A Little Night Music
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A Little Night Music - Premiere am Theater Bielefeld

Sondheims kleine Nachtmusik

Musical-Autor Stephen Sondheim wird von Kritikern, Darstellern und Publikum seit Jahrzehnten für seinen hohen künstlerischen Anspruch gelobt. Wichtiger als eingängige Ohrwürmer sind dem Komponisten die Songtexte und deren Botschaft, auch wenn diese dann in wahren Wasserfällen über das Publikum hinwegbranden. Als in jüngster Zeit Hollywood das Genre Musical wiederentdeckte, war es nicht verwunderlich, dass Sondheim-Musicals auch für das Kino neu inszeniert wurden und die Schauspieler sich um diese Rollen rissen. Johnny Depp spielte 2007 den Mords-Barbier „Sweeney Todd“ an der Seite von Helena Bonham Carter, Alan Rickman und Sacha Baron Cohen. 2014 verfilmte Disney Sondheims eigene Interpretation berühmter Märchen und schickte u.a. Meryl Streep, Anna Kendrick, Emily Blunt, James Corden und Chris Pine „Into The Woods“.

A Little Night Music nach Ingmar Bergmans Film-Klassiker

Doch bei Sondheim geht es auch „andersrum“. Für sein Musical von 1973 „A Little Night Music“ adaptierte er Ingmar Bergmans Film-Klassiker „Das Lächeln einer Sommernacht“ von 1955 für die Musicalbühne. Die original Broadway-Fassung erlebte 601 reguläre Vorstellungen und wurde u.a. mit dem Tony Award für das beste Musical und dem New York Drama Critics Circle Award ausgezeichnet. Übrigens gab es 1977 bereits eine Kino-Verfilmung unter der Regie von Broadway-Produzent Harold Prince mit Diana Rigg, Lesly-Ann Down und einer tatsächlich mit eigener Stimme singenden Elizabeth Taylor in den Titelrollen. Die Faszination Sondheim lockte danach weitere Darsteller auf die Theaterbühnen, die vorher nicht durch ihre Gesangskünste aufgefallen sind. Ex-Bond-Chefin Judi Dench wurde 1996 am Royal National Theatre für ihre Interpretation des einzigen Welthits aus Sondheims kleiner Nachtmusik „Send In The Clowns“ gefeiert. 2009 sorgten am Broadway Angela Lansbury und Catherine Zeta-Jones in ihrem Broadway-Debüt für volle Theatersäle.

Schwedische Mittsommernacht 2016 in Bielefeld

Im deutschsprachigen Raum machen sich die Musicals von Stephen Sondheim eher rar in den Theatern. Seit dem 21. Mai 2016 steht „A Little Night Music“ in (fast) komplett deutscher Fassung in der Inszenierung von Kay Link aber auf dem Spielplan des Theaters Bielefeld. Können 160 Minuten einer schwedischen Mittsommernacht, deren nicht untergehende Sonne Licht in das Verwirrspiel um die Beziehungen der zehn Hauptdarsteller bringt, auch das deutsche Publikum fesseln, das sonst eher auf schwedische Vaterschaftsfindung wie in „Mamma Mia!“ eingestimmt ist?

