Musical Anatevka in Bad Hersfeld
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Musical Anatevka: Michael Schanze und der Flitterabend seiner 1, 2 oder 3 verliebten Töchter

Musical Anatevka feiert mit Blitz und Donner Open-Air Premiere in Bad Hersfeld

1985 stand das Musical Anatevka - Fiddler on the Roof unter Intendant Karl Vibach sehr erfolgreich auf dem Programm der Bad Hersfelder Festspiele. 2012 möchte der aktuelle Intendant Holk Freytag an den damaligen Erfolg anknüpfen und holt sich für die Neuinszenierung vom Fiedler auf dem Dach wie schon im letzten Jahr bei Sunset Boulevard mit Helen Schneider erneut einen zugkräftigen Namen ins Boot, um die zahlreichen Plätze in der Stiftsrunie möglichst lückenlos zu füllen. Ex-Moderator („Hätten Sie heut Zeit für mich“, „Eins, Zwei oder Drei?“, „Flitterabend“, „Kinderquatsch mit Michael“) und Sänger („Quarter-Deck-Combo“, Singles „Ich bin kein Lord“, „Ich hab Dich lieb“ und „Schalt mal Dein Herz auf Empfang“) Michael Schanze sollte in die Rolle des jüdischen Milchmanns Tevje schlüpfen, der 1905 im ukrainischen Dörfchen Anatevka seine drei ältesten Töchter unter die Haube bringen will, diese sich gegen jede Tradition aber in andere Ehemänner verlieben, mit der Heiratsvermittlerin Jente und Mutter Golde nicht einverstanden sein können.

Michael Schanze als brillanter, jüdischer Milchmann Tevje

Regisseur Stefan Huber, der in der Schweiz Grease, Andrew Lloyd Webbers Aspects Of Love und Singin´ In The Rain als Erstaufführungen inszenierte und die erste deutschsprachige Neuinszenierung von Sunset Boulevard realisierte, vertraute gegen einige kritische Stimmen seiner Wahl des Hauptdarstellers. Seit der Premiere des Musicals Anatevka am 19.06.2012 in Bad Hersfeld können sich die Zuschauer in insgesamt 23 Vorstellungen bis zum 05.08.2012 davon überzeugen, wie brillant der mittlerweile 65-jährige Michael Schanze mit seinen gemütlichen 118 kg die schwergewichtige Musical-Hauptrolle auszufüllen versteht.

Handlung und Geschichte des Musicals Anatevka

Michael Schanze spielt den traditionsbehafteten jüdischen Milchmann vor allem mit viel Herz und verzeiht seiner ältesten Tochter gern, dass sie den leicht trotteligen Schneider Mottel dem viel älteren, aber reichen Metzger Lejser Wolf vorzieht, auch wenn er Frau Golde erst mit einer haarsträubenden Erzählung eines vermeintlichen Alptraumes von der Liebesheirat überzeugen kann. Sorgenvoll hingegen kümmert er sich um Tochter Nummer 2 Hodel, die sich in den politisch engagierten Lehrer Perchik verliebt, der wegen seiner politischen Ansichten in einem sibirischen Gefangenenlager inhaftiert wird, in das Hodel ihm nachreist. Doch Heirat 3 kann der strenge Jude nicht tolerieren, denn die Wahl von Tochter Chava fällt auf Fedja, der einer anderen Religion angehört. Hier zeigt Schanze, dessen Zwiesprache mit Gott für manches Schmunzeln sorgt, ungewohnte Strenge und Härte als er seine Tochter verstößt und ihr erst bei der politischen Vertreibung aller Juden aus Anatevka ein gehauchtes „Geh mit Gott“ wünschen kann.

Spielfreude trotz Gewitter

Michael Schanze spielt und singt den Tevje im Musical Anatevka, als hätten Joseph Stein (Buch), Jerry Bock (Musik) und Seheldon Hernick (Gesangstexte) ihm das Stück 1964 auf den Leib geschrieben. Hut ab vor dieser Leistung, die am Premierenabend auch noch dadurch erschwert wurde, als ausgerechnet beim ersten Showstopper „Wenn Ich Einmal Reich Wär“ rund 15 min nach Beginn der Vorstellung ein Gewitter mit Starkregen einsetzte, der später sintflutartig zunahm, so dass die Show für rund 20 Minuten unterbrochen werden musste, als der Orchestergraben drohte, überschwemmt zu werden.

Darsteller und Besetzung des Musicals Anatevka

Doch nicht nur Michael Schanze ließ sich durch den bis Vorstellungsende nach beinahe 3 Stunden immer noch strömenden Regen die Spielfreude am Musicalklassiker verleiden. Auch seine Frau Golde, prächtig von Marianne Larsen (Norma Desmond im Musical Sunset Boulevard in Magdeburg, Mutter Oberin in The Sound Of Music in Salzburg) zwischen sorgenerfüllter Mutter und streng emanzipierter Hausfrau gespielt, schlug sich mehr als tapfer als sie nur im dünnen Nachtgewand neben Tevje in das vom Regen völlig durchnässte Bett steigen musste. Gesanglich ein perfektes Dreiergespann sind Franziska Lessing (Dirty Dancing in Hamburg, Sweet Charity in Nürnberg) als Zeitel, Milica Jovanovic (Betty Schäfer in Sunset Boulevard und Eliza in My Fair Lady in Magdeburg) als Hodel und Lea Isabel Schaaf (Mein Avatar und ich in Berlin) als Chava.

