Musical Joseph 2014 in Tecklenburg
Musical Joseph 2014 in Tecklenburg
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Theater

Premiere Musical Joseph in Tecklenburg 2014

Ein No Angel mehr am Himmel für Superstar Alexander Klaws

Alexander Klaws Stern steht seit seinem Gewinn der letzten Staffel der Fernsehshow „Let´s Dance“ hoch in der Gunst seiner Fans. Eine neue CD und gleich zwei spannende Engagements in Musicals stehen auf dem Stundenplan des scheinbar unermüdlichen Schlager-/Musical-/Schauspiel-/Tanz-Stars. Nach seinem Debüt in der ersten Open-Air-Version des Musicals „Der Schuh des Manitu“ als jodelnder Ranger im letzten Jahr (siehe Blickpunkt Musical 4-13, Ausgabe 65, August-Oktober 2013) und einem Gastauftritt bei der „Musical Meets Pop“ Pfingstgala am 09.06.14 steht Alexander Klaws seit dem 21.06.14 in insgesamt 20 Aufführungen des Andrew Lloyd Webber Musical-Klassikers „Joseph And The Amazing Technicolor Dreamcoat“ bis zum 24.08.14 erneut als Titelheld auf der Freilichtbühne Tecklenburg.

Archäologische Ausgrabung statt Religionsstunde

Erfahrene Musical-Pilger, die in diesem Jahr auf die schön gestalteten Blumenbilder der religiösen Pilger des Jakobswegs in den Gassen der Altstadt treffen, erinnern sich vielleicht noch an die Tecklenburger Inszenierung aus dem Jahre 2003 mit Sven Olaf Denkinger als Joseph und Jana Werner als Erzählerin. Rund 11 Jahre später ist „Joseph“ erwachsener geworden. Der niedliche Kinderchor, der 1996 mit „Joseph“ als erstes Musical im Essener Colosseum den NRW-Musicalstandort einweihte und normalerweise als Rahmen für die Erzählerin in einer Religionsstunde über die alttestamentarische Geschichte von Jakob und seinen zwölf Söhnen dient, fehlt komplett in der neuen Version von Regisseur Werner Bauer, der im letzten Jahr noch als Abahachi den Schuh des Manitu schnürte. Die Open-Air Schlossruine dient nicht als Klassenzimmer sondern vielmehr als archäologische Ausgrabungsstätte, durch die eine Fremdenführerin eine bunte Gruppe Touristen führt und nebenbei die Geschichte des Träumers Joseph aus dem ägyptischen Wüstensand schält. Im Laufe der rückblickenden, historisch-religiösen Handlung überrascht die moderne Inszenierung immer wieder mit frischen Ideen, die in diesem Kontext verblüffend gut funktionieren. Da gibt es einen Fernseher mit drei singenden Moderatoren im Stil der Comedian Harmonists, die die Sklavenhändler, die Joseph nach dem Verrat der eifersüchtigen Brüder von Kanaan nach Ägypten exportieren, frech in der Fernsehshow „Goodbye Kanaan – die Auswanderer“ interviewen oder die zu Beginn des zweiten Aktes nach dem Motto „Was bisher geschah“ einen musikalischen Rückblick auf die bisherigen Geschehnisse inklusive Schnell-Vorlauftaste der Fernbedienung geben. Oder die verzweifelten elf Brüder, die sich mit französischem Akzent während der Hungersnot bei „In Kanaan einst“ mit einer frivolen Tänzerin um die letzte Zigarette schlagen, während Vater Jakob viel zu tief ins Rotweinglas geschaut hat. Ebenfalls nicht ganz unbedenklich für ein ehemaliges Kindermusical ist die Szene des „Benjamin Calypso“, in der der des Diebstahls bezichtigte „kleine“ Benjamin, der mit 3 Tage-Bart nicht wirklich wie der jüngste Spross des Jakob-Klans wirkt, eine Tüte raucht und deshalb logischerweise im Haschisch-Nirwana seine Brüder als Harry Belafonte-Doubles in Hawaii-Hemden halluziniert. Irgendwie machen diese Szenen sogar viel mehr Sinn für die witzigen Webber-Parodien der unterschiedlichsten Musikstile als bisherige Inszenierungen. Und der rockende Pharao als Elvis-Imitation passt perfekt in das Gesamtbild des schrägen Comedy-Musicalabends.

