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Musical-World fragt nach bei Jan Ammann

Großes Interview mit Musical-Star Jan Ammann

Mitten in den Proben zu Jekyll & Hyde trafen wir Hauptdarsteller und Ex-Ludwig II Jan Ammann in Bad Hersfeld zu einem Interview. Wir fragten den gelernten Tischler, der sein Geld zwischenzeitlich auch als Model für edle Mode verdient, wie der ausgebildete Opernsänger von Verdi zu Wildhorn gekommen ist.

Musical-World: Wie sind Sie als junger Mensch zur klassischen Musik gekommen?

Jan Ammann: Ich bin schon in der Schule auf einem sehr musikalischen Weg aufgewachsen. Im Schulchor hatte ich Lunte gerochen und mein Chorleiter meinte, ich solle richtigen Unterricht nehmen. Das hat tierisch Spaß gemacht. Von da an wusste ich bereits, dass ich Sänger werden wollte. Bei Mama und Papa habe ich die »Winterreise« von Fischer-Dieskau im Regal stehen sehen. Ich fand die Gedichte so schön und habe ganz frech immer mitgesungen. Ich habe vor der Stereoanlage gelegen und mir vorgestellt, was der Sänger da gesungen hat. Bei diesen vertonten Gedichten ist immer der Inhalt da.

Von der Klassik zum Musical

Musical-World: Und wie kommt man von der Klassik zum Musical?

Jan Ammann: Das war meine Neugier, was Schauspiel angeht. Ich habe schon sehr früh Gesang studiert und dabei das Glück gehabt, mit den richtigen Leuten zu arbeiten. Schon vor dem Studium habe ich recht gut gesungen und hatte deswegen Stipendien bekommen. Ich bin in die klassische Schiene gerutscht, weil ich in München mein Opern-Diplom machen und danach auch der Oper treu bleiben wollte. Aber während des Studiums stellte ich fest, dass es nur um Kehl-Fertigkeit ging und wir kaum schauspielerische Aktion hatten. Inhalte, die ich auch physisch umsetzen konnte. Bei der Oper ist man eher Interpret und das hat mich gestört. Beim klassischen Lied finde ich das ganz toll und für mich gibt es nichts Schöneres als ganz minimalistisch mit nur einem Klavier ein Gedicht in Liedform vorzutragen. Aber wenn ich in einer Oper Inhalte vermitteln will wie z.B. bei La Boheme oder im Musical Rent, muss ich auch in der Lage sein, das schauspielerisch richtig spielen zu können. Ich bemerkte, dass mir das Werkzeug, das mir als Sänger zur Verfügung stand, beim Schauspiel fehlte.

Ich hatte immer wieder mal Musicals gehört und fand es aufregend, dass Musical immer echt war, obwohl es gesanglich vielleicht nicht immer astrein war, wenn man den klassischen Gesang zu Grunde legt. Die höchste Maxime war nicht der perfekte Ton, sondern Inhalt und Gefühl zählten mehr. Die Aktion zum Ton fehlte mir in der Klassik und so bin ich sehr schnell bei Ludwig II gelandet. Ich hatte während meines Studiums in der West Side Story den Tony gespielt – das war ja schon Musical, aber ich hatte das immer damit abgetan, dass es Bernstein ist, der ja einer der besten klassischen Dirigenten war. Das war die erste Brücke ins Musical und es war mit Tanz, was ich ganz toll fand. Ich wollte als Tony unbedingt den Mambo mittanzen und der damalige Choreograf hat mich gelobt, dass ich mich als Mann so gut bewegen konnte. Und da merkte ich, dass mir dieser physische Aspekt in der Oper fehlte. Ich war damals zwar noch jung, aber für eine Tanz- und Schauspielausbildung war es schon der letzte Zapfenstreich, denn das sollte man ziemlich früh tun. In der Beziehung war ich ein Spätzünder und hatte Glück, dass ich die Kurve noch gekriegt habe.

Amerika als Herausforderung

Musical-World: Sie sind während der Ausbildung auch immer wieder nach Amerika gegangen. Gibt es in Deutschland keine fundierte Ausbildung?

