Die musikalische Produktion „Bucket List“ 2025 am Deutschen Theater Göttingen
Gehirnwäsche mit Nebenwirkungen
Robert war früher Journalist für die BBC und leidet seit einem Einsatz in einem Kriegsgebiet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Der Familienvater entscheidet sich, Hilfe von „Zeitgeist“ anzunehmen, die seine PTBS angeblich behandeln können. Doch Robert verliert nicht nur seine traumatischen Erinnerungen, sondern viel mehr das komplette Wissen um sein eigentliches „Ich“ und erhält zudem noch fremde Erinnerungen dazu. Robert wacht eines Morgens auf und weiß nicht mehr, wer er ist. Mit Hilfe seiner Ex-Frau, die mit ihrer eigenen Vergangenheit kämpft, begibt sich Robert auf die Suche nach seiner Persönlichkeit und trifft dabei auf sein Selbst aus der Vergangenheit und auf die Realität.
„Bucket List“ (übersetzt so viel wie ein „Wunschzettel für Dinge, die vor dem Tod noch zu erledigen sind“) von Yael Ronen und Shlomi Shaban feierte am 09. Dezember 2023 im Schatten des Terror-Angriffs der Hamas auf Israel seine Uraufführung auf der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin. Das Deutsche Theater Göttingen interpretiert den Stoff ab dem 22. März 2025 unter der Regie von Aureliusz Śmigiel als „eine musikalische Produktion“ neu und setzt dabei eigene Akzente, die die ursprüngliche Produktion um das Element Tanz erweitert.
Bühne, Musik und Darsteller
Die runde Drehbühne wird beherrscht von einer Stahlkäfigkonstruktion, in der die Band spielt (musikalische Leitung Johannes Mittl am Klavier, Jens Nickel: E-Gitarre und Violine, Simon Seifert: Schlagzeug und Marla Stier: Kontrabass, E-Bass). Gespielt wird eine interessante Songauswahl aus Jazz, Rock, Tango und Pop-Balladen in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln (die Dialoge sind in deutscher Sprache mit englischen Übertiteln für internationale Gäste). Leonard Wilhelm als Robert trifft Volker Muthmann als den alternativen Robert. Gaby Dey übernimmt als Reality den Part einer Erzählerin (überrascht dabei mit einer klaren Gesangsstimme) und führt die Darsteller gerne in eine sich mit Rauch füllende „Telefonzelle“, aus der sie mit neuen Erinnerungen einer alternativen Wirklichkeit entlassen werden. Tara Helena Weiß versucht als Clara, Roberts echte Erinnerungen heraufzubeschwören, die in der Choreografie von Valentí Rocamora I Torà durch die 3 Tänzer Tirza Ben Zvi als Liebe, Germán Hipolito Farías als Kind und Paweł Malicki als Rausch beindruckend umgesetzt werden.
Reise ins Ich in einer Kombination von Drama, Gesang und tänzerischer Pantomime
Bei „Bucket List“ trifft Schauspiel auf Musik und Tanz und erschafft auf der Bühne von Jósef Halldórsson in dramatischem Licht mit den Kostümen von Laura Yoro starke Bilder. Die abwechslungsreiche Musik unterhält und trifft in der breit gefächerten Auswahl irgendwann jeden Geschmack. Zumal ist die Band „zentraler Drehpunkt“ auf der rotierenden Bühne und die Musiker spielen sehr präsent mit in der Handlung. Trotz dieser netten Verpackung lässt die Produktion unbedarfte Zuschauer, die ohne Vorwissen das Stück besuchen, wohl eher verwirrt und unsicher zurück. 30 Minuten vor Vorstellungsbeginn gibt es eine interessante Stückeinführung, die ich jedem Besucher dringend empfehle, und selbst mit diesem Vorwissen bleibt sehr viel Platz für die individuelle Auslegung der Schauspiel- und Tanz-Sequenzen. In dem 80-minütigen Einakter ohne Pause passiert immer irgendetwas auf der Drehbühne, doch wie in einem Kaleidoskop ist alles fragmentiert und zerbrochen und muss durch den Zuschauer erst zu einer schlüssigen Handlung zusammengebaut werden, was durch die Mischung der englischen Songtexte mit den deutschen Dialogen im Schauspiel zu einer Herausforderung wird.
Wer im Theater nicht einfach nur seicht unterhalten werden möchte, sondern in einer Kombination von Drama, Gesang und tänzerischer Pantomime eine „Reise ins ich“ erleben möchte, ist im Deutschen Theater Göttingen in dieser Spielzeit an der richtigen Adresse!
© Stephan Drewianka