Sie befinden sich hier: Theater / Darsteller / Interviews / M-R / Martin, Felix / Musicals & More
Theater




Anzeige


1911_KDL_HAM_160x600
Anzeige
Anzeige
Anzeige


Felix Martin und Die unstillbare Gier seiner Fans

Interview mit Musical-Darsteller Felix Martin

Musical-World: Du beginnst Dein Konzert Musicals & More mit »Wer versteht, was Liebe ist?« aus Webbers Aspects of Love. War die Rolle des Alex der Beginn Deiner Karriere?

Felix Martin: Meine Karriere begann schon früher. Bei der Musical-Show »Elvis – Stationen einer Karriere« habe ich mit 21 Jahren in Berlin schon eine große Rolle gespielt. Das war ein schöner, unverhoffter Erfolg. Dadurch habe ich mir selber die Latte schon sehr hoch gesteckt denn ich wollte auf diesem hohen Niveau bleiben. Mehr durch Zufall erfuhr ich, dass 1986 ein junger Musiker für eine Familienserie gesucht wurde. Ich spielte auf meiner Gitarre den Produzenten etwas vor und hatte danach die Rolle des Duffy in »Ich heirate eine Familie« mit Peter Weck – ich wusste damals gar nicht, dass die Serie so erfolgreich war und jetzt entdecken meine Fans, die ja immer auf der Suche sind, die Serie neu auf DVD.

Es folgte der Marius im MusicalLes Miserables in Wien und dann der Alex, für den ich den Image Award erhielt. Das war eine besondere Anerkennung für eine recht komplexe Rolle in einem ungewöhnlichen und intimen Stück von Andrew Lloyd Webber, von dem man solch eine sperrige Musik gar nicht erwartet. Nur diese Hymne ist eingängig, der Rest der Musik ist schwer von der Rhythmik und unmelodisch, was aber sehr gut zu dem doppelbödigen Stück mit den verschlungenen Liebesbeziehungen passte. »Aspects« lief sehr erfolgreich damals in Dresden. Bedauerlich, dass es nicht mehr in Deutschland aufgeführt wird, nur in Bern gab es noch eine Produktion. Das Stück braucht ein großes Orchester, was an den Stadttheatern in den üblichen Drei-Sparten-Häusern durchaus vorhanden ist. Alles dreht sich um die fünf tollen Hauptcharaktere, es gibt keine großen Massenszenen oder Tanzeinlagen. Es ist aber sehr schwer einzustudieren und ich bin froh, dass ich das gemacht habe.

Musical-World: Vielleicht gibt es eine Renaissance des Stückes, wenn es nach langer Planung endlich einmal verfilmt werden sollte. Wie denkt man als Bühnendarsteller über Musicals im Kino?

Felix Martin: Ich habe neulich erst die Verfilmung von Rent gesehen. Es ist schwer, Kino und Bühne zu vergleichen. In den deutschen Kinos liefen Rent und The Producers eigentlich gar nicht gut, in Deutschland gibt es für Musicals im Kino so gut wie keinen Markt, höchstens wenn Madonna mal Evita spielt. Auch das Phantom der Oper oder Chicago haben niemanden ins Kino gelockt. Opern- und Musicalverfilmungen haben nur ein kleines, sehr spezielles Publikum und werden nie ein riesiger Hit werden. 

Musical-World: Alternativ werden immer mehr Stücke direkt im Theater aufgezeichnet wie Elisabeth in Wien. Auch Dein Konzert in Oberhausen wurde mit mehreren Kameras aufgenommen. Gibt es bald eine DVD?

Felix Martin: Es gibt Überlegungen in diese Richtung, aber man wird erstmal sehen müssen, wie die Aufzeichnung geworden ist. Das Konzert im Ebertbad war für eine DVD auch zu lang, doch das kann man schneiden. Die CD wird höchstwahrscheinlich mit den Höhepunkten des Abends noch vor Weihnachten erscheinen mit den Stücken, die es bisher von mir nicht auf CD gab. Obwohl es natürlich auch spannend ist, altbekannte Studioaufnahmen mit dem Live-Erlebnis eines Konzerts mit der Atmosphäre des Publikums zu vergleichen. Wir werden sicherlich einen spannenden Mix zusammenstellen. Bevor wir eine DVD herausbringen, möchte ich das Konzert erst noch häufiger spielen, damit die Leute nicht sagen, das hätten sie schon auf DVD gesehen. Es ist natürlich auch schöner, wenn man sich aus einigen verschiedenen Konzerten das Beste herauspicken kann. Die Aufnahme, die wir in Oberhausen gemacht haben, ist eher für Promotionzwecke gedacht. 