Jan Ammann: Die gibt es schon in Deutschland, aber ich hatte die Möglichkeit, nach Amerika zu gehen. Für mich war es auch interessant, einmal eine andere Perspektive zu sehen. Ich konnte mich dem europäischen Tunnel entziehen und meinen Horizont erweitern. Ich fand es interessant, einmal die noch kommerziellere Art und die noch technischere Sicht des Schauspiels zu sehen. Ich weiß nicht, ob das besser oder schlechter ist. Ich hatte Improvisationstheater und das in einer fremden Sprache. Da merkte ich, was ich nicht kann. Beim Improvisieren muss man auf der Bühne entspannt sein, eine gewisse Coolness an den Tag legen und dann eine Entscheidung treffen, die spontan ist. Sonst geht jede Authentizität verloren. Als Europäer ist man kopflastiger und der »Deutsche« mit Schiller & Co. sogar noch mehr. Man denkt erst mal, bevor man handelt. In Amerika ist man sehr praktisch veranlagt und setzt erst mal alles um, was sicherlich der kommerziellere Weg ist.

Jan Ammanns erste große Rolle im Musical Ludwig II in Füssen

Musical-World: Das Musical Ludwig II war in beiden Inszenierungen auch kommerziell ausgelegt. Was sind Ihre schönsten und schlechtesten Erinnerungen an diese Zeit?

Jan Ammann: Die erste Version war eher klassisch, fast schon Wagner und wesentlich kopflastiger angelegt, die zweite eher filmisch inspiriert. Beide Zeiten waren toll für mich. In der ersten Version habe ich für mich sehr viel realisieren können und habe festgestellt, dass ich auf der Bühne die beste Spielwiese hatte, die ich kriegen konnte. Ich konnte mich in meiner ersten wirklich großen Rolle austoben. Der Funke sprang über und ich habe Feuer gefangen. Ich habe auch gemerkt, dass ich noch was dazulernen kann. Ich bekam die Chance, in die Staaten zu gehen und ich dachte, das kann mir nur helfen. In die zweite Spielzeit habe ich mehr in meine Rolle einbringen können. Das zweite Stück war ganz anders und sicherlich wesentlich kommerzieller. Hier wurden der Konflikt Ludwigs und die politischen Aspekte besser herausgestellt. Der fade Beigeschmack war, dass man das Ensemble gegen Ende völlig im Dunkeln ließ, was passieren würde. Aber das hat uns als Gemeinschaft ungeheuer zusammengeschweißt. Ich hatte noch nie so ein tolles Ensemble wie damals.

Emotionen hinter der hässlichen Maske des Biests

Musical-World: Danach kam das Disney-Biest als Vertretung für den erkrankten Yngve Gasoy-Romdal in Berlin. Sie mussten diese Rolle innerhalb von 14 Tagen komplett beherrschen?

Jan Ammann: Eigentlich hatte ich in Halle zu dieser Zeit meine ersten Aufführungen von Mar I Cel und dann kam die Geschichte mit Berlin. Ich wollte immer schon nach Berlin und hatte da eh schon ein, zwei Koffer stehen. Die Gelegenheit war toll, grade auch mit dieser Rolle und so bin ich Hals über Kopf dahin. Ich mag Disney und liebe dieses Stück. Es ist so rührend und ich fand es als Schauspieler auch spannend, diese Rolle in diesem Kostüm zu spielen, wenn man komplett versteckt hinter einer Maske ist. Ich war noch nie so frei! Die Konflikte sind verständlich, es geht um Liebe, Vergebung und Dinge, die man nicht kriegen kann. Das sind Probleme, die jeder einmal hat und jeder kennt. Hinter der Maske konnte mich das Publikum aber nicht beurteilen und ich mich selber auch nicht. Ich war hässlich und konnte völlig uneitel sein. Da habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass man als Schauspieler eitel ist und immer im rechten Licht stehen will. Wenn dir das genommen wird, weil du den ganzen Kleister im Gesicht hast und trotzdem diese ganzen Emotionen vom Brüllen bis zu Weinen spielen sollst, bist du richtig frei. Ich habe in der Maske so manche Träne vergossen, aber das hat niemand bemerkt, man dachte höchstens, dass ich zu viel schwitze. Die Rolle in so kurzer Zeit zu lernen war einfach, weil der Konflikt, der bei Disney gezeigt wurde, für mich so verständlich und natürlich war. Ich konnte aus meinem Erfahrungsschatz schöpfen und das reichte für die Rolle. Es ist schon gut, das ein oder andere im Leben bereits erlebt zu haben, dann ist es einfacher, Glück oder Schicksal in einem Stück darzustellen. Ich musste mir nur merken, von A nach B zu gehen und das mit Überzeugung. Ich glaubte daran, es in der Zeit schaffen zu können, zumal ich auch die Motivation hatte. Für mich war es neu, statt eines Verfolgers einen Special zu haben, dass bedeutet, dass wenn ich nicht zur rechten Zeit an genau dem richtigen Punkt auf der Bühne war, stand ich im Dunkeln – oder ich wurde von einer Treppe überfahren. Diese technischen Gesichtspunkte musste ich natürlich sehr genau lernen und das war schwieriger als die Rolle selber.

