Sie befinden sich hier: Theater / Darsteller / Interviews / G-L / Hübbertz-Ivartnik, Benjamin
Theater




Anzeige


1911_KDL_HAM_160x600
Anzeige
Anzeige
Anzeige


Wie ein Mystical entsteht: Schlüssel-Fragen an die Gründer des Musical-Vereins P.R.O.-Y.O.U.

Benjamin Hübbertz-Ivartnik und Sebastian Ivartnik im Interview zur Premiere des Musicals Der Schlüssel

Vom 17. bis 26. Oktober 2014 präsentiert der Musical-Amateur-Verein P.R.O.-Y.O.U. e.V. sein viertes und bisher aufwändigstes, abendfüllendes Bühnenstück, das Mystical „Der Schlüssel“. Musical-World besuchte die Autoren des selbstkomponierten Fantasy-Musicals Benjamin Hübbertz-Ivartnik und Sebastian Ivartnik am 15.06.14 zur ersten Probe am Spielort in der Rheinhausen-Halle in Duisburg zu einem Interview.

Der Musical-Amateur-Verein PRO-YOU

Musical-World: Was ist PRO-YOU und was ist das Besondere an Eurem Verein?

Benjamin Hübbertz-Ivartnik: PRO-YOU e.V. ist ein gemeinnützig eingetragener Verein, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, selbstgeschriebene und selbstkomponierte Musicals mit Menschen wie „Du und Ich“ auf die Bühne zu bringen. Den Verein gibt es seit 2007. Das Besondere ist, dass es keine Zugangsvoraussetzungen bei uns gibt. Jeder ist willkommen und darf bei uns seine Talente entdecken. Egal ob in den klassischen Musicalkategorien Gesang, Tanz und Schauspiel oder in der Maske, dem Kostüm- oder Bühnenbild. In jedem steckt ein Talent und PRO-YOU soll dabei helfen, es zu entdecken und zu fördern.

Musical-World: Ihr investiert fast Eure gesamte Freizeit in diesen Verein – was bekommt Ihr zurück?

Sebastian Ivartnik: Nein, wir investieren unsere gesamte Freizeit in diesen Verein und die Stücke. (lacht)

Benjamin Hübbertz-Ivartnik: Was bekommt man zurück? Man begegnet vielen Menschen und lernt ein Stück weit, mit den facettenreichen Persönlichkeiten umzugehen. Jeder ist anders. Das ist gut so, aber auch mindestens so anstrengend. (lacht) Es ist schön zu sehen, wie sich manche über die Zeit hinweg entwickeln. Es gibt Mädchen, die im zarten Alter von 12 bis 13 zu uns gekommen sind und heute gestandene Frauen im Berufsleben sind. Man wächst mit vielen Mitgliedern, aber auch an ihnen. Manche kommen auf uns zu und sagen uns, dass sie durch uns und unsere Arbeit mehr Selbstbewusstsein erlangt haben. Das ist schon sehr schön, wenn man dazu seinen Beitrag geben durfte. Wonach es uns natürlich allen dürstet, ist das Geräusch von tosendem Applaus und stehenden Ovationen. Ein begeistertes Publikum tilgt der ganzen Mühe Schuld. Daher gehen wir am Ende jeder Show auch immer direkt ins Foyer zum Publikum und holen uns unser Feedback ab. Was war gut? Was weniger? Was können wir besser machen?

Finanzierung der PRO-YOU Musicals

Musical-World: Wie finanziert Ihr Eure Musicals?

Sebastian Ivartnik: Mit den Mitgliedsbeiträgen, die wir bewusst sehr niedrig halten, finanzieren wir unsere laufenden Kosten wie Lagerhalle und Probenräume. In regelmäßigen Abständen veranstalten wir eine Gala mit dem Titel „Talent trifft Leidenschaft“. Hiermit und diversen kleineren Spenden finanzieren wir unsere Stücke. Für den „Schlüssel“ war es sehr hilfreich, dass die Sparkasse Duisburg und die Deutsche Bank Oberhausen, wie auch diverse Privatspender einen Beitrag zur Realisierung beigesteuert haben.

Die Idee zum ersten Musical Flügel

Musical-World: Wie kam die Idee zu Eurem ersten Musical „Flügel“?

Benjamin Hübbertz-Ivartnik: Sebastian wollte damals Musical in Hamburg studieren. Er hatte damals die Aufnahmeprüfung bei der Stella bestanden und war angenommen worden. Dann wuchsen jedoch Zweifel in ihm, was in 20 Jahren sein würde. Kein Job? Kein Geld? Also musste eine solide Berufsausbildung her. Ich bemerkte jedoch die Wehmut bei Sebastian und komponierte und schrieb ihm einen Song zum Valentinstag. Sebastian gefiel dieser Song so gut, dass er sagte, er klinge wie ein Musicalsong und motivierte mich, weitere Songs zu schreiben. So entstand die Idee, ein Musical zu komponieren. Es sollte ein Stück sein, welches sich mit dem Thema Glauben und Homosexualität befasst. Es sollte ausdrücken, dass Gott uns genau so gewollt hat wie wir sind und dass es keine Religion geben darf, die einem Menschen ein gottgegebenes Recht, zu leben wie er ist, aberkennen darf.

