Musical Die spinnen die Römer © Sarah Jonek
Musical Die spinnen die Römer © Sarah Jonek
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„Die Spinnen, Die Römer!“ am Theater Bielefeld

Sondheim mal ganz anders: Komödie heut Nacht!

Beim Komponisten Stephen Sondheim denkt man an anspruchsvolle, nicht immer harmonische Musik mit komplexen Texten. Seine Charaktere sind melancholische Maler („Sunday in the Park with George“), mörderische Barbiere („Sweeney Todd“), verwirrte Liebespaare („A Little Night Music“), düstere Kriegshelden („Passion“) oder aus ihren Rollen fallende Märchenfiguren („Into The Woods“). In seinem ersten selbst verantworteten Musical, dass er nach seinen Text-Arbeiten für „West Side Story“ und „Gypsy“ in Zusammenarbeit mit Burt Schevelove und Larry Gelbart 1962 komponierte, standen die griechischen Komödien des Plautus Pate. Thematisch passte „A Funny Thing Happened on the Way to the Forum“ bestens in die Zeit der Sandalenfilme, die Hollywood mit „Ben Hur“ bis „Quo Vadis“ die Kinokassen füllte. Und ob Sondheim seine spätere Vorliebe für düstere Dramen und Tragödien bereits vorausahnte, nannte er den ersten Song der Show „Komödie heut Nacht!“ – vielleicht die bekannteste Nummer dieses Musicals, das für Deutschland zunächst mit „Toll trieben es die alten Römer“ übersetzt wurde. Unter diesem Titel wurde auch die Musicalverfilmung mit Zero Mostel und Stummfilm-Star Buster Keaton in seiner letzten Rolle 1966 in den Kinos gezeigt. Im Theater gilt das Stück mit 966 Vorstellungen als Sondheims am längsten laufendes Musical, bei dem auch Nathan Lane, Whoopi Goldberg und John Carradine in den Hauptrollen spielten.

Seit 30.08.2020 zeigt das Theater Bielefeld das Musical als deutsche Erstaufführung der neuen Übersetzung von Roman Hinze unter dem Titel „Die Spinnen, Die Römer!“. Nun, mit Asterix hat die Handlung nichts gemeinsam, in der turbulenten Verwechslungskomödie geht es vielmehr um das Liebesleben von Senatorensohn Hero, der sich in die Kurtisane Philia verliebt, die im benachbarten Freudenhaus bereits an einen Hauptmann verkauft wurde. Der pfiffige Sklave Pseudolus will zum Preis für seine Freiheit alles tun, um die Liebe seines Herrn in die richtigen Bahnen zu lenken, auch wenn Chefsklave Hysterium ihm dieses Unterfangen nicht gerade leicht macht. Und wenn sich dann noch Papa Senex sehr zum Missfallen seiner Gattin Domina ebenfalls in Philia verguckt, ist Ärger vorprogrammiert. Philia gibt es schließlich gleich drei Mal und erst ein alter Mann kann mit Ringen, Hellsehern und einer Schar Gänsen den gordischen Knoten aus Verwicklungen zum Happy-End Finale lösen.

Der Zweiakter macht in Bielefeld als pausenloser 2 Stunden-Einakter in der Corona-Fassung unglaublich viel Spaß. William Ward Murta dirigiert flott durch die für Sondheim beschwingt leichte Musik mit Jazz Anleihen, die abwechslungsreiche Choreografie von Dominik Büttner geht dem Ensemble leichtfüßig von der Sohle und die neuen deutschen Dialoge und Songtexte werden pointenreich auf den Punkt gebracht. Mit Jonas Hein (Quasimodo bei „Disneys Der Glöckner von Notre Dame“, 2012 Kandidat bei „The Voice of Germany“) steht ein lausbubenhafter Pseudolus auf der Bühne, der mit seinem Charme nicht nur alle Charaktere um den kleinen Finger wickeln kann, sondern auch ein stimmstarker Erzähler ist, dem der Zuschauer durch die haarsträubende Handlung mühelos folgen kann. Merlin Fargel („Goethe – auf Liebe und Tod“) ist als Hero stimmlich ebenbürtig, da hat es Laura Luise Schreiber als Philia schon schwer, bei so viel Testosteron-Power als liebliches Objekt der Begierde genügend Bühnenpräsenz zu zeigen. Cornelie Isenbürger dominiert als Domina nicht nur durch ihre stylische Hochfrisur (Kostüme und Bühne Julia Hattstein), sie herrscht auch über Gatten Senex, der von Dirk Audehm herrlich unterwürfig gespielt wird. Carlos Horacio Rivas macht nicht nur als überkandidelter Hysterium eine gute Figur, ihm stehen auch Frauenkleider als Philias Doppelgängerin gut. Lorin Wey als Kurtisanenhändler Marcus Lycus darf herrlich verwirrt sein, Frank Wöhrmann als Hauptmann Miles Gloriosus mit den Muskeln spielen. Eike Schmidt verkörpert mit zwei Handpuppen den dreiköpfigen Chor in vielen unterschiedlichen Rollen.

Ein gut durchdachtes Corona-Konzept, bei dem man sich im Theater neben grandioser Unterhaltung auch noch sicher fühlen darf, rundet den gelungenen Abend in Bielefeld ab!

© Texts: Stephan Drewianka, Fotos Bühne: Sarah Jonek Fotografie, Fotos Schlussapplaus: Stephan Drewianka; dieser Bericht erschien ebenfalls in der Musical-Fachzeitschrift Blickpunkt Musical Ausgabe 109, Nr. 06/20

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