Musical Das Mädchen Rosemarie
Musical Das Mädchen Rosemarie
Sie befinden sich hier: Theater / Musicals M-R / Mädchen Rosemarie / Premierenkritik
Theater




Anzeige


Anzeige
2023_Tina_still_banner_160x600
Anzeige
Anzeige
Anzeige
Anzeige
Anzeige
Anzeige


Das Mädchen Rosemarie - Musical in Düsseldorf

Der verletzliche Mensch hinter der eiskalten Nutte: Keine Ver-, sondern Erklärung

Zwischen Liebe, Intrige, Sex, Raffgier und falscher Moral: Rosemarie lässt in Trizonesien die männlichen Hormone verrückt spielen

Die Reaktionen eines zumeist handverlesenen und nach bestimmten Kriterien ausgesuchten Premierenpublikums haben als Gradmesser für die Substanz einer Inszenierung noch nie sonderlich viel getaugt. Dass die Leute im Düsseldorfer Capitol-Club nach dem tragischen Ende der platinblonden Horizontal-Artistin nicht johlend auf den Stühlen toben würden, war auch von vornherein abzusehen und stürzt die Verantwortlichen vor und hinter den Kulissen denn auch nicht in Selbstzweifel. Hier hat kein „Mr. Feelgood“ Regie geführt, und der Tod der „Heldin“ stimuliert sowieso nicht zu euphorischem Jubel. Er drückt eher aufs Gemüt – zumindest in dieser Diktion – und bewirkt betroffene Nachdenklichkeit. Die Hure läuft nicht mehr – auch nicht für Geld. Und diskret war sie eigentlich auch nicht. Dieser Umstand, gepaart mit unstillbarer Gier nach Reichtum und gesellschaftlichem Aufstieg, bremste den „Engel im schwarzen SL“ ziemlich abrupt aus. Der Flitzer mit dem tollen Fahrgestell und den traumhaften Kurven knallte, kaum dass er richtig eingefahren, voll an die Wand – im übertragenen Sinne. Dies auch, weil die attraktive Fahrerin die „Verkehrs“-Regeln, die im rotlichternen Straßenmilieu vorherrschen, nicht beachtet hatte.
Mit dem Musical Das Mädchen Rosemarie haben die rheinischen Musicalmacher eine Person der Zeitgeschichte in den Mittelpunkt einer neuen Inszenierung gerückt, eben jenes betörend schöne Fräulein Rosemarie Nitribitt, das Ende der 50-er Jahre als prominentestes Edel -Callgirl der deutschen Wirtschaftswunder-Ära für dicke Schlagzeilen sorgte und in die Annalen einging. Dies nicht allein ob der schlüpfrigen Profession dieser umtriebigen Lebedame, sondern auch ob ihrer exquisiten Kundschaft und vor allem der (ungeklärten) Umstände ihres Todes und des dadurch ausgelösten Gesellschaftsskandals.

Der Gärtner war’s nicht

Die Bordsteinschwalbe, die den Käfig der Gosse gegen die glitzernde Voliere der High Society eingetauscht hatte, starb nicht an einem gebrochenen Flügel, sondern mit einem Nylonstrumpf um den Hals durch Mörderhand. Wer’s getan hat, kam nie heraus. Der berühmte Gärtner war’s aber auf jeden Fall nicht. Und auf Tätersuche mag sich auch Autor und Regisseur Dirk Witthuhn nicht begeben. Das Rätsel bleibt auch bei ihm ungelöst. Und noch weniger geht es Witthuhn darum, die Hauptperson im Nachhinein zu verklären. Sich an Motiven von Erich Kubys gleichnamigem Roman orientierend, zeichnet er in diesem dialogträchtigen, frechen Singspiel das Porträt einer rassigen Nobel-Prostituierten, verfolgt ihren Aufstieg von der Straße bis ins Penthouse und versucht zu ergründen, wie und warum sie so wurde wie sie war.

Suche nach Geborgenheit und Anerkennung

Hinter der Maske der eiskalten und nur auf ihren eigenen Vorteil bedachten Strich-Ikone, die auf der Klaviatur der männlichen Hormone so virtuos spielte wie Jimi Hendrix auf seiner E-Klampfe, verbarg sich auch ein verletztes und verletzliches Geschöpf. Ein einsamer Mensch, der von Geborgenheit, Anerkennung, Liebe und einer bürgerliche Existenz mit Ehemann und Familie träumte, der seine ärmliche, unterprivilegierte Herkunft zeitlebens nicht verwinden konnte und vergeblich gegen diesen Makel ankämpfte.

