Musical Jesus Christ Superstar in Bonn
Musical Jesus Christ Superstar in Bonn
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Musical Jesus Christ Superstar an der Oper Bonn

Deutschland sucht den Superstar – Bonn hat ihn!

Viele Stadttheater haben sich bereits an Sir Andrew Lloyd Webbers Rock-Oper Jesus Christ Superstar in den unterschiedlichsten Inszenierungen ausgetobt. Da gab es Jesus als Menschenfischer in Gummistiefeln und Regenmantel, Judas als glitzernden Soulsänger, die 12 Apostel als Guerilla-Kämpfer oder Love-and-Peace Hippies, Priester im Gestapo-Look, das Abendmahl entweder als Bierbesäufnis oder als stilgerechte Kopie des Gemäldes von Leonardo da Vinci. 

Moderne Inszenierung unter der Regie von Gil Mehmert

Für die Oper Bonn hat der Folkwang-Professor Gil Mehmert (Regie beim Musical Die Hexen von Eastwick in Gelsenkirchen, Les Miserables in Magdeburg) den klassischen Musicalstoff von 1971 konsequent ins Jahr 2013 transferiert und dabei die Charaktere generalüberholt und teilweise völlig neu interpretiert. Seine moderne Inszenierung des Musicals Jesus Christ Superstar, die seit dem 19. Oktober 2013 an der Oper Bonn als Koproduktion mit dem Theater Dortmund die letzten sieben Tage von Jesus von Nazareth in neuem Licht präsentiert, fesselt von der ersten Minute und überrascht Superstar-Fans durch immer wieder neue Ideen und eine starke Bildsprache.

Musical Jesus Christ Superstar in Bonn mit Mark Seibert

Die Bühne von Beatrice von Bomhard, die sich ebenso für die legeren Kostüme verantwortlich zeigt, gleicht einem römischen Amphitheater, das durch die Flutlicht-Scheinwerfer (Licht: Thomas Roscher) aber auch ein Fußball-Stadion, ein Boxring oder ein Fernsehstudio sein kann. Auf einem überdimensionalen Kreuz, das wie ein Laufsteg bis in die vierte Zuschauerreihe ins Parkett hineinragt, liegt Mark Seibert als Jesus und schläft. Wenn die Ouvertüre der neunköpfigen Band, die auf einem Balkon auf der Hinterbühne platziert ist, unter der musikalischen Leitung von Jürgen Grimm kraftvoller als vermutet einsetzt, erleben wir einen Alptraum Jesu, der von seiner Verurteilung und Auspeitschung handelt. Als Jesus erwacht, ist ihm sein nahendes Ende bewusst und trotz seiner Zukunftsangst führt er seine zahlreichen Anhänger, die in Jeans und Leder gekleidet mit ihren Spruchbändern und Jesus T-Shirts wie eine Studentendemo wirken, kraftvoll wie ein charismatischer Superstar. Mark Seibert, der von Nikolaj Alexander Brucker (Raoul im Essener Musical Phantom der Oper, Joe Gillis im Magdeburger Sunset Boulevard) vertreten wird, wenn er in Wien als Elisabeths Tod auf der Bühne steht, spielt mit seiner kraftvollen Stimme einen multimedial verehrten Jesus, der sich mit der sexy Edelnutte Maria Magdalena (Patricia Meeden, bekannt aus den Musicals Cats und Miami Nights in Düsseldorf; alternierend auch Dionne Wudu) in Hotpants und Lederjacke einlässt, deren Ölsalbungen erotischen Massagen gleichkommen. Während sich Jesus auszieht und mit freudiger Erwartung ins Bett springt, erkennt Maria Magdalena bei ihrem Showstopper „I don´t know how to love him“ durchaus, dass dieser blonde Engel anders ist als ihre üblichen Kunden und sie zieht sich fast beschämt ein weißes Unterhemd über die knappe Spitzenunterwäsche. 