Darsteller des Musicals Joseph mit Ex No Angel Sandy Mölling

Die Darsteller, die diesen quirligen Musicalspaß überzeugend auf die Bühne bringen, sind neben dem riesigen Chor und der imposant vielköpfigen Statisterie der Freilichtspiele Tecklenburg, gewohnt prominent besetzt. Die heimliche Hauptrolle der omnipräsenten Erzählerin, die sich passend zur Szenerie in die unterschiedlichsten Kostüme von Karin Alberti wirft, ist mit der Ex-„No-Angels“ Sängerin Sandy Mölling besetzt. Während in früheren „Joseph“-Inszenierungen diese Rolle als nette Lehrerin mit mütterlichen Zügen interpretiert wurde, gibt Sandy Mölling eine strenge, ja fast steife Fremdenführerin, die mich unangenehm an meine erste Musiklehrerin mit Nickelbrille und Taktstock erinnerte. Wird man mit dieser neuen Rollenauslegung der unterkühlten, blonden Domina im Karo-Sakko aber erst einmal warm, macht der „Engel der Weihnacht“ 2010 bis 2011 gesanglich und darstellerisch eine extrem gute Figur.

Julian Looman als rockiger Pharao, Reinhard Brussmann als Vater Jakob und die 11 Brüder

Julian Looman, der in diesem Jahr als Joe Gillis im Drama-Musical „Sunset Blvd.“ neben Maya Hakvoort ab dem 25.07.14 ebenfalls in Tecklenburg auf der Bühne stehen wird, gibt einen stilvoll-verrückten Pharao mit Alpträumen ab, den auch seine skurrile Badekappenkopfbedeckung nicht aus der rockigen Fassung bringt. Als Vater Jakob brilliert Reinhard Brussmann, den man durch seine letzten Engagements als festes Ensemble-Mitglied der Tecklenburger Musicalfamilie gerne wiedersieht. Die Riege der elf singenden Brüder wird von den stimmstarken Thomas Hohler (Simeon), Alexander Bellinkx (Ruben) und Andrew Hill (Levi) angeführt und harmonisch komplettiert von Sebastian Smulders (Judah), Jan Altenbockum (Dan), Marco Herse Foti (Naphtali), Sebastian Brandmeir (Gad/Butler), Benjamin Witthoff (Asser/Potiphar), Jürgen Brehm (Issacher/Bäcker), Florian Theiler (Sebulon) und schließlich Cihan Demir als Benjamin. Die Frauen der Brüder spielen in „Joseph“ eigentlich nur trauernd-weinendes Beiwerk, sie dürfen sich dafür aber in der schmissigen Choreografie von Kati Heidebrecht elegant-sportlich bewegen (Juliane Bischoff, Sophie Blümel, Yael de Vries, Esther Mink, Daniela Römer, Marthe Römer, Silja Schenk, Giulia Sophia Young).

Star des Abends Let`s Dance Gewinner Alexander Klaws

Bleibt nur noch der Star des Abends: Alexander Klaws. Obwohl zeitgleich zur Musical-Premiere das WM-Fußballspiel Deutschland gegen Ghana angepfiffen wurde, sorgte der erste DSDS-Gewinner Klaws für ein bis auf wenige Restplätze nahezu ausverkauftes Amphitheater, das ja immerhin rund 2300 Leute fasst. Gleich zu seinem ersten Auftritt als Traumdeuter zu „Nur vom Traum verführt“ gab es frenetischen Begrüßungsapplaus, der, wie sich später im Stück zeigte, durchaus berechtigt war. Denn der Ex-„Tarzan“ machte auch im ägyptischen Lendenschurz und mit jüdischen Korkenzieherhaaren eine blendende Figur, sorgte bei „Schließt jede Tür“ für andächtiges Schweigen im Publikum, das er mit anschwellender Belt-Stimme pompös beendete, forderte Benjamin zu einem gekonnten „Let´s Dance“ auf und ließ die Stimmung beim finalen Mega-Mix als klatschende Standing-Ovation unter der exzellenten musikalischen Leitung des Archäologie-Dirigenten Klaus Hillebrecht überkochen.

Musical Joseph kurzweiliger Ersatz für WM-Fussballspiel

Mit Alexander Klaws und seinem Team aus 11 Brüdern, Kapitän Brussmann, Schiedsfrau Mölling und Team-King Looman ist das kurzweilige Musical Joseph mit seinen (leider fast zu kurzen) zwei mal 45 Minuten Halbzeiten ohne Zugaben-Nachspielzeit ein perfekter Ersatz für WM-müde Musicalfans. Beim Spiel Kanaan gegen Ägypten gewinnt auf alle Fälle Tecklenburg, bevor Top-Spieler Klaws in der neuen Saison ab dem 19.10.14 nach Dortmund wechselt, am Opernhaus den nächsten biblischen Lendenschurz trägt und als Webber-„Jesus Christ“ wieder in die Rolle eines Superstars schlüpft. 

Lesen Sie auch unsere Berichte über das Musical Joseph 1996-1999 im Colosseum Theater Essen und 2003 auf der Freilichtbühne Tecklenburg!

© Text und Fotos: Stephan Drewianka, Musical-World.de; dieser Bericht erschien ebenfalls in der Blickpunkt Musical Ausgabe 71, Nr. 04/14, Juli-September 2014

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