Lotterbett im Capitol-Club

Die Tochter einer Putzfrau agiert nach ihrem kometenhaften Aufstieg zur gefragtesten Mätresse von Wirtschaftsbossen, Politikern und anderen Einflussreichen in einem Umfeld, das von Doppelmoral, Profitstreben und Scheinwahrung geprägt ist. Die  Story ist auch ein Spiegel der Gesellschaft des aufstrebenden 50-er-Jahre-Deutschlands. Der lokale Bezug zu Düsseldorf: Rosemarie stammt aus der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt und ist auch hier beerdigt. Gewirkt und angeschafft hat das Mädel hingegen in Frankfurt-Mainhatten, wo die Geschichte deshalb auch angesiedelt ist.

Packende Partitur mit etlichen Ohrwürmern

Der intime Capitol-Club ist der ideale Rahmen, dieses frivole Kapitel aus dem Nachkriegs-Germanien aufzublättern. Technischer Bombast und anderweitiger Schnickschnack erübrigen sich. Dafür wäre hier auch gar kein Platz. Das Bühnenbild (Manfred Gruber) ist schlicht und karg; ein überdimensionaler, drehbarer Raumteiler, eine Telefon und ein herunter klappbares (Lotter-)Bett, viel mehr braucht es nicht an Ausstattung. Der Luxus des Liebesnestes wird allenfalls angedeutet und entfaltet sich nur in der Phantasie der Zuschauer.
Dafür ist die Cast vom Feinsten, und die Musik aus der Feder Heribert Fecklers, der auch als Leiter der für die Zuschauer unsichtbar und mit Schmackes hinter der Bühne aufspielenden Fünf-Mann-Band fungiert, hat es in sich. Ein Mix aus den unterschiedlichsten Stilen; ein bisschen Swing, ein bisschen Jazz, erdiger Rock, ein Quentchen Chanson und eine Brise Schlager. Nur richtiger Rock’n’Roll, der ja Ende der 50-er auch bei uns in „Trizonesien“ ungeheuer populär war, fehlt. Etliche der 20 Songs weisen veritable Ohrwurmqualitäten auf: „Du bist der Mann“, „Herz aus Eisen und Eis“, „Rosemarie“, „Bordsteinschwalben“, „Die Nacht“. Da wechseln sich eingängige, gefühlvolle Balladen und treibende Up-Tempo-Nummern ab.

Brillante Anna Montanaro 

Anna Montanaro in der Titelrolle der Rosemarie erweist sich als Traumbesetzung: auf sie wurde dieser Part schließlich auch eigens zugeschnitten. Autor und Komponist haben ihn der vielseitigen Künstlerin quasi auf den Leib und in die Kehle geschrieben. Diese Powerfrau sieht der wirklichen Nitribitt zum Verwechseln ähnlich, nein, sie kommt nach heutigem Geschmack noch blendender, verführerischer und umwerfender daher. Die Entwicklung und Wandlung der Hauptfigur von der ordinären Straßendirne zum Jet-Set-Flittchen skizziert „La Montanaro“ mit Bravour. Durch ihr intensives, pointiertes und überzeugendes Spiel wird nachvollziehbar, warum den Herrn der Schöpfung angesichts des Originals weiland der Verstand in die Hose rutschte. Und da waren fünf Hunnis für das Schäferstündchen nicht zu viel verlangt.
Das fand auch der Industrielle Konrad Hartog, die Nr. 1 (aber nicht der Einzige)  unter Nitribitts Hochkarat-Kunden, der ihr die Türen zur Upper-Class öffnete. Verkörpert wird er in dem Stück von dem Schauspieler Bernhard Bettermann („So weit die Füße tragen“). Smart und burschikos gelingt ihm ein überzeugendes, differenziertes Rollenporträt des zwischen Pflicht, Moral, Trieb und Verlangen hin- und her gerissenen Liebhabers. Sein Spiel ist absolut glaubhaft, doch kann er andererseits auch nicht nur annähernd so viel vokale Potenz in die Waagschale werfen wie seine Bühnenpartnerin. Dennoch ergänzen sich beide auf ideale Weise.