Die Darsteller des Musicals Jesus Christ Superstar

Die Bonner Variante der Vertreibung aus dem Tempel ist eine mondäne Modenschau mit einem schrill-schwulen Moderator, der den „Tributen von Panem“ entliehen sein könnte. Doch Jesus Versuch gegen Eitelkeit, Habsucht und Hochmut anzukämpfen gipfelt in einer Ohnmacht gegenüber einem Heer aus Armen und Kranken, die wie Zombies über ihn herfallen. Nur durch ein aufrüttelndes Opfer kann die Menschheit vielleicht zur Einsicht gebracht werden. Und hier kommt Judas ins Spiel, der wie eine von Jesus geführte Marionette seinen Freund in einer Nacht- und Nebelaktion unter einer Brücke im gleißenden Gegenlicht zweier Autoscheinwerfer der Priester-Mafia gegen einen Koffer mit Geld verrät. David Jakobs (Musical The Full Monty in Dortmund, Rent in München) gibt einen an seinem Verrat verzweifelnden Judas, der sich vom Orchester eine Gitarre borgt, um völlig gebrochen eine Strophe von „I don´t know how to love him“ zu rezitieren, und sich mit seinem Schal stranguliert.

Umsetzung des Musicals Jesus Christ Superstar in Bonn

Jesus, dessen „Gethsemane“-Visionen in Form projizierter Fotos von 9/11-Terror, Krieg und Atombomben längst Realität geworden sind, wartet nach einem letzten Picknick mit seinen Genossen auf seine Verhaftung durch ein Polizei-Sonderkommando. Von den Priestern (Boris Beletskiy, Eduard Katz und Johannes Marx) zusammen mit Kaiphas (Alexey Smirnov) und Hannas (Mark Weigel), die in ihren grünen Mänteln nach dem Schnitt verdächtig wie katholische Würdenträger in Soutane wirken, angeklagt, wird Jesus im orangefarbenen Gefängnisoverall ein öffentlicher Showprozess gemacht, der ihn von Pontius zum drogenabhängigen Pilatus (Mark Weigel) führt. Herodes, eine auf dem Klavier steppende Joker-Reinkarnation aus „Batman“, verhöhnt Jesus mit seinem Gefolge aus fächerschwingenden golden Boys and Girls, die abrupt vom Zwischenruf „Could we start again, please“ von Maria Magdalena und Petrus (Tim Ludwig) unterbrochen werden, der die Zeit kurz zum Stillstand kommen lässt, aber dann ungehört im Finale des Herods Song verhallt. Jesus Auspeitschung wird mediengerecht vom TV übertragen und findet genügend Popcorn essende und sensationshungrige Zuschauer, die schließlich nach seiner Kreuzigung gieren. Erst als Jesus am Kreuz stirbt und keinen Schluck Dosen-Cola bekommt, wird der Menschheit bewusst, was sie getan hat. Vielleicht bringen niedergelegte Kuscheltiere und gemalte Herzchen am Kreuz endlich Einsicht und Frieden?

Darsteller in Höchstform

Was sich hier überspitzt und sarkastisch liest, funktioniert auf der Musicalbühne fantastisch. Alle Darsteller des Musicals Jesus Christ Superstar spielen schauspielerisch in Höchstform ihre neuen Rollenauslegungen aus, singen im perfekt abgestimmten Ton (Stephan Mauel, Tom Vollmers) die englischen Originaltexte, die nicht 1:1 in Übertiteln übersetzt, sondern nur kurz inhaltlich vorgestellt werden, mit frischem Drive. Durch den Chor (Leitung: Volkmar Olbrich) und Jugendchor (Ekaterina Klewitz) des Theaters Bonn und Studenten der Folkwang Universität Essen ist die Bühne stets gut bevölkert. Die Stepptanz-Choreographie, die Dirk Weiler für den „King Herods Song“ entwickelt hat, ist einen Sonderapplaus wert und auch die weitere Choreografie von Kati Farkas, die beim Song „Superstar“ mit begeisterten Cheerleadern in einer kleinen Pyramide gipfelt, wird dem Begriff Showtanz gerecht. 

Fazit: Durch die inhaltlich logische und perfekte Übertragung ins Hier und Jetzt durch Gil Mehmert unterhält der Bonner Jesus Christ Superstar Reloaded 115 Minuten auf hohem Niveau ohne alte Klischees zu bedienen. Nach 42 Jahren wirkt der durchkomponierte Musical-Klassiker Jesus Christ Superstar frischer denn je – Andrew Lloyd Webber und Tim Rice hätten ihre Freunde an dieser Produktion.

© Text & Schlussapplaus-Fotos: Stephan Drewianka, Musical-World.de; Bühnenfotos: Thilo Beu

Dieser Bericht erschien ebenfalls in der Musical-Fachzeitschrift Blickpunkt Musical 06-13, Ausgabe 67, November 2013-Januar 2014 

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