Handlung des Musicals A Little Night Music

Das Stück beginnt mit rüstigen Rentnern, die die Night-Walz Ouvertüre mit klassischem Opern-Gesumme intonieren. Das Quintett zieht sich wie ein roter Faden durch das Musical und verkörpert die „gute, alte Zeit“ – wir sind hier schließlich in einem anspruchsvollen Sondheim-Stück und nicht in einem Webber-Werk, bei dem Katzen den Mond ansingen oder Züge um die Wette fahren! Und so erzählt die reiche Witwe Madame Armfeldt ihrer Tochter Fredrika, dass die bevorstehende Mittsommernacht dreimal lächeln wird. Einmal für die unwissenden jungen Leute, dann für die zu wenig wissenden Narren und schließlich für die zu viel wissenden Alten. Bevor man jetzt ins Grübeln gerät, treffen wir auf Rechtsanwalt Fredrik Egerman, der nach 11 Monaten Ehe mit seiner noch sehr jungen Frau Anne diese endlich auch körperlich vollziehen will. Sein Sohn Henrik aus einer früheren Beziehung ist nicht viel älter als die neue Mutter, aber durch sein Theologie-Studium mindestens genauso keusch, wäre da nicht Hausmädchen Petra, die permanent versucht, Henriks Gelübde zu brechen. Weil Anne ihren Mann immer noch auf Abstand hält, träumt er von seiner Ex, der berühmten Schauspielerin Desiree Armfeldt, die gerade mit einer Tourneeproduktion vor Ort spielt. Anne überrascht ihren Mann mit Eintrittskarten und bemerkt während der Vorstellung, dass die beiden sich kennen. Während Anne schnell nach Hause will, trifft sich Fredrik mit Desiree in ihrer Garderobe, wo er von ihrer fast erwachsenen Tochter und ihrem momentanen Liebhaber erfährt. Trotzdem wallen die alten Gefühle auf. Die intime Szene stört plötzlich der eifersüchtige Liebhaber Graf Carl-Magnus Malcom und setzt den Nebenbuhler vor die Tür. Carl-Magnus Ehefrau, Gräfin Charlotte, weiß vom Seitensprung ihres Mannes und klärt ihre alte Freundin Anne über das Treffen von Fredrik und Charlotte auf. Anne ist am Boden zerstört und sucht Trost bei Henrik, der viel mehr für seine Stiefmutter empfindet, als in der Bibel steht. Desiree indes bittet ihre Mutter, Madame Armfeldt, sowohl die Egermans als auch die Malcoms auf ihr ländliches Anwesen zur Mittsommernachtsfeier einzuladen. 

Ein emotionales Weekend auf dem Lande

Im Gartenlabyrinth treffen alle aufeinander: Charlotte ist sauer auf Desiree, weil sie ihren Mann verführt hat, Anne ist eifersüchtig auf Desiree, Henrik ist unglücklich verliebt in Anne und möchte sich im See ertränken, Desiree will Fredrik zurückgewinnen, Carl-Magnus fordert Fredrik zum Duell, weil er seine Geliebte verführt hat, und nur Madame Armfeldt scheint bei dem wilden Treiben, dem auch Haushälterin Petra und Diener Frid verfallen, den Überblick zu behalten…

Im Gegensatz zu den internationalen Produktionen, die mit den Namen großer Stars ins Theater locken, setzt das Theater Bielefeld auf das hauseigene Ensemble und Gäste aus der Musicalbranche, die vielleicht nicht zu den Musicalstars Deutschlands zählen, dafür aber neben fundierten Schauspielkünsten auch singen können, was selbst in einem Sondheim-Musical von Vorteil ist. Der musikalische Leiter William Ward Murta, der selbst schon Musicals wie „The Birds Of Alfred Hitchkock“ und „M… wie Marilyn“ komponiert hat, spornt seine gut besetzten Bielefelder Philharmoniker zu Höchstleistungen an, um Sondheims ungewöhnliche Melodienbögen klangvoll umzusetzen. So macht schon der Dreiteiler „Jetzt“, „Später“ und „Bald“ gleich zu Beginn des Musicals Spaß, während das Finale des ersten Aktes „Ein Weekend auf dem Lande“ in einer harmonischen Ensemble-Nummer gipfelt. 

Darsteller und Charaktere

Alexander Franzen von der Folkwang Hochschule Essen, der zuletzt als Kinderfänger bei „Tschitti Tschitti Bäng Bäng“ in München, als Max Dettweiler in „Sound Of Music“ in Kassel und als General de Guiche in „Cyrano“ in Bielefeld zu sehen war, spielt den in seiner Ehe sexuell stark unterforderten Fredrik Egerman, der deshalb bei seiner alten Liebe wieder zum Schluss kommen will. Seine kindliche Frau Anne wird herrlich naiv mit großer Gestik von Johanna Spantzel verkörpert, die nach ihrem Studium an der Universität der Künste in Berlin u.a. in „Dirty Dancing“ in Oberhausen, „Hinterm Horizont“ in Berlin) und „Catch me if you can“ in Dresden) zu sehen war. Durch ihre Unschuld erkennt sie nicht, dass Stiefsohn Henrik ein Auge auf sie geworfen hat. Der Theologie-Student mit unterschwelligen Liebesgelüsten wird tragisch-komisch von Tom Schimon gespielt. Der Absolvent der Bayerischen Theaterakademie August Everding ist Sondheim-erprobt mit „Sweeney Todd“ und „Into The Woods“,  machte aber auch in „Kiss me, Kate“ und „Fame“ eine gute Figur. Zu den Egermans gehört noch Navina Heyne („Bonnie & Clyde“ in Bielefeld) als verführerische Haushälterin Petra. 

