Peter Pan Kassel © Sylwester Pawliczek
Peter Pan Kassel © Sylwester Pawliczek
Sie befinden sich hier: Theater / Musicals M-R / Priscilla Königin der Wüste
Theater
Anzeige


Premiere von „Priscilla – Königin der Wüste“ 2025 bei den Freilichtspielen Tecklenburg

Glitter And Be Gay

Seit 20. Juni 2025 hat Tecklenburg ein ganz neues Verkehrsmittel: den pinkfarbenen Bus „Priscilla“, der als „Königin der Wüste“ einmal queer durch Australien pilgert und dabei drei glamouröse Diven zu ihren Auftritten kutschiert. Basierend auf einem australischen Road-Movie von 1994 mit u.a. Schauspieler Hugo Weaving, der als Agent Smith aus der „Matrix“-Trilogie oder als Elrond im „Herrn der Ringe“ bekannt ist, der hier aber als Tick eine der drei Drag-Queens spielt, schusterten Stephan Elliott und Allan Smith ein Jukebox-Musical mit den Songs von Kylie Minogue über Madonna bis zu den Pet Shop Boys zusammen. Nach der Premiere 2006 in Sydney kam das Stück 2009 nach London, 2011 an den Broadway und 2022 zur deutschsprachigen Premiere ins österreichische Linz. Während der Film noch eine dramatische Tragik-Komödie war, strahlt das Musical neben versteckter Gesellschaftskritik auch eine Menge positiver Energie und Lebensfreude aus.



Anzeige


Regie und Hauptdarsteller

Regisseur Ulrich Wiggers ist es mit exzellenter Personenführung gelungen, aus einem oberflächlichen Käfig voller Narren eine detaillierte Charakterstudie dreier Außenseiter zu kreieren. Hier geht es nicht um drei Kerle, die sich gerne Frauenkleider anziehen und lippensynchron die Songs ihrer Gesangsidole imitieren, sondern um ganz normale Menschen, die ihren Platz in der Gesellschaft suchen und einfach nur akzeptiert, wenn schon nicht verstanden werden möchten.
Tobias Bieri (Alfred in „Tanz der Vampire“, Friedrich in „Friedrich, Mythos & Tragödie“) spielt Adam, sportlich, gutaussehend, schwul und immer auf der Suche nach einem schnellen Abenteuer. Sein Lebensmotto ist es, Spaß zu haben und dabei nicht an Morgen zu denken. Impulsiv tappt er von einem Fettnäpfchen ins nächste. Aber wer kann so einem Sunny-Boy mit Six-Pack schon lange böse sein? Naja, im australischen Busch gibt es schon „echte Kerle“, die keinen Spaß verstehen, wenn sie von einem Mann im Fummel als rassige Felicia angemacht werden. 
Gewalt zu verhindern und mit Worten statt Fäusten Konflikten zu begegnen ist Bernadettes Spezialität, die vom Niederländer Gerben Grimmius (Skimbleshank in „Cats“) gespielt wird. Als Transvestit hat Bernadette komplett den Schritt zur Frau gewagt, ist dabei so elegant und stolz wie Mrs. Danvers und beherrscht nur den einen Blick, den eine Norma Desmond braucht, damit ihr die Welt zu Füßen liegt. Als alternde Diva sind ihre gloriosen Tage als Mitglied der Pariser „Les Girls“ zwar längst vorbei, doch macht sich die frisch gebackene Witwe eines im Bad an den Dämpfen von Blondierungsmittel erstickten, talentierten Bläsers (Trompete, was sonst?) gerne auf den Weg ins ungewisse Wüstenland Australiens, wo sie im Handwerker Bob (Benjamin Eberling) einen ehemaligen Fan und jetzigen Seelenverwandten findet, der von seiner schrillen Ehefrau Cynthia (Giulia Fabris) genervt ist, die im Lokal des Städtchens eigentlich Hausverbot hat, weil sie eine nicht jugendfreie Methode perfektioniert hat, um Ping-Pong-Bälle aus allen (un-)möglichen Körperöffnungen zu schießen.
Die Reise im Bus haben beide Künstlerinnen Tick zu verdanken. Adrian Becker (Zaza in „Ein Käfig voller Narren“, Molina in „Kuss der Spinnenfrau“) spielt den unschlüssigen Mann, den seine Hetero-Vergangenheit in seiner Ex-Frau Marion (Gülfidan Söylemez) und Sohn Benji (alternierend Bernhard Tillmann, David Schöchlin, Jonas Basner, Marlon Rolf) einholt. Marion engagiert das Damen-Trio für Auftritte in ihrem Casino am anderen Ende Australiens. Tick nimmt das Engagement an, möchte er doch gerne einmal seinen mittlerweile 8 Jahre alten Sohn kennenlernen. Einzige Bedingung ist, dass sein Sohn ihn nicht in Frauenkleidern sieht, damit er ihn als Vater akzeptieren kann. Doch als die in der Wüste mit Motorschaden gestrandeten und von Handwerker Bob heldenhaft geretteten Künstler endlich mit einem Tag Verspätung ihren Auftritt machen, sitzt Benji staunend im Publikum…