Jan Ammanns Traumrollen als Musical-Darsteller

Musical-World: Ihre Traumrollen im Musical sind das Phantom der Oper, Graf Krolock im Tanz der Vampire und Kardinal Richelieu aus den 3 Musketieren. Warum gerade diese Charaktere?

Jan Ammann: Krolock und auch Jekyll stehen ganz oben auf der Liste, da ist immer ein kleiner Faust drin. Da ist Gut und Böse und die Gretchenfrage schon vorprogrammiert. Das ist auch für den Schauspieler selber sehr reflektierend. Er kann sehr viel mit einbringen, muss aber aus sich herausgehen, um diese Rolle zu spielen. Diese Grenzerfahrung finde ich sehr reizvoll. Krolock hat dazu schon mehrere Jahrhunderte auf dem Buckel, dem ist alles egal. Er ist sehr melancholisch, aber dabei auch noch sexy. Das ist reizvoll und hat für mich eine Qualität, die schwer zu spielen ist. Der Mann ist eine unglaubliche Erscheinung. Ihm ist es egal, ob Männlein oder Weiblein, er nimmt sie sich einfach. Diese Selbstverständlichkeit ohne jede Kategorisierung finde ich toll – Krolock steht einfach über den Dingen.
Das Phantom geht auch in diese Richtung und Richelieu ist ebenfalls ein knallharter Brocken. Ich mag es, wenn es umtriebig ist. Jeder hat seinen Teufel auf der Schulter, den er los werden muss. Musical-Theater soll keine Eigentherapie sein, aber ich finde diese ausgelebten, menschlichen Konflikte sehr reizvoll. Richelieu ist innerlich zerrissen, aber das macht ihn stark. Er hat ein Mörderproblem, aber das macht ihn so authentisch. Sie stehen über Tod und Leben, denn sie haben ganz andere Probleme. Sie haben eine Mission, die erfüllt werden muss. Diese Charaktere haben eine extreme Agenda, die geheim ist und die sie nicht offen zeigen. Das Problem eines Richelieus ist ein politisches und ein sexuelles, und damit hat er zu kämpfen. Auf der anderen Seite macht ihn das aber auch attraktiv, weil er Macht hat und diese auch einsetzt. Genauso wie bei Krolock, der im Gegensatz dazu einfach nur gierig ist.

Dualität von Gut und Böse in der Rolle von Jekyll & Hyde

Musical-World: Jetzt sind wir beim Thema Jekyll & Hyde. Wer liegt Ihnen mehr am Herzen?

Jan Ammann: Hyde! Aber diese zwei Charaktere sind eine Rolle. Jekyll ist Hyde. Wie jeder ein Mörder oder Perverser sein kann. Jeder meint, Grenzen zu haben, die aber eigentlich gar nicht existieren. Jekyll hat schon als Jekyll Angst vor sich selbst und dies ist ihm durchaus bewusst. Es gibt das Gute und Böse in ihm und da geht bei ihm richtig die Post ab. Weil er Angst vor der bösen Seite in ihm hat, ist er davon besessen, diese beiden Seiten zu trennen. Schon als Jekyll ist er so umtriebig, dass ein Funke ausreicht, um ihn explodieren zu lassen. Aber durch sein elitäres Umfeld, Sir Denvers und seine Verlobte Lisa, hat er seine politisch korrekte Etikette, die ihn durch diese Gedanken hindurch manövriert, obwohl ihn das innerlich eigentlich ankotzt. Er ist nett und charmant, sieht gut aus und ist immer höflich, gerade weil er bereits diese Probleme hat und das macht ihn so anziehend. Er ist von der fixen Idee der Dualität des Menschen besessen, weil er genau dies in sich fühlt und deshalb will er diese zwei Seiten trennen. Er möchte der Gute sein, weil er fühlt, was noch in ihm drin ist.