Musical-World: Ist man nervöser, wenn das Konzert aufgezeichnet wird?

Felix Martin: Natürlich ist man sich bewusst, dass alles aufgezeichnet wird, aber ich ändere deswegen nicht mein Programm oder reagiere anders. Mit oder ohne Aufnahme ist ein Solokonzert ein ganz besonderer Anlass und man ist schon aufgeregt. In Oberhausen habe ich zum fünften Mal »Musicals & More« gezeigt, aber wieder in einer neuen Variation. Hier war es größer als in Hamburg, man konnte mehr mit Licht und Nebeleffekten arbeiten. Und auch das Programm war anders – mit »Grease« und »West Side Story« wäre der Abend sicher viel zu lang geworden und man möchte sich auch noch etwas für andere Konzerte aufheben. Ich habe an diesem Abend einen Song vom Krolock mehr gemacht, weil das Publikum das verlangte. Einige Stücke sind natürlich in jedem Konzert fester Bestandteil, weil mein Publikum die einfach immer hören möchte. Eigentlich wollte ich »Rocky Horror« nie im Konzert machen, weil das so anders ist und eigentlich nur in anderer Garderobe funktionieren kann, doch das ist mittlerweile ein Knüller, den man von mir erwartet – und eine Federboa reicht eigentlich schon, um das Bild von Frank N Furter heraufzubeschwören. Das ich mich komplett umziehe, ist in einem Solokonzert eigentlich nicht nötig, ich mache ja keine komplette Show mit Kostümen. Aber diese Kleinigkeiten, die Requisiten aus dem Koffer, das hat sich mit der Zeit entwickelt und funktioniert wunderbar.

Vor zwei Jahren als ich dieses Programm zum ersten mal zusammengestellt habe, habe ich einige Teile hinter dem Flügel versteckt – jetzt mache ich es ganz bewusst offen in einem Koffer und deute mit den Kleinigkeiten wie der Elvisbrille, den Schals, dem Hut und dem Telefon etwas an. Da wird es in Zukunft sicherlich noch neue Entwicklungen geben. Nachdem ich zwei Jahre in Hamburg »Tanz der Vampire« gespielt hatte, erwarten die Fans als Höhepunkt des Abends natürlich »Die unstillbare Gier« und das mache ich sehr gerne. Aber es gibt auch die anderen Songs, die man nicht von mir kennt und sich fragt, was war denn das? Ich bin sehr froh, dass auch der parodistische Teil beim Publikum sehr gut ankommt, denn die Fans kennen mich bisher nur aus den festgelegten Rollen in starren Inszenierungen. Es ist schön, dass ich den Entertainer spielen darf, neue Seiten von mir zeigen kann und auch einige persönliche Erlebnisse aus meiner Karriere mit verarbeite. Bei den Zugaben bin ich relativ frei und kann je nach Atmosphäre des Abends andere Titel auswählen.

Mit der Reihe »Musicalstars in Concert« wird jedem Künstler die Möglichkeit gegeben, dem Publikum zu zeigen, wer hinter den Rollen, die er auf der Bühne gespielt hat, steht. Man spürt als Künstler die Vorfreude und das Kribbeln des Publikums und will die Erwartungen natürlich auch erfüllen. Wer mich schon in Hamburg gesehen hat und beschließt nach Oberhausen zu fahren, erwartet zu Recht, das ich mich voll ins Zeug lege und nicht auf Sparflamme etwas abspule. Routine ist auch in großen Shows nicht gut, der Funke muss zum Publikum überspringen und das muss der Künstler erreichen. Das Programm ist von mir selbst zusammengestellt und es sind Sachen dabei, die mich richtig fordern – auch stimmlich. Ich war schon angespannt vor dem Konzert und bin sehr zufrieden, dass sich das so schnell gelöst hat, besonders in den Zwischenmoderationen. Die Songs sind fest geprobt, der rote Faden dazwischen ist aber nicht auswendig gelernt. Der Spagat, von der Moderation wieder in die erzählte Geschichte eines Musicals hineinzukommen und anschließend einen Udo Jürgens Song zu interpretieren, ist nicht ganz einfach. Und dass plötzlich Inge Meysel zu Besuch kommt, erwartet der Besucher eines Musical-Konzerts sicherlich auch nicht. Ich habe Inge Meysel schon früher parodiert und mache dies in dem Block, in dem ich erkläre, wie man sich einer neuen Rolle nähert, ein Gefühl für eine andere Person entwickelt und Stimmen nachahmt oder auch Dialekte interpretiert. Ich habe Inge Meysel schon zweimal in meinen Konzerten eingebaut und natürlich kennen dies schon einige Fans und freuen sich darauf, was in dem Gespräch nun dieses mal passiert. Das leitet dann auch zu der Elvis-Nummer über, die auch in die Richtung geht, wie man sich als Schauspieler in einen anderen Charakter versetzt.

