Musical Jekyll und Hyde in Hagen
Musical Jekyll und Hyde in Hagen
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Musical Jekyll & Hyde im Theater Hagen

Moderne Zeiten für Dr. Jekyll 

Zur Eröffnung der Spielzeit am 04. September 2010 plante das Theater Hagen zunächst eine Produktion von Les Miserables. Als diese Pläne  aufgegeben werden mussten, entschloss man sich, dem Musical Jekyll & Hyde neues Leben einzuhauchen und verpflichtete Regisseur Philipp Kochheim, der schon im Jahre 2008 in Lüneburg den Musical Thriller aus dem viktorianischen London rund 100 Jahre in die Zukunft katapultierte.

Jekyll & Hyde schlägt “Die(s ist die) Stunde” nun im Videozeitalter - das bringt natürlich so einige radikale inhaltliche Änderungen mit sich, die Kochheim zumeist sehr elegant aus dem Original zu übertragen weiß. So hat ein moderner Wissenschaftler heutzutage ein Designer-Loft mit angegliedertem Hightech-Labor, der Butler weicht einem wissenschaftlichen Assistenten, die Verlobte Lisa ist eine emanzipierte junge, mondäne Frau, für die Sex vor der Ehe keine Todsünde ist und die sich charakterlich gar nicht so stark von der Prostituierten Lucy unterscheidet, die sich eigentlich ein bürgerliches Leben wünscht. In 100 Jahren hat sich jedoch eine Einstellung nicht geändert: Wie eh und je sträuben sich Klerus, medizinischer Rat und potentielle Geldgeber gegen Versuche am lebenden Menschen, was Dr. Jekyll in der Ausführung seiner geplanten Experimente stark einschränkt. Es bleibt ihm schließlich nur der Selbstversuch am eigenen Leibe, der natürlich per Video festgehalten wird, und die anschließende Rache an den Personen, die ihn an der Ausführung seiner wissenschaftlichen Experimente gehindert haben.

Die Morde am gesamten Vorstand des St. Judes Krankenhauses führt jedoch nicht ein Mr. Hyde aus, sondern ein von seinen gesellschaftlichen Zwängen befreiter Dr. Jekyll, für den Moralvorstellungen nicht mehr gelten. Hier beschreitet Philipp Kochheim einen gänzlich neuen Weg in der Interpretation der Romanvorlage von Robert Louis Stevenson, der auch einige Änderungen der Musicalvorlage von Frank Wildhorn und Steve Cuden mit sich bringt. Jekyll verwandelt sich nie in eine andere Person, einzig sein Temperament ändert sich schlagartig und der kontrollierte Wissenschaftler wird zu einer rasenden Furie. Meist funktioniert diese Neuinterpretation des schizophrenen Charakters auf der Bühne fabelhaft und wenn es brenzlig werden könnte, rettet sich Dr. Jekyll in die Dunkelheit. So kann er seinen Assistenten Dr. Poole im Schutze der Nacht fast in seinem Aquarium ertränken ohne erkannt zu werden und auch seine unheilvolle Beziehung zu Lucy bekommt eine überraschende Wendung, als der Zuschauer erfährt, dass Lucy als Borderliner Gefallen daran findet, sich immer dann körperlichen Schmerz zuzufügen, wenn ihr Leben eine glückliche Wendung zu nehmen scheint. Jekylls Mord an Lucy mit einem Rasiermesser wird so zur Erfüllung ihrer Träume...

Die neue Rollengestaltung von Jekyll & Hyde führt unweigerlich zu einem neuen Finale mit einer anderen “Konfrontation” der beiden Ichs in einer Person: Anders als in allen anderen Inszenierungen schafft es Dr. Jekyll tatsächlich, sich selbst mit seinem Revolver zu erschießen. Zurück bleibt seine Verlobte Lisa, die noch einmal den Song “Da war einst ein Traum” zusammen mit einer Reprise der Chornummer “Fassade” anstimmt, während sich im Hintergrund der Szene Jekylls Erzrivale Simon Stride die schicksalhafte Formel injiziert, um zum nächsten Mr. Hyde zu werden.

Für eingefleischte Jekyll & Hyde-Fans bietet diese Neuinterpretation des klassischen Stoffes einige spannende Momente, vorausgesetzt, man lässt sich auf diese Neufassung unvoreingenommen ein. Dann kann die Hagener Version, die als Weiterentwicklung der stark gekürzten Lüneburger Fassung wieder mit 150 Minuten Spielzeit auftrumpft, glänzend unterhalten. Als Gast besetzte man in Hagen die Titelrolle mit Henrik Wager, der seinen Jekyll zwar mit viel Spielfreude diabolisch gut über die Bühne bringt, beim Premierenabend jedoch leider nicht immer laut genug vom Ton ausgesteuert wurde und manchmal im satten Orchestersound unter der musikalischen Leitung von Steffen Müller-Gabriel beinahe unterging. Weitere Verstärkung des hauseigenen Ensembles holte sich das Theater Hagen mit Musical-Profi Norbert W. Conrads als Jekylls besten Freund John Utterson, der bei dieser Rolle gesanglich fast unterfordert ist, sowie Musical-Rock-Röhre Maricel, die der Rolle der Prostituierten Lucy Harris neues Leben einhaucht.

Da die Bühne von Uta Fink während der gesamten Spielzeit unverändert von Jekylls imposanter Wohnung eingenommen wird, spielt die Szene in der Bar der “Roten Ratte” vor heruntergelassenem Glitzervorhang knapp vor dem Abgrund des Orchestergrabens und Maricel präsentiert den Showstopper “Komm schaff die Männer ran” ungewöhnlich für eine deutsche Fassung, jedoch passend zur modernen Inszenierung in der englischen Originalversion, da man offensichtlich heute in solchen Etablissements die Weltsprache vorzieht. Überraschend neu auch der Beginn des zweiten Aktes, wo der “Mörder, Mörder” vom Chor im gesamten Zuschauerraum in unheimlicher Taschenlampenbeleuchtung gesucht wird, während auf der Bühne hinter einem halbdurchlässigen Glasspiegel Dr. Jekyll seine triebhaften und originellen Morde zelebriert - als Highlight sei hier die Katze in der Mikrowelle erwähnt, die der Lady Beaconsfield (herrlich gespielt von Marilyn Bennett) einen Herzinfarkt verursacht, oder das fulminante Ableben von Dr. Poole (ein glänzender Robert Schartel als Mischung aus Albert Einstein und Beaker aus der “Muppet Show”) im Aquarium. Ebenfalls eine starke Leistung liefert Tanja Schun als Verlobte Lisa Carew ab, die das Duett “Nur sein Blick” mit Maricel zum Erlebnis werden lässt und Jeffrey Krueger als Pfarrer, der in der kleinen Nebenrolle gesanglich einen Akzent setzen kann.

Fazit: Trotz oder gerade aufgrund der ganz anderen Inszenierung ist das Musical Jekyll & Hyde in Hagen für Musicalfreunde eine Reise wert. Gespielt werden insgesamt 18 Vorstellungen bis zum 03.07.2011.

© by Stephan Drewianka, Musical-World.de; Fotos: Stefan Kühle mit freundlicher Genehmigung des Theaters Hagen

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