„Mörder unter sich“ - Premiere 2025 im Theater- und Konzerthaus Solingen
Die Feinde in Dir
„Ich könnte Dich umbringen“ – wer hat in Wut oder Rage diesen Satz nicht schon einmal ausgesprochen oder zumindest gedacht? Auch Bianca kennt dieses Gefühl gut, gab es in ihrer Vergangenheit doch 5 Personen, denen sie ein baldiges Ableben zugunsten ihres eigenen Seelenfriedens gewünscht hätte. Doch wer setzt so einen Wunsch schon tatsächlich in die Tat um? Als Bianca von einer Mordserie hört, der ihre früheren Seelenpeiniger komplett zum Opfer gefallen sind, bricht sie in ein altes Herrenhaus. Am polizeilich abgesperrten Tatort will sie nun herausfinden, was wirklich passiert ist. Denn Bianca weiß genau, sie selbst hat niemanden umgebracht. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht, denn Bianca leidet unter einer dissoziativen Identitätsstörung, auch bekannt als multiple Persönlichkeitsstörung. Einfach ausgedrückt leben in ihrem Kopf fünf Mitbewohnende, die Biancas Handeln mit ihren eigenen Macken zeitweise übernehmen, ohne dass Bianca dies bewusst kontrollieren kann. Da ist Hypochonderin Linda, allergisch gegen Erdnüsse und ständig verschnupft, oder der Draufgänger Viktor, der haufenweise Snickers ohne Risiken und Nebenwirkungen futtert, der pflichtbewusste Oberst von Lützow, der gerne tief ins Glas schaut, während die wilde Teenagerin Cindy mit Berliner Schnauze eher unbequem ist und auf einem Motorrad durch die Gegend gurkt, derweil die französische Femme fatal Jeanette schon zum Frühstück zwei Herren mit aufs Zimmer nimmt. Eigentlich kommt Bianca mit ihren Stimmen im Kopf und ihren individuellen Marotten irgendwie zurecht, doch nun gibt es 5 Mordopfer und Bianca steht bei der Polizei ganz oben auf der Verdächtigen-Liste. Doch wenn Bianca keine Schuld trifft, gibt es in ihrem Unterbewusstsein vielleicht einen Mörder oder eine Mörderin? Bianca begibt sich auf eine Reise ins Ich und versucht zu ergründen, wer der Täter unter ihren Mitbewohnern sein könnte. Ihre Ermittlungen und die Kreuzverhöre mit ihren 5 anderen Selbst bringen sie zurück in ihre Vergangenheit und in ein Netz aus Rätseln, das immer verstrickter wird.
Fünf Verdächtige, fünf Opfer und nur eine Darstellerin – das ist das Musical „Mörder unter sich“ nach einer Story von Maricel Wölk und Wolfgang Adenberg, das am 11.01.25 am Theater Wunstorf Weltpremiere feierte und eine Woche später am 18.01.25 im Theater und Konzerthaus Solingen seine zweite Aufführung feierte, bei der wir zu Gast waren.
Von der Idee zur One-Woman-Show
Die Entwicklung dieses Bühnenstückes ist wie ein eigener Krimi, dauerte die Umsetzung von der ersten Idee bis zur bühnenreifen One-Woman-Show doch rund 8 Jahre. Das Kreativ-Team hinter dem Stück ist vorrangig Musicaldarstellerin Maricel, die Idee, Buch, Komposition und Liedtexte schrieb und nicht nur Regie führte, sondern später sogar die Hauptrolle übernehmen sollte. Der Musicalfan kennt Maricel natürlich auf der Bühne, wo sie als Erstbesetzung Amneris Radames in „Aida“ den Kopf verdrehte, als Constanze „Mozart“ inspirierte, als Lucy „Jekyll & Hyde“ verführte und als Kit De Luca bei „Pretty Woman“ oder Donna in „Mamma Mia“ den Herren der Schöpfung Paroli bot (um nur einige ihrer Rollen zu erwähnen).
Maricel steht aber auch hinter den Kulissen ihre Frau und entwickelte Bücher und Musicals für Kinder wie „Die Hexe Huckla“ und „Der kleine Zahlenteufel“ mit. Ein komplettes Historienmusical „Jeanne d`Arc – Die Jungfrau von Orleans“ aus Maricels Feder liegen mit Buch und Orchesterpartitur zur Uraufführung bereit. Und da bei einem solchen Großprojekt die Realisierung recht aufwändig und nicht zuletzt auch kostenintensiv ist, sollte Maricels nächstes Projekt unter ihrem Label Edition Herzblut als Eigenproduktion umgesetzt werden.
