Musical Aida in Tecklenburg © Heiner Schäffer
Musical Aida in Tecklenburg © Heiner Schäffer
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Musical Aida: Sonne Nubiens über dem Münsterland

Aida: Romeo und Julia am Rande des Teutoburger Waldes

Ägypten liegt im Teutoburger Wald, die Pyramiden sind nur angedeutet und den Wüstensand muss man sich denken. Der mächtige Pharao schwächelt, doch seine Heerscharen sind munter dabei, die Nachbarvölker zu unterjochen – beispielsweise die Nubier. Die hausen in der Nähe von Osnabrück. Und in diesem geografischen und menschlichen Spannungsfeld entwickelt sich die schönste und bewegendste Liebesgeschichte der Menschheit, eine Love-Story, die die Zeiten überdauert und deren auf so tragische Weise umgekommenen Protagonisten sich in einem anderen Leben zum Happy-End vereinen. Es ist die ans Herz gehende Geschichte von Romeo und Julia, die in diesem Falle allerdings als Radames und Aida daherkommen. Letztere gab dem Drama auch seinen Namen, der seit Guiseppe Verdis 1869 uraufgeführtem Geniestreich bei Opernfreunden in aller Welt einen guten Klang hat. Doch diese Klientel wird derzeit in Tecklenburg weniger bedient. Hier sind es die Musical-Fans, die in diesem Sommer die beiden Toten im Sandgrab beweinen.

Musical Aida in Tecklenburg

Basierend auf dem Verdi-Sujet haben Elton John und Tim Rice dem Stoff, aus dem die Träume und Tränen sind, ein neues, peppig-poppiges Gewand verpasst und daraus das Weltklasse-Musical Aida gestrickt. Das Publikum an Deutschlands Sommer-Broadway in Tecklenburg genießt in der aktuellen Spielsaison 2009 die deutsche Erstaufführung des Musicals Aida unter freiem Himmel. Was Regisseur Dean Welterlen, der sich neben seinem beruflichen Hauptstandbein als Musicaldarsteller immer mehr zum Regie-Ass mausert, aus dem Disney -Epos gemacht hat, nötigt Respekt und Bewunderung ab. Dabei heraus kam eine opulente, nachgerade grandiose Inszenierung, die alles in den Schatten stellt, was man/frau bislang von Amneris und Co. gewohnt war. Mit dieser Produktion haben sich die dortigen Freilichtspiele erneut selbst übertroffen und das wuchtige Vorjahresstück Mozart noch einmal toppen können. Neben dem farbenfrohen und pfiffig inszenierten Webber-Klassiker Evita gerät das Musical Aida zum Saison-Hit 2009.

Melodien, die ans Herz und unter die Haut gehen

Die Musical-Version von Aida weicht von der Storyline her gesehen stellenweise deutlich von der Opernvorlage ab, wenngleich die dramaturgischen Grundelemente deckungsgleich sind. Aida hat alles, was ein modernes Musical braucht: Große Gefühle, Spannung, Dramatik, eine Brise Witz und Tempo. Sir Elton hat dafür einen ganzen Strauß packender und eingängiger Melodien gebunden, die sowohl ins Ohr, als auch unter die Haut, in den Bauch und in die Beine gehen. Mag die Geschichte auch uralt sein, die Partitur ist es nicht. Die Lieder kommen mal treibend, rockig und fetzig, mal balladenhaft und verhalten daher und klingen noch lange nach dem Schlussvorhang nach. Sie dienen in erster Linie dazu, die Handlung voran zu treiben, nicht sie zu ersetzen. Andererseits funktionieren sie auch, wenn man sie aus dem Zusammenhang reißt für sich alleine. Das gilt in erster Linie für „Sind die Sterne gegen uns“, trifft aber auch ohne Abstriche auf  „Ein Schritt zu weit“, „Durch das Dunkel der Welt“ oder“ So einfach, so schwer“ zu. Die Partitur mit ihren 23 Songs (Reprisen mitgezählt) war und ist bei Klaus Hillebrecht und seinem stattlichen Orchester in den besten Händen. Im Instrumentalisten-Käfig unter der Bühne gehen die  Damen und Herren mit viel Drive und Gespür an die Arbeit. Fast jedes Lied hat Ohrwurmqualität. „Sie gehören zu den Besten, die ich je geschrieben habe“, sagt der Komponist selbst. Die einzelnen Charaktere sind sauber heraus gearbeitet, die Dialoge entsprechend pointiert und treffend. Die (ziemlich freie) Übersetzung der Original-Texte von Tim Rice ins Deutsche stammt von keinem Geringeren als Dr. Michael Kunze. Und Germaniens Libretto-Papst hat dabei wieder ganze Arbeit geleistet.