Musical-World: Bei der Konfrontation sieht man diese beiden Seiten. Auf der Bühne wird dies immer unterschiedlich gelöst. In Bad Hersfeld soll es eine Jekyll-Zahnschiene geben. Was muss man sich darunter vorstellen?

Jan Ammann: Das ist sehr lustig. Wir haben die Idee, dass sich Jekyll nie richtig verändert, weil er immer schon Hyde ist – deswegen wird sich auch nichts an seiner Frisur ändern. Jekyll tickt einfach nur komplett aus. Das coole daran ist: Jekyll erfindet keine wunderliche Formel HJ7, aber durch die Besessenheit, sich zu heilen, befreit er sich mit einer Art Droge und setzt dadurch seine schlummernde Boshaftigkeit frei. Er hat danach keine Hemmungen mehr und plötzlich ist das, was er immer unterdrückt hat, endlich frei, doch es ist immer noch Jekyll. Er versucht diese Sucht unter Krämpfen zu unterdrücken und so ist er immer wieder mal Jekyll oder Hyde, doch er schafft es nicht.

Diese Schiene ist die Idee, dass Hyde sich schon visuell von Jekyll unterscheiden sollte. Sein Kiefer wird durch die Schiene animalischer, das gesamte Kinn wird breiter und das wirkt irgendwie perverser. Als ich beim Zahnarzt war, war ich erstaunt, wie eklig das aussieht, deshalb glaube ich auch, das dieser Effekt bis zur letzten Zuschauerreihe sichtbar ist. Es verändert sich im Gesicht schon sehr viel, aber man kommt im ersten Moment gar nicht drauf. Jeder wird sich fragen, was ist bloß mit dem Typen da vorne los, aber man erkennt nicht, woran das liegt. Die Unterlippe hängt etwas vorgeschoben herunter und das hat etwas Primatenhaftes. Er sieht dadurch vulgär aus. Auch Lisa weiß plötzlich nicht mehr genau, wen sie da vor sich hat. Ist das noch Henry Jekyll? Da er auch vom Wesen her ganz anders ist, erkennt auch Lucy ihn nicht mehr wieder.

Das Besondere an der Jekyll & Hyde Produktion in Bad Hersfeld

Musical-World: Das hört sich nach einigen grundlegenden Änderungen gegenüber anderen Produktionen von Jekyll & Hyde an…

Jan Ammann: Diese Bad Hersfelder Produktion unterscheidet sich stark von den bisherigen Versionen dieses Musicals – auch textlich wurde viel verändert. In Bad Hersfeld wird auch ohne Pause durchgespielt, was mir sehr entgegenkommt, da ich auf Betriebstemperatur bleibe. Die Produktion darf nicht länger als 2,5 Stunden dauern und wir arbeiten kräftig daran, dass wir das einhalten. Als Freilichtproduktion empfinde ich die Stiftsruine von der Räumlichkeit her wahrhaftiger als jedes Theater. Dieser Ort ist natürlich und wird auch natürlich genutzt. Das ist ein sehr eindringliches Gefühl auf dieser Bühne zu stehen. Wenn es dunkel wird und die Fledermäuse und Tauben fliegen, das romantische Licht die Ruine einhüllt, ist das etwas Besonderes. Die biotischen Faktoren machen das Spiel für mich sehr interessant. Und wenn es mal etwas regnet, ist das nur ein kleines Opfer, was man gerne hinnimmt.

