Musical Marie Antoinette in Tecklenburg
Musical Marie Antoinette in Tecklenburg
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Musical Marie Antoinette in Tecklenburg

Spektakuläre Open-Air Wiederauferstehung des Musicals Marie Antoinette

Nach dem finanziellen Fiasko der deutschen Erstaufführung des Kunze-Levay Drama-Musicals Marie Antoinette im Jahre 2009 in Bremen, das dem Musical buchstäblich den Kopf kostete und die geplante Deutschlandtournee auf Eis legte, war es still um die französische Monarchin geworden. Doch Musicalfans können aufatmen, denn die kopflose Königin ist Dank des Tecklenburger Intendanten Radulf Beuleke wiederauferstanden und muss seit dem 23.06.12 auf der gigantischen Freilichtbühne insgesamt zwanzig Mal ihrer Hinrichtung ins Auge sehen. Das Stück war prädestiniert für den großen Chor der Freilichtspiele, doch unter der Regie von Marc Clear (3 Musketiere), der im Musical auch in die Rolle des Herzogs von Orleans schlüpft, erlebt Marie Antoinette weit mehr als nur eine andere Umsetzung als Open-Air-Spektakel. Das bei der Premiere anwesende Autoren-Team Sylvester Levay (Musik) und Michael Kunze (Text) haben sich ihr Werk noch einmal vorgenommen und zahlreiche Änderungen an Handlung, Personen-Konstellation und Musik vorgenommen. Dabei fielen nicht nur weitere 30 Minuten Spielzeit der Schere zum Opfer (somit kommt das Stück nach 3,5 Stunden in Japan und 3 Stunden in Bremen auf handelsübliche 2,5 Stunden Spielzeit), es kamen auch drei neue Songs hinzu, die die teils doch schwer nachvollziehbare Handlung zusammenfassend vereinfachen und erläutern sollten.

Vergleich der Marie Antoinette Musical Produktionen in Bremen und Tecklenburg

Die vielleicht auffälligsten Änderungen hat der Charakter Cagliostro erfahren. War er in Bremen noch der mysteriöse Magier, der als zeitreisender, allwissender Erzähler auftrat und die Handlung als Außenstehender mehr dokumentierte als erlebte, ist der neue Cagliostro eindeutig gleich in mehreren Rollen in die Handlung fest integriert. Yngve Gasoy-Romdal mimt den Erzähler routiniert ähnlich einem Lucheni aus Elisabeth. Ob es allerdings jedem Zuschauer gefällt, dass dieser neue Erzähler nach verschiedenen Rollen als Bettler, Staatsanwalt, Joseph-Ignace Guillotin oder Schatzmeister auch mal in Frauenkleidern beim revolutionären Sturm der Frauen auf den französischen Palast mit verstellter Stimme für einige nicht unbedingt angemessene Lacher sorgt, bleibt dahingestellt. Seine neuen Songs „Wenn Wölfe heulen“ oder „Es ist nicht so“ verdeutlichen zwar die Handlung z.B. die Halsbandaffäre wesentlich besser als in der Bremer Version, dass dabei allerdings das charismatische „Illusionen“ fast gänzlich zusammengestrichen wurde, ist zumindest bedauerlich. Das Kürzen und Neuarrangieren wesentlicher Teile der Partitur hat zur Folge, dass die Highlights der Show wie „Blind vom Licht der vielen Kerzen“, „Ich weine nicht mehr“ oder „Gefühl und Verstand“ nicht mehr ganz so strahlend und imposant wie früher erstrahlen können. Trotzdem sind die wundervollen Balladen nach wie vor vorhanden und die Besetzung in Tecklenburg weiß diese auch kraftvoll mit der symphonischen Begleitung des 30 köpfigen Orchesters unter der versierten Leitung von Tjaard Kirsch umzusetzen.

Sabrina Weckerlin zeitgleich als Bettlerin und Päpstin

Sabrina Weckerlin wollte es sich offensichtlich nicht nehmen lassen, nach Bremen nochmals in die Rolle der Margrid Arnaud zu schlüpfen und der Konkurrentin der königlichen Marie-Antoinette erneut Paroli bieten zu können. Mit gewohnt – aber bei weitem nicht selbstverständlich – imposantem Stimmvolumen ist Sabrina Weckerlins Verkörperung des Bettlermädchens in der Neuinterpretation der Rolle noch gradliniger geworden. Der Wandel von der bedingungslosen Kämpferin zur treuen Freundin und Schwester der Königin ist nachvollziehbarer geworden und jeder Song Weckerlins wird zum Highlight (auch der etwas schwächere, neue Titel zu Beginn des zweiten Aktes, bei dem sich Margrid im Gefängnis an ihre Jugend erinnert, kann in Weckerlins Interpretation überzeugen). Bleibt zu hoffen, dass sich Sabrina Weckerlin neben den Open-Air Vorstellungen in Tecklenburg, bei denen sie nur zwei Mal von Marion Furtner gecovert werden muss, praktisch zeitgleich auch in Fulda und Hameln mit einem Mammutpensum als Die Päpstin in einer anspruchsvollen Hauptrolle beweist, nicht zu viel beansprucht…