Ungekünstelter Charme

Schnell wird deutlich und hörbar, dass Bettermann eben nicht über eine ausgebildete Singstimme verfügt. Aber das ist andererseits auch nicht unbedingt störend, weil gerade durch seinen ungeschulten Bariton und ungekünstelten Charme der ambivalente Charakter und die Zerrissenheit des liebesblinden, risikofreudigen und draufgängerischen Wirtschaftsbosses, den Bettermann zu geben hat, unterstrichen und verstärkt wird. Jeder anderen Musicalproduktion würde ein angestrengter Gesang dieser Art Abzüge in der B-Note bescheren, hier ist dieses Manko aber eher gewollt.

Graue Mäuse und ordinäre Dirnen

Über jeden stimmlichen Zweifel erhaben sind die übrigen Künstler, wobei Norbert Lamla als Unternehmer Alfons Bruster, Tom Zahner als durchtriebener Wirtschaftskapitän Bernhard Schmitt, Christina Wettstein als selbstgerechte, arrogant-überhebliche Hartog-Schwester Marga von Rahn und Brigitte Oelke als ordinäre, und teils in breitem Hessisch dozierende Prolo-Prostituierte Lilli besonders hervorstechen – in Gesang und Spiel. Besondere Erwähnung gebührt aber vor allem Karin Kern, die als hornbrillen-behaftete graue Maus und Schmitts Vorzimmer-Tippse Berta Endrikat beim Publikum einen ganzen Koffer voller Pluspunkte einfährt. Das von ihr angeführte Sekretärinnen-Ballett im Rapper-Stil (Jupiter oh Jupiter) ist umwerfend köstlich und unbestritten die komödiantische Krönung des Abends. Für die Choreografie zeichnen übrigens Paul Kribbe und James de Groot verantwortlich.
Das Ende ist zugleich der Anfang des Stücks: Eine Trauerprozession und gleichzeitige Ansammlung potenzieller Tatverdächtiger mit stichhaltigen Motiven beklagt den frühen Tod eines Mädchens, das zu gierig und zu schnell lebte und plauderte, wo es lieber die Klappe gehalten hätte. Das Schlussbild ist fast deckungsgleich. Aber keine Leiche im Bett. Der Mord wird durch ein Martinshorn veranschaulicht, eine nüchterne Nachrichtensprecherstimme kündet vom gewaltsamen Ableben eines prickel- und lustspendenden Freudengirls. Selbiges erscheint, von kaltem, weißem Scheinwerferlicht angestrahlt, mit versteinerter Miene in typischer Pose, den Docht in der Hand und in voller Kriegsbemalung wie eine Gespenstergestalt im Hintergrund. Licht aus. Das war’s. Dazwischen Aufstieg und Fall eines steilen, käuflichen Zahns, 140 Minuten, packende, solide Unterhaltung. Der Spannungsbogen bleibt erhalten, obwohl der Ausgang der Geschichte von vornherein bekannt ist.

Etwas textlastig

Das Verhältnis zwischen Dialogpassagen und Musik scheint zu Gunsten ersterer etwas unausgewogen, weshalb verschiedentlich auch von einem Theaterstück mit Musik die Rede ist. Der ein oder andere hätte sich schon etwas mehr Kost- bzw. Hörproben aus Fecklers ideenreicher Trickkiste gewünscht, zumal, wenn sie derart packend und intensiv umgesetzt werden, wie es hier in den klingenden Momenten der Inszenierung der Fall ist. Auch der brillanten Anna Montanaro hätte die Regie durchaus mehr Raum zubilligen können. Andererseits wird so aber vermieden, dass das Ganze  in eine One-Woman-Show abrutscht.
„Rosie“ wird ihr Publikum finden, garantiert, auch wenn sich selbiges nicht unbedingt aus der typischen Musical-Klientel, sofern es ein solche überhaupt gibt, rekrutieren muss. Die prätentiöse Produktion hat das gewisse Etwas und hebt sich durch ihren ungekünstelten Charme  wohltuend von vielen anderen verkrampft wirkenden Machwerken, die die Theater hierzulande bevölkern und blockieren, ab. Erfreulich ist zudem, dass es Produzenten wie Thomas Krauth und Andrea Friedrichs gibt, die neuen Autoren, Komponisten und ihren Ideen eine Chance einräumen und das Wagnis eingehen, etwas völlig Neues und Eigenes zu entwickeln, anstatt nur auf eingeölte, weichgespülte und erprobte Importe aus dem globalen Musical-Fundus zu setzen. Dadurch leisten sie einen wichtigen und nicht zu unterschätzenden Beitrag zum Gedeihen einer eigenständigen Musicalkultur hier zu Lande. 

© by Jürgen Heimann

Alles zu Rosemarie bei Sound Of Music!

Anzeige