bären ein Highlight aus ihrem Schattendasein als Puppenspieler.

Menschen in der Avenue Q

Doch in der Avenue Q gibt es auch echte Menschen: Da ist die rassistische Japanerin Christmas Eve, die mit herrlich rollendem „l“ (also „r“) von Anna Mari Takenaka gespielt wird, mit ihrem Möchtegern Comedian und Langzeitverlobten Brian (Martin Christoph Rönnebeck), sowie dem Hausmeister des Hauses in der Avenue Q, in dem das Musical mit dem multifunktionalen Einheitsbühnenbild gleich einem -wie passend – aufklappbaren Puppenhaus von Udo Herbster spielt. Die Rolle des Hausmeisters ist für jede Inszenierung frei wählbar und soll einen aktuellen und regionalen Bezug zum Spielort haben. Warum man sich in Bielefeld wie in der deutschen Erstaufführung in Mannheim für Daniel Küblböck entschieden hat, bleibt ein Rätsel, denn was 2012 in aller Munde war, wird fünf Jahre später zu einem Aufguss, den einige Zuschauer nicht mehr nachvollziehen können. Norbert Kohler verkörpert den Ex-DSDS Sänger zwar perfekt und mit viel Witz und Elan, hier hätte der Inszenierung von Nick Westbrock aber ein aktuellerer B-Promi aus dem Dschungelcamp wesentlich bessere Dienste geleistet.
Auch wenn Avenue Q also einige Abzüge in der B-Note bekommt, ist das vergnügliche Erwachsenen-Puppentheater unter der versierten musikalischen Leitung von William Ward Murta und seiner 6-köpfigen Band sicherlich einen Besuch in Bielefeld wert!

Text & Fotos Schlussapplaus © Stephan Drewianka, Bühnenfotos © Sarah Jonek
Dieser Bericht erschien ebenfalls in der Musical-Fachzeitschrift Blickpunkt Musical, Ausgabe 91 (96/17), November 2017 - Januar 2018

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