Druck lastet auf meinen Schultern, weil Jan Ammann die einzige Besetzung für Jekyll & Hyde in Bad Hersfeld sein wird. Ich muss sehen, dass ich bis zum 3. August topfit bleibe. Ich gehe jeden Tag aufs Rad, versuche vernünftig mit viel Obst und Vitaminen zu essen und hoffe, dass ich gesund bleibe. Ich habe vor dieser Verantwortung schon großen Respekt. In der Oper war ich meist auch nur einzeln besetzt, doch das war stimmlich meist so tief angelegt, da hätte eine kleine Erkältung nicht viel ausgemacht. Jekyll ist fast Heldentenor und ich bin Bariton. Das ist zwar ein Arbeiten in meinem Fach, aber im Extremen. Ich schöpfe meine Kehlfertigkeit fast komplett aus. Zudem möchte ich keinen Hyde darstellen, der schön singt, der muss schon Eier haben! Und das ist schon am Limit. Einiges an dieser Produktion ist zudem Anti-Musical, schon fast reines Schauspiel. Normalerweise spielt man immer mit dem Gesicht zum Publikum. Hier will der Regisseur, dass ich »Dies ist die Stunde« fast komplett mit dem Rücken zum Zuschauer spielen soll. Dadurch wird Intimität erzeugt. Das Publikum soll in die Szene mit hineingezogen werden und das geht natürlich nicht, wenn ich sie immer nur hübsch von vorne anlächle, sondern hier nehme ich sie mit in den Raum.

Musical-World: Was ist Ihr persönliches Highlight in der Show?

Jan Ammann: Einige Szenen sind noch nicht ganz im Fluss. »Ein gefährliches Spiel« ist der Wahnsinn, das wird irre. Es wird getanzt und ist sehr akrobatisch. Wir haben seit Kurzem die Gerüste auf der Bühne und die müssen erst noch in die Choreografie eingebaut werden. In Berlin hatten wir eine Tanzprobe, in der wir ausprobierten, was wir alles machen könnten. Mit dem Choreografen Rüdiger Reschke zusammen sind wir schließlich beim Modern Dance gelandet. Auf dem Boden rollen und Gerüste rauf und runter klettern war nicht nur anstrengend, sondern dieser Song bekommt dadurch ein völlig neues Element dazu und plötzlich hat es für mich gepasst. Wenn Hyde wieder zu Jekyll wird und dann ganz eklig wie in Zeitlupe auf Lucy zu kriecht, kommt dies wie ein Schock. Es wirkt, als würde ein Tier auf der Lauer liegen und sich an die Beute heranpirschen. Es sind nicht mehr nur zwei Sänger, die sich auf der Bühne ansingen, sondern es ist total physisch. Für mich als Schauspieler ist das wieder die Bestätigung, dass es mehr gibt, als nur zu singen und das ist cool. Die Wirkung ist so dreimal authentischer.

Ich mag auch die Szenen, wo Hyde zum ersten Mal aus sich heraus kommt: Dieses Gefühl wirklich lebendig zu sein! Oder Hydes Rausch, wenn er den Bischof zur Rede stellt und sich dann schließlich so in seine Wut hinein steigert, dass er nur noch wild auf ihn einschlägt und ihn umbringt. Ich habe echt das Gefühl, dass bei diesen Szenen Adrenalin überall im Körper freigesetzt wird. Das ist echt geil und danach geht das Morden weiter. Auch die Szene vor dem Direktorium ist klasse. Jekyll trägt sein Anliegen, was er schon tausendmal vorgebracht hat, in einem verschlungenen Gerüst vor. Immer die Treppen rauf und runter fühlt er sich wie ein Tier in einem Käfig und plötzlich wird er von allen Seiten angegriffen. Am Ende ist die Sache so hitzig, dass sich der Rat in wilde Tiere verwandelt. Jekyll wird auch räumlich in die Enge getrieben. Zuerst waren wir alle sehr erstaunt über das Bühnenbild. Gerüste in der viktorianischen Zeit, in der alles Alte abgerissen und neu aufgebaut wurde, passen jedoch sehr gut. Es ist abstrakt, fast wie Metropolis. Man kann diese Zeit nicht detailgetreu auf der Bühne umsetzten, aber dafür haben wir ja die phantastischen Kostüme, die quietsch-bunt anfangen und bei der Hochzeit dann monochrom in Schwarz-Weiß enden.

Musical-World: Nicht nur Jekyll und Hyde sind zwei Gegensätze im Musical. Das setzt sich mit den weiblichen Hauptdarstellerinnen Lucy und Lisa fort.