Patrick Stanke als Graf, Wietske van Tongeren als Nonne, Anna Thoren als Marie Antoinette

Ebenfalls ein alter Hase bei Marie Antoinette ist Patrick Stanke, der seinen Grafen Axel von Fersen wieder mit viel Herzschmerz spielen darf. Wunderbar auch Wietske van Tongeren als Nonne Agnes Duchamps, die in den Duetten mit Weckerlin stimmlich problemlos mithalten kann und die man gerne noch länger zusammen gehört hätte. Frank Winkles bleibt als Louis XVI. rollendeckend im Hintergrund, kann aber bei seinem Stück „Warum muss ich sein, was ich nicht bin?“ überzeugen, doch leider wurde diese Rolle offensichtlich bei der Überarbeitung des Musicals komplett vergessen. Es wäre schon wichtig, zu erfahren, warum Marie Antoinette ihren Ehemann so schamlos mit dem Grafen betrügt, obwohl sie doch mehrere Kinder gemeinsam haben. Anna Thoren als Marie Antoinette ist es also nicht vergönnt, das Publikum über diese Launen aufzuklären. Während Frau Thoren bei der Premiere während des ersten Aktes noch einige Probleme hatte, in die Rolle der zickigen und verspielten Hofdame zu finden, gelang ihr im zweiten Akt die Darstellung einer gebrochenen und verzweifelten Frau, die um ihre Kinder kämpft, ungemein überzeugend. Anne Welte rafft es als beinahe obligatorische Puffmutter Madame Juliette Lapin leider viel zu schnell dahin, der Auftritt ihrer leichten Mädels bleibt da schon eher im Gedächtnis.

Tecklenburgs Musical Marie Antoinette mit großem Chor

Tecklenburg macht aber nicht nur durch die brillante Besetzung der Hauptrollen immer wieder von sich reden, sondern überzeugt vor allen Dingen mit dem riesigen Chor, der alle Ensemblenummern zu einem Erlebnis werden lässt. Dabei fällt es wenig ins Gewicht, dass die Choreografie von Doris Marlis für ein Drama-Musical typisch eher zurückhaltend und nicht szenenbestimmend eingesetzt wird. Die schönen Kostüme zwischen bettelarm und prunkvoll von Karin Alberti sind sowohl bei den ärmlichen Straßenszenen als auch beim pompösen Maskenball des französischen Adels ein Augenschmaus. Sicherlich ist es eine Herausforderung, auf einer Open-Air-Bühne ein Stück wie Marie Antoinette szenisch umzusetzen, wo mit einem Minimum an Requisiten immer neue Räume geschaffen werden müssen und weder eine Drehbühne noch andere Kulissenteile aus dem Schnürboden heruntergelassen werden können. Mit der kleinen Drehbühne des Gefängnisses und der Guillotine ist Susanna Buller ein kleiner Geniestreich gelungen, der das Enthaupten einiger Darsteller wesentlich besser umsetzt als damals das schrecklich überdimensionierte Schafott in Bremen. Leider trägt die in Tecklenburg immer gleiche Hauptbühne mit den zwei drehbaren knallroten Haupttoren und der kleinen Galerie mit Wendeltreppe nur bedingt den Flair des französischen Hofes in sich, aber mit etwas Phantasie auf Seiten der Zuschauer verwandelt sich auch diese Bühne in ein Schloss.

Das Musical Marie Antoinette in der überarbeiteten Version, die einige Zuschauer, die die Bremer Originalfassung kennen, an einigen Stellen eventuell als schwächer beurteilen könnten, kann in Tecklenburg durchaus überzeugen und ist für Musical Begeisterte sicherlich eine Reise ins Münsterland wert. Für die Zukunft bleibt dem Stück zu wünschen, dass es nicht wieder für mehr als 3,5 Jahre von den Bühnen verschwindet. Hoffen wir auf eine Renaissance weiterer Marie Antoinette Inszenierungen! 

Alles zum Musical Marie-Antoinette bei Sound Of Music!

© Text & Fotos: Stephan Drewinka, Musical-World.de (Wechselfotos oben: Schäfer & Niedenzu)

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