Traummänner junger Damen 

Die Traummänner der drei jungen Damen sind ebenso passend und rollendeckend besetzt mit Rolf Sommer (Der kleine Horrorladen, Heidi – das Musical) als herrlich schüchternem Schneider Mottel, der stimmstarke Rasmus Borkowski (Sunset Boulevard in Bad Hersfeld, Romeo und Julia in Wien), der als Lehrer Perchik als erster Jude auf einer Hochzeit mit einer Frau tanzt, sowie Jannik Herneit (Emil und die Detektive in Hamburg, Street Scene und Du bist in Ordnung, Charlie Brown in München) als tanzender Russe Fedja.

Sylvia Wintergrün (Nine, Sweet Charity, My Fair Lady) sorgt als resolute Heiratsvermittlerin Jente für permanentes Schmunzeln bei jedem ihrer Auftritte, auch wenn sie in Tevjes Haus mit ihren Heiratsvorschlägen auf Granit beißt. Ein um die Frau geprellter ist der Fleischer Lejser Wolf, der mit dem gutmütig-sympathischen Ansgar Schäfer (Les Miserables in Meiningen, Saarbrücken und Pforzheim, „In Nomine Patris“ in München) ebenfalls Glanzpunkte setzt. Zur weiteren Besetzung gehören u.a. Stefan Stara (Die 13,5 Leben des Käptain Blaubär, Tanz der Vampire, Titanic) als Mendel, Daniel Dimitrow (Carmen – Ein deutsches Musical) als unerbittlicher Wachtmeister, Arthur Büscher (Miami Nights, Moulin Rouge) als Sascha, Barbara Goodman (Dirty Dancing) als schrullige Oma Zeitel zusammen mit Annette Lubosch (West Side Story) als Fruma Sara in der Alptraumsequenz und Marina Edelhagen (Das Phantom der Oper in Essen) als Schandel.

Satter Sound und atmosphärisches Licht

Kai Tietje sorgt als musikalischer Leiter aus dem Orchestergraben für einen satten Sound während die Bühne der Stiftsruine Bad Hersfeld in das atmosphärische Licht von Henrik Forberg getaucht ist. Die Kulissen von Stephan Prattes sehen beim Betreten der Freiluftbühne noch wie ein Haufen Gerümpel aus, das auf die Abholung zum Sperrmüll wartet. Wenn die Darsteller dann in moderner bis greller heutiger Alltagstracht die Bühne betreten, mag man noch denken, man sei im falschen Stück, denn Regisseur Stefan Huber setzt so den Jetztzeitbezug, bevor zum Intro „Tradition“ von Tevje Michael Schanze jeder Darsteller aus seinem mitgebrachten Koffer sein tatsächliches Kostüm von Susanna Hubrich packt und sich in die schwarz-weiße jüdische Einheitstracht kleidet, die in den folgenden Stunden ihre Arbeitskleidung wird.

Special Effect Alptraum

Spannend bei jeder Anatevka Inszenierung ist die Umsetzung von Tevjes Alptraum-Sequenz und auch dies gelingt in Bad Hersfeld mit einer überdimensionalen Fruma Sara, die als verblichene erste Ehefrau des Fleischers Golde mit ihren riesig langen Armen beschwört, dass Tochter Zeitel bitte doch den Schneider Mottel heiraten soll. Die Choreografie von Markus Buehlmann wartet mit nur wenigen Höhepunkten, wie dem auf dem Kopf balancierten Flaschentanz, auf. Der Exodus der Juden, der sich bereits durch gewalttätige Ausschreitungen der Dorfpolizei bei den Feierlichkeiten von Mottels und Zeitels Hochzeit brutal ankündigt, ist leider selbst nach fast 50 Jahren seit der Weltpremiere von Anatevka immer noch aktuell.

Musical Anatevka garantiert einen gelungenen Abend

Die 62. Bad Hersfelder Festspiele bringen 2012 zwar nach Experimenten wie Carmen – ein deutsches Musical und dem grandiosen Open-Air Comeback von Helen Schneider als Norma Desmond in Andrew Lloyd Webbers Hit Sunset Boulevard einen vielleicht etwas angestaubten Musical-Klassiker auf die Bühne, dessen Star Michael Schanze wohl auch eher die mittlerweile 40-50 jährigen „1, 2 oder 3“-Fernsehzuschauer ansprechen dürfte. Trotzdem garantieren Besetzung und Präsentation des Musicals Anatevka - Fiddler on the Roof in Bad Hersfeld einen rundum gelungenen Theaterabend – wenn das Wetter mitspielt, aber nach der Gewitter-Premiere kann es eigentlich nur besser werden: Masel tov!   

© Text & Fotos: Stephan Drewianka, Musical-World.de

P.S.: Die Szenenfotos stammen von der Fotopremiere des Musicals Anatevka mit trockenem Wetter zwei Tage vor der offiziellen und leider völlig verregneten Premiere!

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