Jan Ammann: Die Gegensätze sind auf den ersten Blick groß: Die Hure und die Heilige. Aber beide Charaktere haben eine ganze Menge gemeinsam. Jekyll ist sehr an seiner Verlobten Lisa interessiert, Hyde will das, was die Prostituierte Lucy ihm bieten kann. Lucy wird für Jekyll zu einem sexuellen Auslöser, als er die Hure in der roten Ratte trifft. Lisa hat ihm zur Verlobung eine Uhr geschenkt, weil er immer zu spät kommt, die jetzt aber auf ihn wie eine Handschelle wirkt. Dann trifft er im Bordell diese wunderschöne, sexy Frau und sieht in ihr die Freiheit einer ganz anderen Welt. Lucy selbst hat aber auch eine Agenda und erträumt sich ebenfalls eine andere Zukunft. Beide Charaktere werden sich im Verlauf des Stückes immer ähnlicher: Lucy wird zu Lisa, Lisa wird immer mehr Lucy. Lisa wird zum Schluss sogar extrem stark, was ich toll finde. Vom behütet aufgewachsenen Töchterlein im Bonbonkleidchen wandelt sie sich zu einer starken Frau, die ihren Mann, egal, was er da in seinem Labor auch treibt, vor der Gesellschaft verteidigt. Sie entwickelt Verständnis für Jekyll und gibt schließlich den Ton an.

Musical-World: Eigentlich wollte ich fragen, ob sechs Wochen Probenzeit ausreichend sind, aber Sie scheinen ja sehr konkrete Vorstellungen über das Musical zu haben.

Jan Ammann: Das Bild ist da, aber wir sehen auch, dass wir noch hart arbeiten müssen. Nach zwei Wochen Proben ist alles noch Patchwork und wir müssen sehen, wie die Räder schließlich ineinander fassen. Es gibt zwei Songs, »Lebendig« und »Konfrontation«, die haben wir noch gar nicht richtig gestellt. Wenn »Lebendig« so wird, wie es angedacht ist, wird es irre, da wir mehrere Hydes haben wollen, nicht nur den Einen. Und bei »Konfrontation« bin ich nicht ins Bühnenbild eingebunden, das soll ein innerer Konflikt von mir werden. Was ich da mit mir anstellen werde, wird für mich auch physisch sicherlich interessant. Es wird auf die Frage hinauslaufen, wie ich von der einen Seite immer wieder zur anderen wechsle, ohne eine Verwandlung durchzumachen. Das Zopfwerfen ist mir einfach zu flach, das werden wir nicht machen. Wir werden sicherlich viel mit Licht arbeiten, um das Diabolische von Hyde zu unterstreichen. Es gibt momentan täglich Änderungen im Stück. »Dies ist die Stunde« kenne ich mittlerweile in 19 Versionen, da komme ich textlich echt ins Schlingern. Ich muss eigentlich alles komplett vergessen, was ich bisher von diesem Song sicher kannte und ihn völlig neu lernen. Eigentlich ist nur noch der Titel geblieben, der Rest ist textlich ganz anders. 

Produktionstagebuch von Jan Ammann online

Musical-World: Über diese Produktion schreiben Sie online ein Produktionstagebuch. Wie wichtig sind Ihnen Ihre Fans und haben die sich von Ludwig II zu Jekyll geändert?

Jan Ammann: Ich freue mich, wie viele Leute sich für einen Blick hinter die Kulissen interessieren. Für mich ist dieses Tagebuch auch sehr interessant, was ich am Ende eines Tages schreibe. Manchmal war ich nach den Proben einfach so fertig, da wollte ich gar nix mehr schreiben. Wenn man aber einmal angefangen hat, passieren ganz lustige Dinge: Mal ist es ein witziger Stil mit einem Augenzwinkern, mal gibt es auch einen bösen Unterton. Man lässt alles Revue passieren, muss über einiges Schmunzeln, anderes ist eher belastend. Am Ende wird es sicherlich auch spannend sein, alles nochmal zu lesen und zu sagen: »Stimmt, so war das damals!« Die Fans haben beim Lesen das Gefühl, dabei zu sein und mich zu begleiten.

Ältere Fans, die mich durch Ludwig kennengelernt haben, sehen mich in neuen Rollen immer noch als Märchenkönig. Das war beim Biest eigentlich kein Problem, aber ein Schubladendenken kann gefährlich werden. Ich sehe das jedoch nicht belastend, für mich ist es eine Herausforderung, meine Fans auch in einer neuen Rolle zu überzeugen. Gerade Jekyll ist eine Superrolle, auf die ich acht Jahre lang gewartet und mich jetzt zum ersten Mal beworben habe. Es ist ein Stück, bei dem man viel Erfahrung und Routine mitbringen muss, auch vom schauspielerischen Aspekt. Deshalb wollte ich es nicht zu früh spielen. Ich habe von der Bad Hersfelder Produktion gehört, bin zu meiner Agentur gegangen, habe am Vorsingen teilgenommen und hatte das Glück, dass ich genommen wurde. Diese Rolle verlangt sehr viel und ich könnte sie nicht en-suite achtmal in der Woche spielen. Meiner Glaubwürdigkeit in der Rolle kommt die überschaubare Spielzeit in Bad Hersfeld entgegen.