Charakter mit multipler Persönlichkeitsstörung
Doch die Verwirklichung des Musicals „Mörder unter sich“ war wie dessen Handlung recht komplex. Zunächst musste sich Maricel als Autorin und später als Darstellerin mit dem vielschichtigen Krankheitsbild der multiplen Persönlichkeitsstörung auseinandersetzen, um den Charakter Bianca mit ihren Mitbewohnenden glaubhaft entwickeln zu können. Dabei sollte das ernste Thema behutsam behandelt werden und trotzdem unterhaltsam, ja sogar mit Humor der schrulligen Persönlichkeiten, auf die Bühne gebracht werden. Neben pfiffigen Dialogen tragen ein Musical selbstverständlich die Songs, und da gibt es einige Highlights. Wenn „Der beste Therapeut“ ein goldfarbener Whiskey an einer Bar ist, „Eine Leiche zum Dessert“ wie ein süßer Nachtisch von Jeanette serviert wird und die lärmende Göre Cindy herrlich „Unbequem“ auf ihrem ratternden Motorrad daherkommt, sind dies die humorvollen Perlen des Stückes, während „Ein kleines Chamäleon“ als Spieluhr-Kinderschlaflied harmonisiert und mit „Mörder unter sich“ als Leitmotiv dient, oder „Vergessen“ als echte Musicalhymne in Erinnerung bleibt. Die Songs wurden mit 5 Musikern im Arrangement von Mat Kwiatkowski aufgenommen und werden in der Show als Instrumentalplayback eingespielt. Aber die Musik ist nicht das Einzige, was per Knopfdruck in der Show gestartet wird. Eine zentrale Rolle spielen Videoeinspielungen, die im Stage Design von Tina Mareike Kuschel auf eine große Leinwand projiziert werden und in einer Art gezeichnetem Comicstil das Innere der Villa, aber auch das Innere von Biancas Gedankenwelt zeigen (Digital Artist: Alex Scotti). Wenige dreidimensionale Requisiten wie ein Sessel mit Stehlampe und einige signalrote Kostüme wie Hut oder Schal spielen zusammen mit der zweidimensionalen Ausstattung, z.B. einem skizzierten Motorrad und einem gezeichneten Schrank. Wenn dann auch noch Videoeinspielungen aus TV-Shows und Nachrichten, die über die Morde berichten, mit diversen Moderatoren, Ermittlern, Psychologen oder Lieferanten am Türspion eingespielt werden, kommt Darstellerin Maricel auf über 15 Charaktere, die sie in diesem Musical charmant verkörpert.
Musical-Thriller von und mit Maricel
Damit Maricel live auf der Bühne synchron mit den Videoeinspielungen agieren kann, trägt sie einen Knopf im Ohr, der ihr neben der Musik auch noch „Klicks“ einspielt, die ihr helfen, immer die richtige Textzeile im richtigen Moment zu zitieren. Das Ergebnis kann sich sehen lassen! Maricel im fließenden Dialog mit den fünf Stimmen in ihrem Kopf, die in Schlüsselszenen als Schattengestalten auf der Projektionsleinwand erscheinen. Und wenn Maricel im Finale ihre „Konfrontation“ hat, ist dies wie „Jekyll & Hyde“ x5 – Bravo und Hut ab vor dieser darstellerischen und gesanglichen Leistung!
„Mörder unter sich“ funktioniert als Musical-Thriller wunderbar. Das Publikum schlüpft selbst in die Rolle von Scherlock Holmes oder Agatha Christie und rätselt mit Bianca, wer der Mörder sein könnte. Der Zuschauer verbindet fünf Opfer mit fünf Motiven und den fünf Stimmen in Biancas Kopf als potenzielle Mörder. Doch so einfach gestaltet sich die Lösung des Rätsels nicht und der Story-Twist zur endgültigen Antwort ist verblüffend und genial gelöst – und wird an dieser Stelle selbstverständlich nicht verraten. Denn nach Wunstorf, Solingen und Ende März Itzehoe soll für Bianca noch lange nicht Schluss sein. Am 25.10.25 wird „Mörder unter sich“ zu Gast sein im Theater im Park in Bad Oeynhausen und weitere Termine sind geplant. Zudem hat Maricel verraten, dass sie eigentlich gar nicht selbst die Hauptrolle übernehmen wollte und sich gut vorstellen könnte, diese Rolle auch anderen Darstellenden anzuvertrauen, und mit kleinen Anpassungen im Text wäre auch ein männlicher Schauspieler für die Rolle denkbar. Man sollte sich als Zuschauer nicht vom heiklen Thema der dissoziativen Identitätsstörung abschrecken lassen, denn „Mörder unter sich“ ist gute Unterhaltung und für Krimi- und Musical-Fans gleichermaßen geeignet.
CD zum Musical
Pünktlich zur Weltpremiere hatte Maricel auch eine CD zum Musical parat, und so kann man sich die Songs bequem mit nach Hause nehmen. Einen einzigen Kritikpunkt möchte ich doch abgeben, denn ich persönlich hätte gerne einige Songs mehr im Musical gehört. Zwar gibt es in der Show mehr als die 8 Gesangstitel auf der CD, die nicht zu viel von der finalen Auflösung verraten will und mit schönen Instrumentaltiteln immerhin auf 14 Tracks kommt. Doch das Live-Event hätte für meinen Geschmack mehr Lieder in dieser hohen Qualität haben dürfen. Aber so ein emotionales Stück ist vielleicht nie richtig fertig. Man darf gespannt sein, wie sich „Mörder unter sich“ in den kommenden Jahren weiterentwickelt. Das Publikum war zu recht begeistert und es ist schön zu sehen, dass einige Theater auch den Mut haben, ein neues, unbekanntes Stück zu zeigen.
© Text & Fotos: Stephan Drewianka 2025, dieser Bericht erschien ebenfalls in der Musical Fachzeitschrift Blickpunkt Musical 02/2025, Ausgabe 134
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