Musical-World: Bei Deinem Konzert wurde wieder einmal deutlich, dass die Rolle des Grafen Krolock aus »Tanz der Vampire« ein Magnet für Fans ist. Was fasziniert an diesem Charakter?

Felix Martin: Die Zahl meiner Fans hat sich bei meiner Zeit als Graf Krolock tatsächlich verdreifacht. Es gibt Stücke, die sind für Fans besonders attraktiv, dazu gehören »Elisabeth« und »Tanz der Vampire«, vielleicht auch noch »Phantom« und »Les Miserables«. Der Fangemeinde gefallen die düsteren und geheimnisvolleren Stücke besser, dafür muss man kein Gruftie sein. Die gefährliche Bedrohlichkeit der Hauptrollen ist anziehend. Auch bei »Jekyll & Hyde« oder »Die Schöne und das Biest« gibt es diesen mysteriösen Mann, dem ein unschuldiges Mädchen wie die Sarah oder die Christine gegenüber steht und Hin- und Hergezogen ist zwischen Abscheu und Faszination. Das übt besonders einen Sog auf die weiblichen Fans aus. Der Krolock ist aber auch eine mit Bildern überfrachtete Rolle mit fast philosophischen und gar nicht so trivialen Texten und das kommt sehr gut an. Ich bin gespannt, wie sich die neue Fassung der »Vampire« in meiner Heimatstadt Berlin etablieren wird. Sollte diese Produktion auf Tournee gehen, werde ich vielleicht mit mehr Abstand zur Hamburger Zeit mal wieder den Krolock spielen. Berlin ist aber anders als die Musicalstadt Hamburg mit ihren drei etablierten Häusern, nicht so wohlhabend und es gibt viele andere Veranstaltungen, die es Musicals in Berlin sehr schwer machen.  In Hamburg verbinden Touristen den Musicalbesuch am Abend mit Sightseeing im Hafen, Reeperbahn und Schoppen. Deshalb ist Hamburg eine so erfolgreiche Musicalstadt. Da hat Berlin noch etwas nachzuholen. Vielleicht braucht Berlin aber auch mal eine exklusive Weltpremiere, eventuell sogar mit einem typisch berlinerischen Stoff. Dort braucht man keinen Kostümschinken, der schon woanders in Deutschland sehr gut gelaufen ist, sondern etwas Moderneres und Frischeres. Die Entwicklung einer neuen Großproduktion dauert Jahre, ich bin selbst gerade wieder in so etwas involviert, da gibt es Workshops, damit sich das Team einigt, und trotzdem werden Rollen wieder überarbeitet und geändert. Bis das auf die Bühne kommt, vergeht ein langer Entwicklungsprozess. Vielleicht hat man sich in den letzten Jahren zu sehr auf die Importe aus anderen Ländern verlassen, die thematisch aber gar nicht so gut nach Deutschland passen. »The Producers« wird wohl gar nicht nach Deutschland kommen und deshalb sind neue Stücke wie »Rebecca« in Wien auch für Deutschland so wichtig. Im Moment versucht man einfach, mit dem, was da ist, die Theater zu bespielen. 