Ich habe mit Ethan Freeman gesprochen und seine Zeit in Bremen war für ihn die schwerste in seiner Karriere. Ethan weiß genau, was es heißt, diese Rolle zu spielen. Er hat aus dem Nähkästchen geplaudert und gab mir seine Telefonnummer, falls ich mal seinen Rat benötigen sollte. Das finde ich toll, es gibt halt diese coolen Kollegen. Wenn jemand einen guten Job macht, muss er nicht gleich alles von seinem hohen Ross aus beurteilen, sondern er kann so bleiben, wie er ist. Mich persönlich zeichnet es nicht aus, dass ich einmal einen guten Ludwig gespielt habe, sondern ich will auch weiterhin gute Rollen spielen. Das ist ein Anspruch, dem ich gerecht werden muss, mit kleineren oder größeren Rollen. Ob ich in diesem Jahr noch den Che in Evita als Tourneeproduktion spielen werde, steht noch nicht fest. Im nächsten Jahr gibt es wahrscheinlich in Wien eine ganz tolle Sache von Eric Woolfson: Poe wird der Hammer! Das interessiert mich wahnsinnig.

Jan Ammann als Songwriter

Musical-World: Sie schreiben auch eigene Songs. In welche Musikrichtung geht das?

Jan Ammann: Ich tobe mich zurzeit in allem etwas aus. Ich mache mit Freunden Pop und Cross-Over. Es hört sich an wie Filmmusik, da die Leute aus diesem Bereich kommen. Wir würden gerne eine CD produzieren, aber das ist alles noch nicht in trockenen Tüchern. Wir haben Musiker vom Gärtnerplatz in München, die schon die Musik zu zehn Nummern eingespielt haben, aber so eine Produktion ist natürlich sehr kostspielig. Manche Sachen müssen textlich noch ausgebessert werden, aber ich habe momentan leider auch nicht die Zeit, mich darum weiter zu kümmern. Es wäre toll, zum Probenende von Jekyll diese CD präsentieren zu können, aber das werden wir zeitlich einfach nicht schaffen.

Musical-World: Mal ganz unabhängig von dieser CD: Wenn es von Ihnen eine ganz persönliche Maxi-CD geben würde, welche Titel wären darauf zu hören?

Jan Ammann: Das ist eine schwierige Frage. Eine veränderte Version von »Kalte Sterne« aus Ludwig II, das war einfach mein Song. »Somewhere in the Audience« von Eric Woolfson aus Poe, was ich auch schon aufgenommen habe. Der Song ist Poesie und das berührt mich. Eric hat ein Gedicht geschrieben, was mich inhaltlich einfach »wegballert«! Momentan bin ich sehr stolz auf einen Song, den ich mit Janet Marie Chvatal und den Prager Symphonikern für das Album »True Love« aufgenommen habe: »Come What May« aus dem Film Moulin Rouge, der ist einfach toll geworden. Eigentlich bin ich ein Fan vom klassischen, französischen Chanson und vom klassischen Lied, weil es etwas vermittelt. Dort war nicht nur ein toller Komponist am Werke, sondern auch ein toller Dichter. Man nimmt ein bekanntes Gedicht z.B. von Eichendorff und wenn es dann noch einem Musiker gelingt, eine lyrische Einheit aus Wort und Ton zu schaffen, ist es für mich als Sänger zwar immer noch eine Herausforderung, dies gesanglich umzusetzen, aber das erfüllt mich. Dort liegt für mich in der Musik mein Herz!

Musical-World: Das ist ein schönes Schlusswort! Wir wünschen Ihnen und Ihren Kollegen eine gute Zeit in Bad Hersfeld bei gutem Wetter und viel Erfolg für Ihre Zukunft.

© Stephan Drewianka, Musical-World.de

Alles zu Jan Amman bei Sound of Music!