 

1911_KDL_HAM_300x250
Anzeige


Bühne, Kostüme, Musik und Ensemble

Während sich der Film manchmal in langatmigen Dialogen verlor, versprüht das Musical in farbenfrohen Bildern den Regenbogen-Lebensstil der LGBTQ+ Charaktere ohne wertend oder woke zu werden. Die Bühne von Jens Janke ist von orange/roten Symbolen geprägt, die gleichzeitig auch Lippen oder Wüstenlandschaft symbolisieren. Sein dreiteiliger, aufklappbarer Bus ist namensgebende Requisite und Heimat der Reisegesellschaft und kann mit Farbe von langweiligem Grau und „Schwuchtel“-Plakatwand über Bühnen-Magie (und LED-Technik) wie von Geisterhand in „Pretty in Pink“ gestrichen werden. 
Bei einem Musical über Drag-Queens sind die Kostüme von Fabienne Ank natürlich ein Hingucker. Edel und grazil für Bernadette, mit leuchtenden Flügeln für den „Les Girls“-Rückblick oder total crazy für die Showauftritte müssen sich die Hauptdarsteller bis zu 17-mal während der Show umziehen. Damit das wechselnde Make-Up der Maske von Philip Hager genauso vielseitig sein kann wie die Kostüme und schnell gewechselt ist, benutzen die Darsteller Masken mit individuellen Brauen, Wimpern und Schminke, die selbst in der ersten Zuschauerreihe kaum als Masken zu erkennen sind. Dies ist besonders wichtig, wenn Tick schnell von Drag auf Papa glaubwürdig auch im Gesicht umswitchen muss. 
Giorgio Radoja sorgt als musikalischer Leiter dafür, dass das Orchester der Freilichtspiele Tecklenburg die Songklassiker „It´s Raining Men“, „Material Girl“, „Like A Virgin“, „I Will Survive“, „Girls Just Wanna Have Fun“, „Mac Arthur Park“ oder „Hot Stuff“ powergeladen erschallen lassen. Die drei Herren Damen werden von drei Diven (Rachel Marshall, Bettina Meske, Amber Shoop) gesangstechnisch im englischen Original immer dann unterstützt, wenn man als Drag-Queen stilecht mit bebenden Lippen eben nur den Mund bewegt. 
Das tanzstarke und wie gewohnt gigantische Ensemble strippt auch schon mal oder animiert die Zuschauer zu einem amerikanischen Square-Dance zu „Thank God I´m A Country Boy“. Neben den einfach fantastisch agierenden Hauptdarstellern, die von Gerben Grimmius grandioser Bernadette angeführt werden, stechen noch Michael B. Sattler als Tina-Turner Imitator „Miss Understanding“, Nicolai Schwab als bezaubernde junge Bernadette und Esther-Larissa Lach als homophobe Bardame Shirley hervor, die aber von Bernadettes charmanten Argumenten überzeugt wird, die Künstler auftreten zu lassen. Das restliche Ensemble überrascht immer wieder mit australischen Ureinwohnern wie Kängurus, Koala-Bären (keine Mäuse!), Echsen, Vogelspinnen und einem grünen Oger aus dem diesjährigen Kinderstück, die die Drag-Queens beinahe blass aussehen lassen.
Egal welche Vorurteile Sie als Musicalfan davon abhalten sollten, „Priscilla“ in Tecklenburg zu sehen , springen Sie über Ihren Schatten und erleben sie drei Stunden beste Musicalunterhaltung. Und vielleicht ändern auch Sie wie Bob und Shirley ihre Sicht und Einstellung zu den schillernden Paradiesvögeln, oder sie sehen wie Benji einfach vorurteilslos den liebenswerten Menschen hinter Mascara und Rouge. 

© Text und Fotos Schlussapplaus: Stephan Drewianka

Anzeige




Anzeige