Musical-World: Du hast Dich in letzter Zeit eher auf Konzerte konzentriert…

Felix Martin: Ich habe bei den langfristigen Rollen immer versucht, Charaktere auszuwählen, die zu mir passen und wo die Musik und das Stück stimmen. Ich nehme mir auch schon mal die Freiheit und sage, dass mich eine Rolle nicht interessiert, wenn ich das Gefühl habe, mich in der Rolle nicht wohl zu fühlen. Ich möchte versuchen, ein gewisses Level zu halten, wie z.B. beim Tod in »Elisabeth« oder dem Colloredo in »Mozart«. Denn auch wenn »Mozart« kein großer Publikumserfolg wurde, stimmte doch die Qualität und die Musik von Levay und Kunze. Ich würde keine Rolle annehmen, nur um mal wieder in einer En Suite-Produktion auf der Bühne zu stehen, da gehört schon mehr dazu. Es gibt auch wundervolle Stadttheaterproduktionen, z.B. Musicalkomödien von Cole Porter, zu denen auch Darsteller als Gäste eingeladen werden. Wenn der Regisseur passt und die Produktion gut ist, würde ich auch gerne wieder so etwas machen. Die größte Gefahr bei Langzeitengagements ist, dass man nicht mehr seine gesamte Energie für die Rolle gibt – und da ist immer ein Partner mit dem man zusammen spielt. Stellvertretend für alle Darsteller möchte ich Maya Haakvoort erwähnen, mit der ich an jedem Abend eine neue Spannung beim Schauspiel aufbauen konnte, mit der ich auf der Bühne im wahrsten Sinne gemeinsam atmen konnte. Da spielt man sich die Bälle gegenseitig zu. Auch mit Yngve Gasoy-Romdal fiel es mir immer leicht, die Vorstellung zu spielen, gerade weil immer einige Kleinigkeiten anders waren, als am Tag zuvor. Da wird nicht einfach nur die Rolle abgehakt, wie es leider bei einigen Kollegen manchmal der Fall ist. »Les Miserables« lebt von seinen Ensebleszenen, da kann man als Schauspieler nicht dem Irrtum verfallen, dass man auf den Barrikaden nur als Schatten wahrgenommen wird. Selbst mit dem Rücken zu Publikum darf man nicht die Körperspannung verlieren. Sein eigenes Solo zu singen, ist meist gar keine große Kunst. Dem anderen auf der Bühne zuzuhören und im Duett mit dem Partner wirklich zu kommunizieren, wird heute an den Musicalschulen gar nicht mehr groß geschrieben. Ein Schauspieler darf auf der Bühne keine Pausen machen, denn selbst der Zuschauer in der letzten Reihe bemerkt eine falsche Atmosphäre. Vielleicht werden deshalb einige Kollegen nie über ihre Ensemblerollen hinauskommen.

Leider herrscht auch immer noch die Meinung, Musical sei nur leichte Unterhaltung und keine Kunst. Auch von Opernsängern wird man als Musicaldarsteller meist mit Herablassung bedacht. Musical ist eine völlig andere Kunstform als die Oper: wir müssen anders atmen, belten (engl.: schmettern, Gesangstechnik von Musicaldarstellern, Anmerkung der Redaktion) und viel deutlicher singen. Es ist Schade, dass wir Musicaldarsteller immer nur als trällernde Hüpfer gesehen werden. Vielleicht sind wir an diesen Vorurteilen auch nicht ganz unschuldig – aber es gibt auch bei der Oper oder dem Tanztheater viele schlechte Inszenierungen und Darsteller.
Ich sehe mich als singender Schauspieler, nicht primär als Sänger oder Tänzer. Ich bevorzuge eher die Musicaldramen als Shows wie »Cats« oder »A Chorus Line«, denn mein Schwerpunkt ist das Schauspiel und der Gesang und weniger der Tanz.
Ich freue mich, jetzt die Zeit für meine Konzerte zu haben, denn einen Soloabend schüttelt man sich nicht nebenbei aus dem Ärmel. Wenn man auf zu vielen Hochzeiten tanzt, wird man sich irgendwann die Reserven einteilen und dem Publikum nicht mehr die volle Konzentration bieten können. Ich freue mich, Konzerte in meiner Heimatstadt Berlin, Köln und wieder Hamburg zu geben und mich voll darauf konzentrieren zu können.

Musical-World: Vielen Dank für dieses offene Gespräch und viel Erfolg bei Deinen Soloprojekten.

© Interview & Fotos by Stephan Drewianka; Dieses Interview ist ebenfalls in der Zeitschrift Blickpunkt Musical, Ausgabe 06/06 November-Dezember 2006 erschienen.

Alles zu Felix Martin bei Sound Of Music!