Fredriks Objekt der wiederkehrenden Begierde ist die Schauspielerin Desiree Armfeldt, deren leicht hochmütigen Charakter die Opernsängerin Melanie Kreuter („Tell Me On A Sunday“) Leben einhaucht. Ihre Tochter mit dem bezeichnenden Namen Fredrika wird von der sympathischen Julia Meier (Gewinnerin des Bundeswettbewerbs Gesang in der Sparte Chanson) gespielt, die sich von ihrer geliebten Großmutter Madame Armfeldt so manchen Geheimtipp für ein erfolgreiches und glückliches Leben einholt. Die Grand Dame wird bezaubernd von der eleganten Monika Mayer verkörpert, die von 1967 bis 2002 festes Ensemble Mitglied am Theater Bielefeld („Der König und ich“, „Cabaret“) war und eigentlich längst im „Ruhestand“ ist. Der Kölner Marius Bechen gibt den gutaussehenden Diener der Armfeldts mit vollem Körpereinsatz.

Zu den Kontrahenten, weil im Revier des fremdgehenden Ehemanns plötzlich ein Rivale auftaucht, gehören Graf Carl-Magnus Malcolm alias Tobias Licht, der neben einer Schauspiel-TV-Karriere („Unter Uns“, „Stadtklinik“) auch ein Studium an der Theaterakademie August Everding vorweisen kann und kürzlich noch bei „Funny Girl“, „Chicago“ und „Flashdance“ auf der Bühne stand, und dessen Frau Charlotte, die mit Katharina Solzbacher („Die Hexen von Eastwick“, „Ewig jung“) gutmütig-intrigant glänzend besetzt ist. 

Das Rentner-Quintett, das als Ensemble in weiteren kleinen Rollen zu sehen ist besteht aus Frank Bahrenberg, Katharina Schutza, Angelina Arnold, Carlos H. Rivas und Patrizia Margagliotta.

Skurrile Charaktere, witzige Einfälle, pointen-reiche Dialoge und pfiffige Gesangstexte

A Little Night Music“ besticht durch seine skurrilen Charaktere und deren zunächst undurchsichtigen Beziehungen zueinander gepaart mit einer Menge freizügiger, sexueller Anspielungen. Im ersten Akt legt Regisseur Kay Link in 90 Minuten gekonnt das Fundament für die ausufernde Gartenparty im zweiten Teil. Bühne und Kostüme von Cornelia Brey sind dabei eher dezentes Beiwerk, ob schlichte Trennwände im Haus der Egermans, kalte Backstage-Atmosphäre der Tour-Theater oder Garten-Pavillon mit eleganter Dinner-Tafel vor einem Labyrinth aus Hecken, das auf der Drehbühne rotiert. Trotzdem glänzt die Inszenierung durch witzige Einfälle wie tanzende Schafe vor einem Werbeplakat „Komm aufs Land“, wenn beide Familien mit Pappmaschee-Automobilen anreisen, eingeblendeten Videoanimationen zum Seelenleben eines frustrierten Ehemanns oder wenn sich Fredrik im „See“ ertränken will, der nur ein aufblasbares Kinder-Plastikschwimmbecken ist. Die Choreografie von Amy Share-Kissiov wird erst richtig bei der amüsanten Zugabe benötigt, ist dort aber umso effektvoller eingesetzt. Das Sondheim-Musical lebt eben durch die Pointen reichen Dialoge und pfiffigen Gesangstexte, deren deutsche Übertragung von Eckart Hachfeld bestens unterhält. Leider wechselt das Stück bei seinem berühmtesten Lied „Send in the Clowns“ dramaturgisch völlig unverständlich zurück ins englische Original, dessen Originaltext jedem Musicalkenner ein Begriff ist. Auf diese Verbeugung vor Sondheim hätte man zugunsten der deutschen Fassung „Wo sind die Clowns“ besser verzichten sollen, so steht dieser Welthit in Bielefeld eher wie ein Fremdkörper im Raum.

Dieser in deutschen Theatern selten gespielte Sondheim-Klassiker ist eine Reise nach Bielefeld wert. Und wenn Sie wie Fredrika verpasst haben, wie die Sommernacht dreimal gelächelt hat, werden Sie feststellen, dass Sie selber beim Schlussapplaus vielleicht immer noch schmunzeln…

© Stephan Drewianka; Bühnenfotos: Bettina Stöß, Schlussapplaus & Zugabe: Stephan Drewianka

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