Musical-World: Was machte den Erfolg von „Flügel“ aus?

Sebastian Ivartnik: Zum einen vielleicht, die Tatsache, dass da zwei Männer am Ende der Show knutschend auf der Bühne standen? Es war vielleicht genau dieser Tabubruch, der vielen Menschen, auch Nichthomosexuellen, Hoffnung machte.

Musicals Verliebt Verlobt Verlassen und Das Lazarett

Musical-World: Was war die Idee hinter den Folgestücken „Verliebt, Verlobt, Verlassen“ und „Das Lazarett“?

Benjamin Hübbertz-Ivartnik: Nach dem recht ernsten Fantasy-Thema in „Flügel“ wollten wir gern etwas Lustiges auf die Bühne bringen. Allerdings sollte dies nicht nur eine Comedy Story sein, sondern auch noch eine tiefere Aussage haben. Bei „VVV“ war dies dann, „Nutze jeden Augenblick deines Lebens und Lebe deinen Tag so, als wäre es der letzte“. Beim „Lazarett“ wollten wir unserem Vereinsmitglied Markus Schilling, welcher das Buch und die Texte geschrieben hatte, die Chance geben, sein Stück auf einer Bühne zu präsentieren. Ich habe ihm dann die Musik komponiert, welche er benötigte. Das war zwar sehr schwierig für mich, da ich zum ersten Mal Musik auf die Gefühle und Gedanken eines anderen schreiben musste. Das Ergebnis hat mich jedoch sehr zufriedengestellt. Und auch das Publikum hat gezeigt, dass sich der Mut, ein Stück mit dem Thema Liebe und Vergebung im zweiten Weltkrieg zu zeigen, gelohnt hat.

Eigenproduktionen mit Kreativität und Visionen

Musical-World: Im Gegensatz zu anderen Amateurvereinen schreibt Ihr Eure Stücke selbst, warum?

Benjamin Hübbertz-Ivartnik: Weil es einfach schön ist, in allem selbst kreativ zu sein. Und nachmachen ist bekanntlich leichter als selber machen. Wir sind beide sehr kreative und visionäre Köpfe und genießen es einfach, uns neu zu erfinden und Neues auszuprobieren.

Musical-World: Ist das Risiko einer Eigenproduktion höher?

Sebastian Ivartnik: Natürlich, weil man den Zuschauer erst einmal von der Story und der Musik überzeugen muss und nicht auf einen Bekanntheitsgrad des Stückes zurückgreifen kann. Würden wir  „Tanz der Vampire“ spielen, würde allein der Name schon dafür sorgen, dass Menschen, die das Original gesehen haben, auf uns aufmerksam würden. Zumindest wären sie schneller bereit, eine Karte zu kaufen. Bei unseren Eigenproduktionen kauft der Zuschauer die Katze im Sack.

Erfolg durch Mundpropaganda plus Stammpublikum

Musical-World: Wie macht Ihr auf Euch aufmerksam?

Sebastian Ivartnik: Seit geraumer Zeit im Internet via Facebook. Seit Jahren haben wir aber auch schon eine Homepage. Doch das wichtigste ist die Mundpropaganda durch das Stammpublikum. Natürlich machen wir auch Promotion auf Stadtfesten etc. Zuletzt waren wir bei der „Sommernacht des Musicals“ im Vorprogramm, wo wir dann auch immer fleißig Flyer verteilen.

Zur Premiere des Musicals Der Schlüssel

Musical-World:  Was ist das Besondere an „Der Schlüssel“ und worum geht es?

Benjamin Hübbertz-Ivartnik: Das Besondere ist, dass es für uns die größte Produktion mit dem opulentesten Bühnenbild ist, die wir je auf eine Bühne gebracht haben. Zudem ist es auch das erste Stück, für das wir, neben der Kulisse, auch alle Kostüme selber genäht haben. Besonders wichtig ist für uns, dass die Heldin des Stückes ein Kind ist, welche das Schicksal aller Welten in ihren Händen hält. Denn auch in unserer Welt halten die Kinder die Zukunft in ihren Händen. Außerdem ist „Der Schlüssel“ das erste durchkomponierte Stück von uns und verlangt daher äußerste Präzession von allen Darstellern.

Musical-World: Wie seid Ihr auf die Idee gekommen, ein Mystical auf die Bühne zu bringen?

Sebastian Ivartnik: Wir sind beide große Fantasy Fans und haben des Öfteren im Kino gesessen und uns vorgestellt, wie solche Geschichten auf Bühnen wirken würden. Nachdem dann „Lord of the Rings“ als Musical lief und wir einige Bilder gesehen haben, packte uns der Wunsch, ein Mystical auf die Bühne zu bringen.