Handlung und Geschichte des Musicals Aida

Die modern erzählte Story von Romeo und Julia im Schatten der Pyramiden basiert auf einer Erzählung des französischen Ägyptologen Auguste Mariette Bay. Die beiden „Helden“ des Stücks durften eigentlich nicht zusammen kommen, taten’s aber dennoch - und erstickten in einem Sandgrab. Aber das war kein Unglücksfall, sondern der Vollzug eines Todesurteils:

In der altägyptischen Abteilung eines nicht näher beschriebenen Museums der Neuzeit begegnen sich zu Beginn des Stücks zufällig zwei junge Leute. Und sie sehen jenen beiden Liebenden von vor 3000 Jahren, von denen das Musical in Folge erzählt, verblüffend ähnlich. Eine Statue erwacht zu Leben und beginnt zu singen: „Jede Geschichte handelt von der Liebe“. Die Wände des Museums verwandeln sich, simsalabim, in eine Landschaft im Nildelta - und wir befinden uns im Ägypten des Jahres 1550 vor unserer Zeitrechnung, als die Armeen des von Expansionsgelüsten und Eroberungsdrang getrieben Pharao die Völker ringsum unterjochten und ausbeuteten. Die Statue entpuppt sich als Amneris, die Tochter des gottgleichen Herrschers, der ihr Dauer-Verlobter, ein gewisser Radames, einst Hörner aufgesetzt hatte.

Radames war kein unbedeutendes Kerlchen, sondern der militärische Führer der alles platt  walzenden ägyptischen Kriegsmaschine. Und er war strategisch äußerst geschickt und erfolgreich. Dummerweise verliebt er sich in Aida, eine nubische Prinzessin, von der er aber nicht weiß, dass sie eine solche ist. Er verschleppt die kaffeebraune Schönheit als Sklavin aus ihrer Heimat und macht sie seiner Verlobten zum Geschenk. Die tiefen Gefühle der beiden zu- und füreinander entwickeln sich erst allmählich, aber dann mit finaler Wucht. Erst fängt es ganz langsam an, aber dann ...

Zwei starke Frauen

Trotz des klassischen Liebes-Sujets ist das Musical Aida eher ein Stück über zwei gegensätzliche starke Frauen, die Nubierin auf der einen, und die Pharaonen-Tochter auf der anderen Seite. Aber es ist letztere (und nicht die Titelheldin), deren Profil im Stück am ausgeprägtesten ausfällt. In dieser (dankbaren) Rolle hatte sich Maricel bei der deutschen Erstaufführung in Essen seinerzeit den musicalischen Ritterschlag geholt. In Tecklenburg erweist sich die Niederländerin  Willemijn Verkaik als würdige Erbin der Hannoveranerin. Stimmlich wie von der Darstellung her ist das vokalstarke Meisje die dominierendste Persönlichkeit auf der Bühne. Verkaik  macht ihre Amneris zum unbestrittenen Star der Show: verwöhnt, verzogen, selbstverliebt, ein klein wenig unterbelichtet und nur auf modische Äußerlichkeiten fixiert. Ihre turbulente Modenschau („Mein Sinn für Stil“) ist einfach zum Brüllen und das urkomischte Element der gesamten Aufführung. Man hätte sich noch mehr von diesen comedyhaften Einfällen gewünscht, ebenso wie von der grandiose Gospel-Hymne zum Finale des erste Aktes, die die Sonne Nubiens aufgehen ließ. Ein Song, bei dem sich einem die Nackenhaare aufstellen.

Sand im Lebensgetriebe

Amneris zeigt sich mal komisch, mal verletzlich, mal arrogant, mal weinerlich und ein klein wenig schwer von Begriff, das aber stets in feinen Dosierungen. Erst ganz allmählich (und zu spät) reift die Erkenntnis, dass es auch jenseits von Schminke und teuren Klamotten noch Bedeutungsvolles und wirklich Wichtiges im Leben gibt. Als sie kurz vor der geplanten Hochzeit dahinter kommt, dass „ihr“ Radames mit der schwarzen Perle angebandelt hat, verurteilt sie die Beiden dazu, gemeinsam zu sterben. Sie schüttet viel Sand in deren Lebensgetriebe. Immerhin erweist sich die Blondine nach der Thronbesteigung – Papi war von Radames Vater Zoser vergiftet worden – als weise Herrscherin, was ihr niemand zugetraut hätte.

Aida - Prinzessin und Sklavin – aber immer majestätisch

Mit der ebenso hübschen wie talentierten Zodwa Selele ist er Part der gekidnappten nubischen Königstochter trefflich besetzt. Dass die Rolle quasi maßgeschneidert für sie ist, hatte die junge Südafrikanerin in selbiger bereits 2008 bei den Wörthersee-Festspielen bewiesen. Sie verleiht der Figur viel Würde und Authentizität. Ob als Prinzessin oder Sklavin, Selele agiert überzeugend und bewahrt stets majestätische Haltung. Nur ein einziges Mal bekommt ihre weiße Weste den Hauch eines Fleckens: als des intriganten Zosers Mordbuben in das Gefangenenlager eindringen, um die schwarze Prinzessin auftragsgemäß zu eliminieren. Da lässt Aida ihre treueste Freundin für sich den Kopf hinhalten, ohne auch nur den Versuch zu machen, ihre wahre Identität zu lüften. In Essen war das anders. Da musste Aida mehr oder weniger mit Gewalt von ihren Mitgefangenen zurück gehalten werden, damit sie sich nicht selbst ans Messer liefert.

Patrick Stanke als leidenschaftlicher Krieger Radames

Aidas Bühnen-Boyfriend Radames ist ein Feldherr wie aus dem Bilderbuch. Stark, selbstbewusst, bisweilen arrogant  - aber mit einer weichen Schale unter dem harten Kern. Selten hat man Patrick Stanke leidenschaftlicher und intensiver aufspielen sehen. Der Wuppertaler Überflieger bringt als ägyptischer Wüstenkrieger ja bereits hinlängliche Erfahrungen aus Essen mit und hatte als solcher im Colosseum die damalige Erstbesetzung alt aussehen lassen. In Tecklenburg legt der Vorjahres-Mozart noch einen Zahn zu und haucht seiner Figur mit starker  Stimme, großer, theatralischer Gestik und wuchtigem Agieren Leben und Glaubwürdigkeit ein.

Marc Clear, die Vielzweckwaffe der Tecklenburger Freilichtspiele, stand vor großen Fußstapfen. Die hatte sein Kollege Kristan Vetter weiland als Chef-Intrigant und Radames-Papi „Zoser“ hinterlassen. Doch mit „fiesen“ Rollen kennt sich auch der Brite bestens aus. Und so machte der Wahl-Däne unter den Herren der Schöpfung neben Stanke die mit Abstand beste Figur, stimmlich wie darstellerisch. Sein „Zoser“ ist denn auch der am stärksten und am glaubwürdigsten ausgebildete Charakter, ein skrupellosen Strippenzieher, der seinen Bub (als Marionette) unbedingt auf dem Pharao-Thron sehen möchte und dabei über Leichen geht. Er verordnet dem „Sohn der Isis“ eine Langzeit-Therapie mit Arsen, was dieser nicht überlebt. Aber auch Zosers Lebenskerze wird jäh ausgeblasen. Die anderen Charaktere sind weniger entwickelt. So erhalten Ansgar Schäfer (als siechender Pharao), Thada Suanduanchai (Radames’ Haus-Faktotum Mereb) , Mario Mariano (Aidas Vater und König von Nubien) und Milica Jovanovic (Nehebka) nicht so viel Gelegenheit, ihre Potentiale auszuleben.

Bühnenbilder und Kulisse (Susanna Buller) sind schlicht, aber funktionell, das Lichtdesign stimmungsvoll, atmosphärisch dicht, aber nie aufdringlich oder gar überladen. Eine besonderen Pep bekommt diese Inszenierung noch durch die rasante, ideenreiche Choreografie von Doris Malis, während Karin Alberti (Kostüme) ihrem inzwischen schon legendären Ruf als „Coco Chanel des Musicals“ wieder alle Ehre macht.

Das Musical Aida steht in Tecklenburg bis September 2009 auf dem Spielplan. Am 05.09.2009 geht die Sonne Nubiens über dem Münsterland letztmals auf und unter. Wer auf gute, niveauvolle und packende Unterhaltung steht, sollte die Gelegenheit nutzen und sich von ihr bräunen lassen.

© Text by Jürgen Heiman; Fotos by Heiner Schäffer

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