Maske, Kostüme und Bühne

Musical-World: Ist das mit Maske, Kostümen und Bühne nicht besonders aufwendig?

Sebastian Ivartnik: Ja, und wie. Für viele Rollen werden Latexapplikationen und Perücken gebraucht und die Kostüme sind sehr aufwändig gestaltet. Besonders die Satyre und Niphren haben es nicht einfach, da sie auf Stelzen laufen müssen. Die Nächtler, welche unter viel Fell gepackt sind, müssen einiges an Schweiß ertragen, da es schnell heiß unter den Kostümen wird. Die Geschichte verlangt viele Ortswechsel, daher haben wir ca. 20 unterschiedliche Bühnenbilder und Szenen. Das ist schon sehr aufwendig, wenn man die Größe und den Raum hinter der Bühne der Rheinhausenhalle bedenkt. Es bleibt tatsächlich kaum ein Zentimeter ungenutzt.

Die Musik

Musical-World: Wie produziert Ihr die Musik (Playback)?

Benjamin Hübbertz-Ivartnik: Teure Software + Musikprogramm + Gefühl und Leidenschaft = Musik die hoffentlich unter die Haut geht. Man sehe uns nach, dass wir jetzt keine Firmenwerbung betreiben.

Die Proben

Musical-World: Wie lange probt Ihr für ein Stück?

Sebastian Ivartnik: Das ist unterschiedlich, je nach Aufwand des Stückes. Für den „Schlüssel“ begannen die offiziellen Proben im März 2013. Allerdings wurden bereits seit 2010 einzelne Lieder und Szenen mit einzelnen  Darstellern einstudiert und bei Galaveranstaltungen präsentiert

Besetzung der Rollen

Musical-World: Wie besetzt Ihr die Rollen, gibt es Cover?

Benjamin Hübbertz-Ivartnik: Es gibt Charakterrollen, Rollen mit stimmlichen Ansprüchen und Rollen die auf den Leib geschrieben wurden. Nach vielen Jahren Zusammenarbeit weiß man einzuschätzen, wer welcher Aufgabe gewachsen sein könnte. Zu jeder Besetzung gibt es mindestens ein Cover vom Solisten bis zum Ensemble.

Musical-World: Was passiert, wenn junge Darsteller austeigen?

Sebastian Ivartnik: Chaos, Neubesetzung, Tränen, Akquise neuer Darsteller oder das berühmte Nachrückverfahren.

Musical-World: Mir ist aufgefallen, dass einige Mitglieder schon lange dabei sind und sich permanent verbessert haben – wer sind die treuesten Mitglieder?

Benjamin Hübbertz-Ivartnik: Sonja Alefs, Dennis Schmidl, Melanie Heidt, Mareike Janß, Benjamin und Sebastian sind seit 2003 dabei. Ein weiterer großer Schwung kam 2006 dazu und ist bis heute mit dem Verein verwurzelt.

Musical-World: Was passiert nach den ersten Aufführungen von „Der Schüssel“?

Sebastian Ivartnik: In Abhängigkeit der Resonanz des Publikums im Oktober und den Bedürfnissen des Ensembles wäre eine zweite Spielzeit in 2015 denkbar.

Musical-World: Würdet Ihr Eure Stücke auch an ein Stadttheater verkaufen, die es dann eventuell ohne Euer Zutun aufführen würden?

Benjamin Hübbertz-Ivartnik: Schon sehr gerne, wenn sich jemand für unsere Stücke interessiert. Sicher wäre es für uns schwierig, wenn ein Regisseur andere eigene Ideen umsetzt, auf die wir keinen direkten Einfluss mehr nehmen können. Aber eventuell macht das auch gerade den Reiz aus, zumal wir selbst das Stück ja von Anfang an entwickelt haben und eventuell eine „Betriebsblindheit“ entwickelt haben.

Musical-World: Was kommt nach „Der Schlüssel“?

Sebastian Ivartnik: Mindestens 1 Jahr kreative Erholungsphase und Urlaub.

Musical-World: Wird es ein Wiedersehen mit alten Stücken geben?

Benjamin Hübbertz-Ivartnik: Es wäre denkbar und nicht von der Hand zu weisen, dass dies möglich wäre. Wenn man bedenkt, dass „Flügel“ bald 10 jähriges Jubiläum feiert (Mein Gott sind wir älter geworden). Konkrete Pläne hierzu stehen allerdings noch nicht, nur Gespräche.

Musical-World: Wir wünschen alles Gute für die Premiere von „Der Schlüssel“!

© Text & Fotos: Stephan Drewianka, dieser Bericht erschien in verkürzter Fassung auch in der Musical-Fachzeitschrift Blickpunkt Musical 05-14 - Ausgabe 72 (September-November 2014)